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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Vater todt; hättest Du etwas gelernt, so wärst Du was, so ist nichts aus Dir geworden!“ Die Mutter, wieder verheirathet, sucht ihn doch in Altenburg zu halten, wo er das Gymnasium besucht, bei einem Fleischer, dann bei einem Gensd’arm auf die Stube quartiert; einmal, im Herbste 1813, hat er mit zwei andern Schülern zusammen ein Stübchen gemiethet, als – nach der Schlacht bei Leipzig – Altenburg von Soldaten überschwemmt und auch ihnen eine Einquartierung von zwei Mann angesagt wird, deren Ernährung ihnen so unmöglich erscheint, daß alle Drei davonlaufen, Jeder in seine Heimath. Zurückgekehrt, übersteht Hase das Nervenfieber, an welchem sein in den Lazarethen beschäftigter Stiefvater stirbt. Die Mutter ist wieder hülflos; dennoch hat sie den Muth, den Sohn auf dem Gymnasium zu lassen – sie denkt ihn sich als zukünftigen Pfarrer in Steinbach. Sie hofft auf den Grafen von Schönburg, zu dessen Söhnchen, Erbgraf Alban, Karl als Gespiele zugezogen worden; auch setzt bald darauf der Graf, bei seinem Tode ihm fünfzig Thaler als jährliches Stipendium aus, und so ist es ihm vergönnt, das Gymnasium zu durchlaufen, das damals unter dem berühmten Matthiä in Blüthe stand. Hase gehört bald zu Matthiä’s Lieblingen, lernt correct lateinisch sprechen und schreiben, wenn es gleich „kein römischer, sondern Hasischer Stil ist“, und vertieft sich mit Vorliebe in die griechische Dichtung, besonders in Sophokles. Aber er wird auch in die deutsche Literatur eingeführt. Eine angeborene künstlerische Anlage macht sich geltend; der Aufenthalt in Dresden, wo sein Oheim, der Kriegsrath Hase lebt, der Herausgeber eines Musenalmanachs, giebt ihm die erste Ahnung von bildender Kunst und erfüllt ihn mit heftiger Sehnsucht nach Italien, und es reifen dichterische Neigungen in ihm: beim Reformations-Jubiläum 1817 tritt er im Schulactus mit einer selbstgedichteten Ode auf; er wagt sich an die Composition eines Dramas „Coriolan“; ein anderes, „Die Wage“, versucht den tragischen Wendepunkt im Schicksal des Hauses Oranien darzustellen – er ist auf die Kniee gefallen, als er es begonnen, und hat Gott um Beistand gebeten. Fest glaubt er an seinen Dichterberuf, und die Zeit war ganz dazu angethan, diesen idealen Schwung zu nähren. Es hatte ihn geschmerzt, als er reifere Mitschüler 1815 als Freiwillige in den Krieg ziehen sah, daß er zu jung für jene große Zeit; es erschütterte ihn, als sein geliebtes Sachsen durch Theilung verstümmelt wurde, und er nahm herzlichen Aerger an dem „preußischen Kukuk“ – alles das wies auf das größere Vaterland. Wie entzückte ihn da die Nachricht von der Stiftung der deutschen Burschenschaft, vom Wartburgfest, von künftigen allgemeinen Burschentagen! Jenseits aller Stammesunterschiede und des Zwiespalts der kirchlichen Bekenntnisse wollte die Jugend festhalten am gemeinsamen deutschen Vaterlande. Er hatte damals mit zwei Mitschülern, erlesenen Jünglingen, einen Freundschaftsbund für das Leben geschlossen, mit dem tiefsinnigen Ferdinand Herbst und dem heldenkühnen Robert Müller[1]; griechische Lebensherrlichkeit wollten sie mit christlicher Gläubigkeit und vaterländischer Gesinnung verbinden. Auf einer etwas hochgelegenen Wiese zwischen Altenburg und Zeitz weihen sie ein Plätzchen als ihren Lieblingsaufenthalt, und ahnungsvoll hat sich’s erfüllt im Leben, was Jeder nach dem Anfangsbuchstaben seines Vornamens als Sinnwort in eine Erle schnitt: Fides, Constantia, Robur (Treu’ und Glaube, Beharrlichkeit, Kraft). Wir haben es mit dem Manne der Constantia, der Beharrlichkeit zu thun, deren er dringend bedurfte. Denn im Begriff, die Universität zu beziehen und nur auf die fünfzig Thaler des Grafen Schönburg gestellt, sah er „einiger Hungersnoth“ entgegen.

Ohne besondere Neigung zur theologischen Wissenschaft, dachte er doch, den Wünschen der Mutter gemäß und weil eine Landpfarrei ihm das glückliche Eiland zur Ausführung seiner dichterischen Pläne dünkte, das theologische Studium aufzunehmen. Aber der Pflegevater Dienemann, in dessen Hause er die Ferien verlebte, widerrieth: „Ein Theolog muß entweder heucheln oder verkümmern.“ Der angehende Student freute sich auf nichts so sehr, wie auf die Burschenschaft – der Pflegevater wußte nicht Worte genug der Zunge zu finden, um auf die unreifen Burschen zu schelten, die „ohne politische Kenntnisse über vaterländische Verhältnisse urtheilen wollen“.

Wirklich läßt sich Hase als Jurist in Leipzig einzeichnen und hilft seinem Pflegevater die Ferien über in dessen Expedition, wobei ihn dieser mit dem processualischen Formwesen gründlich bekannt macht, allein eben dadurch ihm die Rechtswissenschaft verleidet. Der Student der Rechte geht im Herbst 1818 nach Leipzig, um Theologie zu studiren.

Aber trübe genug lag’s auf seinen ersten Semestern; er hat lange einen Dolch bei sich getragen, für den Fall, daß es zu trübe komme. Er gehörte zu den sogenannten „Paulinermusen“, jenen in die Zellen des Paulinums für wenige Thaler aufgenommenen Studenten mit einem Stübchen, dahinein nie die Sonne geschienen. Auch hat er in seiner Armuth nie ein Collegienhonorar bezahlen können. In die Burschenschaft kaum eingetreten, hat er wieder austreten müssen, weil das schwarz-roth-goldene Band jede Unterstützung, deren er dringend bedurfte, zu vereiteln schien. An den theologischen Vorlesungen findet er keinem Geschmack; während der berühmte Hofrath Beck seine lateinische Gelehrsamkeit über die Korintherbriefe auskramt, schläft er regelmäßig ein. Seine Lieblingsbeschäftigung bleibt das Studium der Dichter, namentlich Goethe’s und Jean Paul’s, für den er besonders schwärmt. Um für die erwählte Wissenschaft doch etwas zu thun, liest er für sich das neue Testament griechisch und schreibt eine lateinische Auslegung dazu, und dies begeistert ihn zu einem Epos „Der Glaube“. Aber als er, um ein Urtheil über seinen Dichterberuf zu haben, anonym sein Trauerspiel: „Die Wage“ an Müllner, der damals für den ersten Dramatiker galt, gesendet und von diesem sehr ermunternde, doch keinen besonderen Erfolg verheißende Worte als Kritik erhalten, auch mit seinem kleinen Epos bei einer Preisbewerbung nicht die erwünschte Anerkennung gefunden hat, entsagt er für’s Erste der Poesie und wirft sich auf Philosophie. Er studirt Kant und Fichte, und namentlich die Bekanntschaft mit den Werken des Letzteren, die im Freiheitskriege so Viele zu Todesmuth begeistert, läßt ihn eine sittliche Erstarkung gewinnen, die entschlossen ist, alle Beschwerden der Armuth zu ertragen und sich ganz in den Dienst des vaterländischen Gedankens zu stellen.

Die Burschenschaft war seit der Sand’schen That, die auch in Leipzig ungeheuere Erregung hervorrief, verfolgt; sehr im Stillen bestand sie weiter, aber gleich der erste deutsche Burschentag war nicht zu Stande gekommen. Jetzt tritt Hase in die aufgegebene Verbindung zurück, entschlossen, alle Gefahren mit ihr zu theilen; bald gehört er zu ihren Vorstehern und zu ihren ersten Rednern. Damit das Band zwischen allen deutschen Burschenschaften erhalten bleibe, läßt er sich die Mission zu einer Rundreise an die deutschen Universitäten, soweit sie Burschenschaften in ihrem Schooße beherbergen, ertheilen, verkauft, was er hat, und tritt mit fünf in den Hosenträgern eingenähten Goldstücken die Reise an. Er wandert durch das Oster- und Voigtland, in der durch ihn und neuerlich durch Heinrich Ranke’s „Jugenderinnerungen“ berühmt gewordenen Wunnerlich’schen Papiermühle bei Hof idyllische Rasttage haltend. Ueber Erlangen geht’s nach Tübingen und Stuttgart, dann über Heidelberg nach Bonn und zurück über Würzburg und Jena. Als in der Maingegend das letzte Goldstück aus dem Hosenträger geschält ist, quartiert er sich bei den katholischen und protestantischen Pfarrern am Wege als „Bettelstudent“ ein und hat auch da keine Noth gelitten. Es sind die mächtigsten Eindrücke vom schönen Vaterland, die nun auf der Jünglingsseele lagen, er liebt es fortan wie eine Braut. Kaum nach Leipzig zurückgekehrt, pilgert er, nichts als ein Schnupftuch in der Tasche, nach Berlin und besorgt auch hier seinen Auftrag; auf sämmtlichen Universitäten nimmt man, trotz der Mainzer Untersuchungscommission, die Einladung zu einem Burschentag in Dresden mit Freuden am. Um die Dresdner Polizei zu täuschen, tagen sie in einem Gasthof der Polizei gegenüber, Hase mit seinem Freund Herbst als Deputirte der Leipziger Burschenschaft, begleitet von dem dritten im Bunde, Robert Müller, dem Heros des Fechtbodens; auch die Söhne des Fürsten Schwarzenberg, des Siegers von Leipzig, sind als Mitglieder der Burschenschaft zugegen. Mit diesen – der eine ist nachmals der „Landsknecht“ des Sonderbundes geworden! – wandert Hase, zurück; der Weg der Brüder führt sie an das Todtenbett ihres Vaters, dem unser Dichter einen poetischen Nachruf widmet, wie er bald darauf den aus dem burschenschaftlichen Kreise scheidenden Freunden, die das spätere Leben ihm weltenweit entfremdet hat, als Vorstand der Burschenschaft einen Abschiedsgruß, dichtet.

So gewinnt die verpönte Verbindung ein neues Leben. Um aber dem Vorwurf, daß ihre Mitglieder unbekümmert, um die

  1. Letzterer, unter dem Namen „Flauschmüller“ bekannt, ist schon öfters in der „Gartenlaube“ erwähnt worden.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_470.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)