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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


warf endlich das Buch hin, stand auf und ging geradewegs zu seinem Onkel.

Baron Heideck bewohnte die Fremdenzimmer, die im oberen Stockwerke lagen, und hatte sich bald nach der Abfahrt der Gäste dorthin zurückgezogen. Er stand vor dem Kamin und war beschäftigt, das in demselben lodernde Feuer heller anzufachen. Beim Eintritt seines Neffen wandte er sich überrascht um, aber es schien beinahe, als sei diese Ueberraschung keine angenehme.

„Störe ich Dich?“ fragte Edmund, der das bemerkte.

„O, durchaus nicht,“ sagte Heideck. „Aber ich finde es sehr leichtsinnig, daß Du so gar keine Rücksicht auf Deine Wunde nimmst und überall im Schlosse herumstreifst, anstatt ruhig auf Deinem Sopha zu bleiben.“

„Ich habe ja Erlaubniß, das Zimmer zu verlassen,“ warf Edmund ein, „und ich wünschte Dich auf einige Minuten zu sprechen. Du hast ein Feuer anzünden lassen? Ist Dir das nicht zu warm, bei der heutigen milden Witterung?“

„Ich finde es schon recht kühl hier in den hohen Zimmern, besonders gegen Abend,“ meinte Heideck, indem er sich auf einen der vor dem Kamin stehenden Sessel niederließ und seinen Neffen mit einer Handbewegung einlud, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Edmund blieb indeß stehen.

„Ich möchte Dich um nähere Auskunft über die Worte bitten, die ich zufällig beim Eintritt hörte,“ begann er, ohne weitere Einleitung. „Vorhin, in Gegenwart der Mama, wollte ich nicht ernstlich darauf dringen, sie ist in der That sehr angegriffen. Jetzt aber sind wir allein, und die Sache läßt mir nun einmal keine Ruhe. Was meintest Du mit jener Aeußerung?“

Heideck runzelte die Stirn. „Ich habe es Dir ja bereits gesagt! Ich sprach von Beziehungen in unserer Familie, die überdies längst gelöst und vergessen sind, und die Dich nur peinlich berühren würden.“

„Ich bin aber kein Kind mehr,“ sagte Edmund mit ungewöhnlichem Ernste. „Und ich darf wohl jetzt beanspruchen, in die sämmtlichen Familienbeziehungen eingeweiht zu werden. Es war von einem Schatten die Rede, der das Glück hier in Ettersberg zerstören könnte. Gegenwärtig bin ich Herr von Ettersberg, also geht die Sache auch wohl mich an, und ich habe ein Recht, darnach zu fragen. Ein für allemal, Onkel – ich will wissen, um was es sich handelt!“

Das Verlangen wurde mit einer Energie kundgegeben, die sonst gar nicht in der Art des jungen Grafen lag, Baron Heideck aber zuckte nur die Achseln und erwiderte ungeduldig:

„Laß mich endlich in Ruhe mit Deinen Fragen, Edmund! Wie kannst Du Dich mit einer solchen Hartnäckigkeit an ein bloßes Wort klammern! Es war eine Aeußerung, wie sie Einem oft im lebhaften Gespräch entfährt, die aber gar keine tiefere Bedeutung hat.“

„Du sprachst aber in sehr erregtem Tone.“

„Und Du scheinst trotz Deines Protestes gegen das Horchen doch einige Minuten hinter der Thür gestanden zu haben.“

„Wenn ich mich hätte so weit erniedrigen wollen, dann wüßte ich mehr und brauchte Dich nicht um Auskunft zu bitten,“ versetzte Edmund in gereiztem Tone.

Heideck preßte die Lippen zusammen. Er mochte daran denken, was geschehen wäre, wenn sein Neffe sich wirklich zum Horchen erniedrigt hätte, aber er sah auch die Nothwendigkeit ein, dessen fernere Fragen abzuwehren, und entgegnete daher mit der kältesten Entschiedenheit:

„Die Angelegenheit betrifft hauptsächlich mich, und deshalb wünsche ich, sie nicht weitläuftig zu erörtern. Ich denke, das wird Dir genug sein und Dich verhindern, auch Deine Mutter mit Fragen zu bestürmen. Und nun laß uns darüber schweigen!“

Auf diese mit voller Bestimmtheit und zugleich mit der ganzen Autorität des ehemaligen Vormundes gegebene Erklärung ließ sich füglich nichts erwidern. Edmund schwieg auch, aber er fühlte, daß man ihm nicht die Wahrheit sagte, ihn vielmehr davon abzulenken suchte. Trotzdem sah er ein, daß von dem Onkel nichts zu erreichen war, und daß er sein Forschen vorläufig aufgeben mußte.

Heideck schien geradezu jede Fortsetzung des Gespräches unmöglich machen zu wollen. Er hatte das Schüreisen ergriffen und begann in sehr geräuschvoller Weise das Feuer zu schüren. Die Art, wie er das that und wiederholt auf die Platte des Kamins und in die Flammen stieß, zeigte, daß die kalte Ruhe, die er zur Schau trug, nur eine äußerliche war. Seine Bewegungen verriethen die heftigste Ungeduld und eine nur mühsam verhaltene Gereiztheit. Dabei beugte er sich unvorsichtig allzu weit vor, und als das Feuer jetzt plötzlich mit voller Gewalt aufflackerte und sprühte, zog der Baron zusammenzuckend mit einem halb unterdrückten Schmerzenslaut die Hand zurück.

„Hast Du Dich verbrannt?“ fragte Edmund aufblickend. Heideck betrachtete seine Hand, an der sich allerdings eine leichte Brandwunde zeigte.

„Der Kamin ist höchst unpraktisch eingerichtet!“ rief er, seinem Aerger Luft machend, und riß mit derselben nervösen Hast wie vorhin das Taschentuch aus seiner Brusttasche, um es auf die kleine Wunde zu drücken. Mit dem Tuch zugleich wurde aber auch ein anderer Gegenstand hervorgerissen, der auf den Boden fiel und bis dicht vor Edmund's Füße rollte. Heideck bückte sich zwar sofort darnach, aber es war zu spät, sein Neffe war ihm bereits zuvorgekommen und hatte die Kapsel aufgehoben, deren längst schlaff gewordene Feder bei dem Fall nachgegeben hatte – der Deckel war aufgesprungen. Es mußte doch wohl ein Verhängniß über diesem unseligen Bilde walten. Unmittelbar vor seiner Vernichtung gerieth es in die Hände dessen, der es nie hätte erblicken sollen!

„Mein Bild?“ fragte Edmund mit dem äußersten Erstaunen. „Wie kommst Du dazu, Onkel?“

Aus dem Antlitz des Barons war alle Farbe gewichen, aber nur für einen Augenblick. Er wußte, was hier auf dem Spiele stand. Mit Aufbietung all seiner Willenskraft gelang es ihm, die Fassung zu behaupten, und so erwiderte er, den Irrthum benutzend:

„Nun ja! Weshalb soll ich Dein Portrait nicht besitzen?“

Zugleich machte er einen raschen Versuch, die Kapsel aus der Hand des jungen Grafen zu nehmen aber dieser trat zurück und verweigerte die Herausgabe.

„Aber ich habe ja niemals dazu gesessen?“ warf er ein. „Und was soll die Uniform, die ich nie getragen habe?“

„Edmund, gieb mir die Kapsel zurück!“ sagte Heideck kurz und befehlend, und streckte von Neuem die Hand darnach aus; allein vergebens. Wäre jener Vorfall im Zimmer der Gräfin nicht gewesen, so hätte sich Edmund wahrscheinlich leicht durch irgend eine Ausflucht täuschen lassen, denn Argwohn und Mißtrauen lagen seiner offenen Natur unendlich fern. Jetzt aber war ihm Beides eingeflößt worden, jetzt wußte er, daß irgend etwas Geheimnißvolles, Unheimliches über ihm schwebte. Sein Instinct sagte ihm, daß es in Zusammenhang mit diesem Bilde stehe, und er verfolgte hartnäckig die einmal gefundene Spur, freilich ohne vorläufig zu ahnen, wohin sie führte.

„Wie kommst Du zu dem Bilde, Onkel?“ fragte er zum zweiten Male, aber diesmal in gesteigertem Tone.

„Das werde ich Dir sagen, wenn Du es mir zurückgegeben hast,“ lautete die scharfe Erwiderung.

Statt aller Antwort trat Edmund aus der Mitte des dämmernden Zimmers an das Fenster, wo noch das volle Tageslicht weilte, und begann, wie Oswald es gestern gethan hatte, Zug um Zug und Linie um Linie zu prüfen.

Es folgte eine lange, schwere Pause. Heideck umfaßte krampfhaft die Lehne des Sessels, von dem er aufgespungen war. Er mußte schweigend zusehen, denn er sagte sich, daß ein gewaltsames Einschreiten seinerseits Alles verderben würde; aber es war eine Tortur, die er ausstand.

„Bist Du nun endlich fertig?“ fragte er nach Verlauf von einigen Minuten, „und werde ich die Kapsel zurück erhalten?“

Edmund wandte sich um.

„Das ist nicht mein Bild,“ sagte er langsam, jede Silbe schwer betonend. „Es ist nur eine unglaubliche, unerhörte Aehnlichkeit, die im ersten Augenblick täuscht. Wen stellt es dar?“

Baron Heideck hatte die Frage kommen sehen und sich darauf vorbereitet, er entgegnete deshalb ohne Zögern:

„Einen Verwandten, der seit langen Jahren todt ist.“

„Einen Ettersberg?“

„Nein. Ein Mitglied unserer Familie.“

„So? Und weshalb habe ich nie von diesem Verwandten und von dieser seltsamen Aehnlichkeit gehört?“

„Wahrscheinlich durch Zufall! Mein Gott, so starre doch nicht fortwährend auf das Bild! Solche Aehnlichkeiten kommen ja unter Verwandten öfter vor.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_467.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)