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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


nicht blos die wissenschaftlichen Institute und der Beistand gelehrter Freunde, die ihn dahin zogen, es waren auch die vorzüglichen technischen Anstalten und die größere Bereitwilligkeit der Pariser Buchhändler zu großen literarischen Unternehmungen. Noch im October 1826 schrieb er aus Paris an Berghaus, als er diesem den Prospect zur „Géographie des Plantes“ für die „Hertha“ schickte: „Ein Werk dieser Art kann nur in Frankreich veröffentlicht werden. In Deutschland wäre es unmöglich. Engherzigkeit und langes vieles Bedenken kennt Hr. Gide, mein Verleger, nicht.“


Von der Nessel gestraft.
Nach seinem Gemälde auf Holz gezeichnet von Fritz Beinke.


So waren die Zustände des Buchhandels, der Typographie und ihrer Schwesterkünste in Deutschland und Frankreich – und sie mußten hier als Hinter- und Untergrund unserer Darstellung gezeichnet werden – als der noch nicht fünfzehnjährige Johann Jakob Weber, der Sohn eines unbemittelten Kleinbürgers in Basel, als Lehrling in die dortige Buchhandlung von Thurneisen eintrat. Weber hatte nur mäßigen Schulunterricht genießen können, aber er besaß einen angeborenen Wissensdrang, unermüdliche Arbeitslust, hartnäckigen Fleiß, dabei Kunst- und Schönheitssinn, einen idealen Trieb, stets das Vollkommenste und Schönste zu erstreben, und das Glück – – daß die Bestimmung seiner Berufsthätigkeit seinen Neigungen vollkommen entsprach. So vollendete er denn die Lehrlings-Laufbahn mit bestem Nutzen; es folgte eine mehrjährige Thätigkeit bei Paschoud in Genf, worauf der nun Zwanzigjährige 1823 zu Firmin Didot nach Paris, dann für kurze Zeit zu Breitkopf und Härtel nach Leipzig, zu Herder nach Freiburg im Breisgau und bald wieder nach Paris, zu Bossange Père, zurück ging.

So sehen wir den jungen Mann in der kurzen Frist weniger Jahre in sechs Buchhandlungen thätig, bald in französischen, bald in deutschen. Dieser stete Wechsel, diese Unruhe und geringe Ausdauer könnte bedenklich erscheinen, da alle Geschäfte, in denen er conditionirte, zu den berühmtesten ihrer Zeit gehörten. Wurde Weber von seinen Principalen entlassen? Mit nichten! Alle erkannten seine Fähigkeit und seine Eifer in vollem Maße an; alle wünschten, daß er länger bei ihnen bleibe, aber die rastlos arbeitende Unruhe seines Geistes trieb ihn von Ort zu Ort, von Geschäft zu Geschäft – – er wollte die Verschiedenheit, die Vorzüge und die Mängel des französischen und des deutschen Buchhandels in allen seinen Eigenheiten kennen lernen und beide zu lebhafterem Verkehr, zu Austausch großer gegenseitiger Interessen verbinden. Ein, wie wir jetzt geläufig sagen, internationaler Verband in buchhändlerischen Interessen war das Ziel, welches ihm als Ideal vorschwebte. Diese Wanderjahre Weber's, mit solchen Zielen, waren sicher einzig in ihrer Art, und hierzu kam seine vollständige Kenntniß und Beherrschung der deutschen wie der französischen Sprache und Literatur. Bossange erkannte bald die Vorzüge des jungen Mannes, erwies ihm volles Vertrauen und etablirte auf dessen Anregung 1832 eine Filiale in Leipzig; der Leiter dieses Geschäfts ward – J. J. Weber.

Um diese Zeit trat der Buchhändler Charles Knight in London unter den Auspicien der Society for the diffusion of useful knowledge mit dem „Penny Magazine“ hervor. Dieses Unternehmen ethusiasmirte Weber's rastlos sinnenden Geist; er veranlaßte den Franzosen Bossange, nach diesem englischen Muster ein deutsches „Pfennigmagazin“ herauszugeben, und der leitende Geist, der eigentliche Spiritus familiaris des Geschäfts war wieder J. J. Weber. Monsieur Bossange aber war stolz auf seine Erfindung, obwohl er nicht ein Wort deutsch verstand, und schmeichelte sich, etwas vollbracht zu haben, was selbst dem großen Kaiser nicht gelungen sei: eine unzertrennliche Allianz zwischen Frankreich und Deutschland. Mit Energie und großem Geschick wurde das Unternehmen unter Weber's Leitung trotz aller Schwierigkeiten durchgeführt, und das „Pfennigmagazin“ erreichte schnell die in Deutschland damals monströse Abonnentenzahl von sechszigtausend.

Die Schwierigkeiten bestanden nicht blos in Beschaffung des literarischen und technischen Materials, der technischen Ausführung und des Drucks, es erhoben sich auch Bedenken und Hindernisse gegen den Vertrieb der Pfennigliteratur, und namhafte Buchhandlungen, wie z. B. Duncker und Humblot in Berlin, schickten alle Pfennig-Zusendungen zurück. Auch die besseren Schriftsteller glaubten sich durch diese Literatur gefährdet, durch den erlaubten partiellen Nachdruck, durch das Ueberwuchern von Arbeiten unwissender literarischer Dienstmänner. Man glaubte, die Masse regellos zusammengeworfener realistischer Curiosa ziehe das Publicum von den Schöpfungen der Phantasie ab und ersticke die Theilnahme für ernste Leistungen. Aber alle diese und ähnliche Bedenken schwanden; denn sie beruhten auf nur oberflächlicher Ansicht der Verhältnisse.

Unendlich wichtig wurde die Pfennigliteratur ganz besonders für die Fortschritte der deutschen Industrie. Das deutsche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 461. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_461.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)