Seite:Die Gartenlaube (1880) 450.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


den dunklen Ledertapeten und seinem mächtigen Erker. Die Einrichtung war gediegen, wie in allen Räumen des Ettersberg'schen Hauses, aber sie war seit Jahren nicht erneuert worden und stand in scharfem Gegensatze zu der Pracht, die im Hauptgebäude des Schlosses und in den Zimmern des jungen Grafen herrschte. Den Neffen, den Sproß der Seitenlinie, hatte man in den Nebenflügel verwiesen. Er mußte hier, wie in Allem, hinter dem Majoratsherrn zurückstehen, und wie der Charakter Oswald's nun einmal geartet war, würde er niemals den Schutz und die Vertretung Edmund's bei diesen fortwährenden Zurücksetzungen angenommen haben.

Auf dem Schreibtische lagen verschiedene Briefschaften und Papiere, die Oswald vor seiner Abreise noch hatte ordnen wollen; jetzt dachte er nicht mehr daran. Mit rastlosen Schritten durchmaß er immer wieder das Zimmer, während die tiefe Blässe seines Gesichtes und die heftig arbeitende Brust verriethen, wie furchtbar die Aufregung war, die in ihm wühlte. Was Jahre lang wie eine dunkle quälende Ahnung in seiner Seele gelegen, was er oft genug mit dem Aufgebot all seiner Willenskraft von sich gewiesen, das stand jetzt in voller Klarheit vor ihm. Mochte ihm der Zusammenhang der Ereignisse und die Geschichte jenes Bildes auch noch dunkel bleiben, es erhob den lang genährten Verdacht zur Gewißheit und rief einen Sturm widerstreitender Empfindungen in ihm wach.

Oswald blieb jetzt vor dem Schreibtische stehen und nahm von Neuem das verhängnißvolle Bild in die Hand, das dort zwischen den Papieren lag.

„Was nützt das schließlich Alles!“ sagte er bitter. „Ich brauche freilich keinen anderen Beweis mehr, aber es fehlt die Bestätigung, und die Einzige auf der ganzen Welt, die sie geben könnte, wird schweigen. Sie würde eher sterben, als zugestehen, was sie und ihren Sohn zugleich vernichtet, und zwingen kann ich sie nicht. Ich kann und darf die Ehre unseres Geschlechtes nicht öffentlich preisgeben, selbst wenn es die Herrschaft in Ettersberg gilt. Und doch muß ich Gewißheit haben – ich muß! Koste es, was es wolle!“

Er schloß langsam die Kapsel und legte sie wieder nieder, während er düster nachsinnend vor sich hinblickte.

„Einen Weg gäbe es vielleicht, einen einzigen. Wenn ich mit diesem Bilde vor Edmund hinträte und ihn zur Erklärung, zur Nachforschung aufriefe. Er erzwingt die Wahrheit von seiner Mutter, wenn er ernstlich will, und er wird es wollen, wenn ich den Verdacht in seine Seele werfe – darauf kenne ich ihn. Aber freilich, der Schlag würde ihn furchtbar treffen, ihn, mit seinem reizbaren Ehrgefühl, mit seiner wahren, offenen Natur, die nie eine Lüge gekannt hat. Und nun herausgerissen zu werden aus der ahnungslosen Sicherheit, aus der Fülle des Glückes, zum Werkzeuge eines Betruges gestempelt zu sein – ich glaube, er ginge zu Grunde an diesem Bewußtsein.“

Die Liebe zu dem Jugendfreunde regte sich in ihrer alten Macht, aber mit ihr zugleich erwachten auch andere, feindseligere Regungen. Sie wiesen drohend auf den begangenen unerhörten Verrath und flüsterten und raunten dem Schwankenden in's Ohr:

„Willst Du wirklich schweigen und auf die Rache verzichten, die das Schicksal selbst in Deine Hand gelegt hat? Willst Du schweigend von hier gehen, hinaus in eine dunkle, ungewisse Zukunft, Dich Fremden unterordnen, Dich mühsam emporarbeiten und vielleicht untergehen im vergeblichen Ringen, während Du Herr sein kannst auf diesem Boden, der Dir von Rechtswegen gehört? Soll die Frau, die von jeher Deine bitterste Feindin gewesen ist, triumphirend die Macht behaupten und ihren Sohn mit allen Gütern des Lebens überschütten, wo Du unterdrückt und ausgestoßen bleibst aus dem Erbe Deiner Väter? Wer hat nach Deinen Empfindungen, nach Deinen Kämpfen gefragt? Gebrauche die Waffe, die der Zufall Dir gegeben! Du kennst die Stelle, wo sie trifft.“

Sie hatten Recht, diese anklagenden Stimmen, und sie fanden ein nur zu lautes Echo in Oswald's Brust. All die Zurücksetzungen, all die Demüthigungen, die er jahrelang erlitten, erhoben sich jetzt von Neuem und drückten den Stachel tiefer in seine Seele. Was er so lange in stummem Groll als ein Verhängniß getragen, das stachelte ihn jetzt, wo er es als Verrath erkannte, zur wildesten Empörung. Jede andere Regung ging unter in Haß und Bitterkeit. Die Gräfin würde doch wohl gezittert haben, wenn sie jetzt das Antlitz ihres Neffen gesehen hätte. Er konnte nicht mit einer offenen Anklage vor sie hintreten, aber er kannte die Stelle, wo sie verwundbar war.

„Es giebt keinen anderen Weg,“ sagte er entschlossen. „Mir wird sie keinen Schritt weichen; mir trotzt sie bis zum letzten Athemzuge. Edmund allein ist im Stande, ihr das Geheimniß zu entreißen. So mag er es denn erfahren! Ich will nicht länger das Opfer eines Verrathes sein.“

Ein leichter, rascher Schritt draußen auf dem Corridor unterbrach den Gedankengang des jungen Mannes. Er schob rasch das Bild unter die auf dem Schreibtische liegenden Papiere und warf einen unmuthigen Blick nach der Thür, aber er fuhr beinahe zusammen, als er den Eintretenden erkannte.

„Edmund – Du!“

„Nun, so erschrick doch nicht, als ob Du ein Gespenst vor Dir sähest,“ sagte der junge Graf, indem er die Thür wieder schloß. „Noch gehöre ich zu den Lebenden und komme sogar, um Dir in eigener Person anzuzeigen, daß Du trotz meiner sogenannten Wunde noch gar keine Hoffnung auf das Majorat hast.“

Edmund ahnte nicht, wie furchtbar sein unbefangener Scherz und sein Erscheinen gerade in diesem Augenblicke seinen Vetter berührten. Oswald bedurfte einer gewaltsamen Anstrengung, um sich zu fassen. Seine Stimme klang beinahe rauh, als er erwiderte:

„Wie kannst Du so unvorsichtig sein und durch die langen, kalten Corridore gehen! Du sollst ja heute Dein Zimmer nicht verlassen.“

„Ich kümmere mich viel um die weisen Verordnungen des Doctors,“ sagte Edmund leichthin. „Denkst Du, ich werde mich als Schwerverwundeter behandeln lassen, weil ich eine Schramme an der Hand davongetragen habe? Einige Stunden habe ich das ausgehalten, meiner Mutter zu Liebe, nun ist es aber genug. Mein Diener hat strengen Befehl, auf jede Nachfrage zu erklären, daß ich schlafe, und ich bin eigens herübergekommen, um mit Dir zu plaudern. Ich kann Dich unmöglich entbehren, Oswald, an dem letzten Abende, den Du in Ettersberg zubringst.“

Die letzten Worte waren so voller Herzlichkeit, daß Oswald sich unwillkürlich abwandte.

„So laß uns wenigstens in Deine Gemächer zurückkehren,“ sagte er hastig.

„Nein, hier sind wir ungestörter,“ beharrte Edmund, indem er sich in einen Armstuhl warf. „Ich habe Dir noch so Manches zu erzählen, zum Beispiel, wie ich zu dieser vielbesprochenen und vielbeklagten Wunde gekommen bin, die ganz Ettersberg in Aufruhr brachte, obgleich sie nicht der Rede werth ist.“

Oswald's Blick richtete sich unruhig auf die Papiere, unter denen die Kapsel verborgen lag.

„Wie Du dazu gekommen bist?“ wiederholte er zerstreut. „Ich denke, Deine Büchse ist losgegangen, als Du eine Hecke übersteigen wolltest.“

„Ja, das haben wir allerdings der Dienerschaft gesagt, und auch Mama und der Onkel werden nichts Anderes erfahren. Dir brauche ich ja aber kein Geheimniß aus der Sache zu machen. Es war ein Rencontre mit einem der gleichfalls zur Jagd geladenen Gäste, dem Baron Senden.“

„Mit Senden?“ fragte Oswald aufmerksam werdend. „Was ist denn zwischen Euch vorgefallen?“

„Er ließ eine verletzende Aeußerung gegen mich fallen. Ich stellte ihn darüber zur Rede; ein Wort gab das andere, und wir kamen schließlich überein, die Sache gleich am nächsten Morgen auszumachen. Du siehst, sie ist ziemlich ungefährlich verlaufen. Ich werde höchstens acht Tage lang die Hand verbunden tragen, und Senden ist mit einem ebenso leichten Streifschuß an der Schulter davongekommen.“

„Also deshalb bist Du über Nacht ausgeblieben! Warum ließest Du mich denn nicht durch einen Boten hinüberrufen?“

„Als Secundanten? Das war nicht nöthig, unser Wirth hat mir diesen Dienst geleistet, und als leidtragender Verwandter wärst Du ja immer noch früh genug gekommen.“

„Edmund, sprich nicht so leichtsinnig von ernsten Dingen!“ sagte Oswald unwillig. „Bei einem Duell steht doch immer das Leben auf dem Spiele.“

Edmund lachte. „Mein Gott, ich hätte wohl gar erst ein Testament machen, Dich feierlichst zum Abschiede herbeirufen und ein rührendes Lebewohl an Hedwig hinterlassen sollen? Solche

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_450.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)