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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

No. 28.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Alle Rechte vorbehalten.
Frühlingsboten.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Die Neugierde gehörte nicht zu Oswald's Fehlern, und er würde es indiscret gefunden haben, irgend etwas zu untersuchen, was, wenn auch offen, im Zimmer seiner Tante lag; hier aber leitete ihn ein sehr verzeihlicher Irrthum. Er hatte bereits gestern die Gräfin um ein Bild seines verstorbenen Vaters ersucht, das sich im Besitze von dessen Bruder befunden hatte und wahrscheinlich in dem Nachlasse desselben noch vorhanden war. Oswald wünschte bei seiner bevorstehenden Abreise dieses Familienandenken, das nur für ihn Werth hatte, mitzunehmen; die Gräfin war auch bereit gewesen, es ihm abzutreten und verhieß, nachzusehen. Jedenfalls, so sagte er sich, hatte sie jetzt das Gesuchte gefunden.

In dieser sicheren Voraussetzung griff Oswald, der sich jenes kleinen Bildes nur dunkel erinnerte und gar nicht wußte, ob es sich in einem Rahmen oder einer Kapsel befunden hatte, nach der letzteren. Ihr verblichenes Aussehen schien seine Vermuthung durchaus zu bestätigen, und so öffnete er sie denn.

Die Kapsel enthielt in der That ein Bild, ein auf Elfenbein gemaltes Portrait, aber es war nicht das gesuchte. Schon beim ersten Blicke darauf stutzte Oswald und schien im höchsten Grade überrascht zu sein.

„Edmund's Bild?“ fragte er sich halb laut. „Seltsam, das habe ich ja noch nie gesehen, und er hat ja auch niemals Uniform getragen.“

Er betrachtete mit steigendem Befremden erst das Bild, das unverkennbar die Züge des jungen Grafen trug, und dann die altmodische und verblichene Kapsel, in die es sichtlich schon seit langer Zeit eingefügt gewesen war. Die Sache war ihm durchaus räthselhaft.

„Was soll das bedeuten? Das Bild ist alt – das zeigen die Farben und die Umhüllung, und doch stellt es Edmund dar, wie er jetzt aussieht. Freilich, ganz ähnlich ist es nicht: es hat einen durchaus fremden Zug und – Ah!“

Der letzte Ausruf wurde mit wilder Heftigkeit hervorgestoßen. Dem jungen Manne war urplötzlich das Verständniß aufgegangen. Wie ein zündender Blitz war die Erkenntniß der Wahrheit niedergefahren und hatte ihm das Räthsel gelöst. Mit einer stürmischen Bewegung trat er dicht vor das lebensgroße Oelgemälde des Grafen Edmund, das im Zimmer der Mutter hing, und die geöffnete Kapsel in der Hand, begann er Zug um Zug, Linie um Linie zu vergleichen.

Es waren dieselben Züge, dieselben Linien, auch die dunklen Haare und Augen, nur der Ausdruck des Gesichts war ein anderer auf jenem kleinen Bilde, das Edmund so täuschend glich, als habe er selbst dazu gesessen, und das doch einen Anderen darstellte. Einen ganz Anderen! Das ergab sich bei der längeren Prüfung mit überzeugender Gewalt.

„Also doch!“ sagte Oswald dumpf. „Ich hatte Recht mit meinem Verdachte.“

Der Ausruf verrieth weder Triumph noch Schadenfreude – im Gegentheil, es sprach ein unverhülltes Grauen daraus, aber als der Blick des jungen Mannes jetzt auf den Schreibtisch und das noch offenstehende geheime Fach fiel, da ging jede andere Empfindung unter in der ausbrechenden Bitterkeit.

„Ganz recht!“ murmelte er. „Sie hat es tief genug verborgen, so tief, daß ein fremdes Auge es wohl nie erblickt hätte, wenn die Todesangst um Edmund ihr nicht alle Besinnung geraubt hätte. Und gerade in meine Hände mußte es fallen – das war mehr als Zufall. Ich denke denn doch,“ hier richtete sich Oswald stolz und drohend empor, „ich denke, ich habe ein Recht, zu fragen, wen dieses Bild vorstellt, und ich werde es nicht eher wieder aus den Händen geben, bis mir die Antwort darauf geworden ist.“

Damit schob er die Kapsel in seine Brusttasche und verließ rasch das Zimmer.

Die Schreckensnachricht, die Eberhard der Gräfin gebracht hatte, erwies sich in der That als sehr übertrieben. Der Unfall, der den jungen Grafen betroffen, war von gar keiner ernsteren Bedeutung. Beim unvorsichtigen Uebersteigen einer Hecke hatte sich sein Jagdgewehr entladen, aber der Schuß hatte zum Glück nur die linke Hand gestreift – es war mehr eine Verletzung, als eine Wunde. Trotzdem gerieth das ganze Schloß in Aufruhr; Baron Heideck eilte sofort zu seinem Neffen, und die Gräfin beruhigte sich nicht eher, bis der eiligst herbeigerufene Arzt ihr versicherte, daß nicht das Geringste zu befürchten sei und die Verletzung in wenigen Tagen geheilt sein werde.

Edmund selbst nahm die Sache am leichtesten. Er lachte und scherzte alle Besorgnisse seiner Mutter hinweg, protestirte energisch dagegen, sich als Verwundeter behandeln zu lassen, und war nur mit Mühe zu bewegen, der Anordnung des Arztes nachzukommen und auf dem Sopha zu bleiben.

So war der Abend herangekommen. Oswald befand sich allein in seinem Zimmer, das er seit jener Entdeckung noch nicht wieder verlassen hatte. Die auf dem Tische brennende Lampe erhellte nur matt das große und ziemlich düstere Gemach mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 449. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_449.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)