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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Metalloskopie und Metallotherapie.

Auf der letzten Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte überraschte Professor Schiff aus Genf, einer der namhaftesten Physiologen der Jetztzeit, die Versammlung mit dem Geständniß, daß er trotz aller Zweifelsucht und wissenschaftlichen Vorsicht gewisse Einwirkungen der Metalle auf den menschlichen Körper habe bestätigen müssen, welche sonst Jedermann geneigt gewesen sei, in’s Gebiet des Aberglaubens zu verweisen. Den mit der medicinischen Tagespresse vertrauten Zuhörern war es nicht unbekannt, daß, von einer Reihe ärztlicher Capacitäten Frankreichs abgesehen, auch mehrere deutsche Autoritäten auf dem Gebiete der Nervenkrankheiten wie z. B. Professor Eulenburg in Greifswald, Westphal in Berlin und Andere, zu ähnlichen positiven Ueberzeugungen auf diesen Gebieten gekommen sind. Es dürfte deshalb an der Zeit sein, auch den Lesern der „Gartenlaube“ einen Blick in dieses mysteriöse Gebiet zu eröffnen und wenigstens das Thatsächliche darüber kurz mitzutheilen.

Schon in alten Zeiten trug man bekanntlich gegen verschiedene Uebel metallene, mit magischen Zeichen bedeckte Amulette, meist in Form runder oder eckiger Blechschilder, auf der bloßen Brust oder am Halse, und die archäologischen Sammlungen sind reich an oft höchst absonderlich geformten Gold- und Bronzegegenständen, die man im alten Assyrien, Aegypten und Rom zur Abwendung des Krämpfe erzeugenden „bösen Blickes“, gegen Fallsucht und Pest am Halse trug. Die ursprünglich nur von den Kindern römischer Großen, später von allen Kindern, deren Eltern diesen Luxus erschwingen konnten, am Halse getragene Goldkapsel (Bulla aurea) gehört ebenfalls zu diesen magischen Schutzmitteln gegen Krankheiten und böse Einflüsse von außen. Im Mittelalter machte Paracelsus Geschäfte mit seinen metallenen „Constellationsringen“, indem er in jener Zeit astrologischen Aberglaubens Jedermann rieth, einen eigens dazu construirten breiten Ring aus dem Metalle seines Geburtsplaneten zu tragen. So mußten die Sonnenkinder goldene, die Mondkinder silberne, die Mars-, Venus-, Jupiter- und Saturnkinder eiserne, kupferne, zinnerne und bleierne Ringe tragen, die Mercurskinder endlich gläserne Hohlringe, die mit Quecksilber gefüllt waren. Auch empfahl er zuerst die Anwendung des Stahlmagneten gegen rheumatische Schmerzen.

Von da leitet sich die Behandlungsweise und der Name des „thierischen Magnetismus“ her; denn Mesmer, der Vater desselben, begann seine Curen bekanntlich mit Stahlmagneten, mit denen er seine Kranken bestrich, und mit magnetischen Bassins, deren Griffe seine Patienten in der Hand halten mußten. Seit jenen Tagen kam das Tragen magnetischer Armaturen auf, die nach Entdeckung der Voltaischen Säule durch sogenannte „galvanische“ Garnituren abgelöst wurden. Wir erinnern hier nur an Raspail’s galvanische Platten, Georget’s kupferne Migräneringe, Recamier’s (mit Kupfer und Zinkspähnen) gefüllte galvanische Kissen und Goldberger’s Ketten, denen sich viele ähnliche „große Erfindungen“ zum Heile der Menschheit anschlossen.

Bekannt ist auch der im Volke lebende Glaube an die Wirksamkeit großer metallener Gegenstände gegen Krämpfe. So soll Wadenkrampf oftmals durch Berührung mit einem großen Hausschlüssel gestillt werden, und Dr. Burq in Paris, der Wiedererwecker der Metallotherapie, erzählt in seinem ersten über diese Behandlungsweise 1854 veröffentlichten Buche von Personen, die stets mit Schaufel und Feuerzange zu Bette gingen, und von einem Pariser Commandanten, der sein ganzes Bett mit alten, durch Traben auf gepflasterten Straßen besonders stark „magnetisch“ gewordenen Pferdehufeisen gegen den Krampf-Dämon verbarricadirt hatte. In der Normandie sollen die Bauern, wie Burq versichert, in ihren Holzschuhen vielfach einen eisernen Schlüssel als Vorbeugungsmittel gegen Krämpfe tragen.

Seit dem Jahre 1821 machte ein französischer Arzt, Namens A. Despine, Beobachtungen über den Nutzen einer Auflegung von Goldsachen bei Hysterie; eine den Kranken umgehängte goldene Uhr that Wunder, besonders wenn sie an einer goldenen Kette hing. Man lachte darüber und meinte, mit goldenen Schmucksachen ließen sich viele weibliche Patienten curiren. Nicht viel mehr Beifall erwarb der englische Arzt Elliotson bei seinen Collegen, als er (1838) bemerkt haben wollte, daß das Auflegen verschiedener anderer Metalle krampfstillend, dagegen das Auflegen von Nickel krampferregend wirken sollte. In den dreißiger Jahren wollte man bemerkt haben, daß die Arbeiter in österreichischen Kupfer- und Quecksilberbergwerken und Metallarbeiter überhaupt von der Cholera verschont geblieben seien, und man begann mit Quecksilber gefüllte Glasröhren und große kupferne Medaillen als Schutzmittel gegen Cholera auf dem bloßen Leibe zu tragen. Die letzteren, auch von Hahnemann (1833) empfohlenen sogenannten „ungarischen Medaillen“ haben dann in allen Cholera-Epidemien bis auf die neueste Zeit ihre Rolle gespielt.

Der eigentliche Wiedererwecker der Metallotherapie ist, wie schon erwähnt, der Pariser Arzt B. Burq, der im Jahre 1848, durch die Versuche Elliotson’s angeregt, schon als Eleve im Hospital Cochin den damaligen Dirigenten Maisonneuve ersuchte, ihm eine aufgegebene Kranke, ein hysterisch gelähmtes Mädchen, welches an schrecklichem Erbrechen und Krämpfen litt, zu überlassen, und dabei durch Anwendung messingener Platten und Ringe nicht nur eine nach wenigen Minuten erfolgende Stillung der Krampferscheinungen, sondern endlich dauernde Heilung des für unheilbar erklärten Mädchens erzielte. Seitdem wurde Burq der Apostel und Fanatiker dieser Heilmethode, und da es ihm gelang, während der Cholera-Epidemie 1849 in den Pariser Hospitälern durch Anlegen von Messing- und Kupferringen die Krämpfe vieler Cholerakranken augenscheinlich zu mildern, öffneten sich seinen Versuchen bereitwilligst alle Krankenhäuser; Napoleon der Dritte interessirte sich für seine Untersuchungen und gab die Mittel zur Beschaffung von Metallarmaturen für die Krankenhäuser her, die Akademien nahmen seine Berichte entgegen, und Burq war für einige Zeit ein gefeierter Mann. Er curirte schließlich alle Nervenübel, Lähmungen, Rheumatismen und Neuralgien, Krämpfe, Delirien und hysterischen Leiden mit seinen stählernen und kupfernen Armaturen, oder indem er die Kranken in kupferne Badewannen brachte, und suchte seine Mittel in Form von etwas massiven Schmucksachen (Armbänder, Halsbänder, Medaillen, Ketten und Ringe) einzubürgern.

Nach und nach hatten ihn seine Untersuchungen darauf geführt, daß nicht alle Metalle in gleicher Weise jedes Uebel höben; er fand, daß solche Leiden, bei denen kupferne Armaturen unwirksam waren, durch stählerne gehoben wurden, oder vielmehr, daß manche Personen durch das eine Metall besser als durch das andere geheilt würden, und daß sich Menschen und Metalle nach einer Scala ordnen ließen, deren entgegengesetzte Enden Kupfer und Stahl bildeten, während die andern Metalle ihre Stellung zwischen ihnen erhalten. Es erinnert dies unmittelbar an die Anordnung der Metalle und anderer Elementarstoffe in eine eletrochemische Reihe nach ihrem elektrischen Verhalten, wie sie Berzelius aufstellte, in welcher jedes Metall gegen seine Vorgänger elektropositiv und gegen seine Nachfolger elektronegativ erscheint, und zwar um so stärker, je weiter es von ihm absteht.

Bekanntlich ist schon vor langer Zeit behauptet worden, daß die elektronegativen und elektropositiven Stoffe und ihre Verbindungen auf die Nerven empfindlicher Personen sehr verschieden einwirkten, und Herr von Reichenbach, der Entdecker des Od’, hat dies einst dem Urheber der elektrochemischen Theorie sehr augenscheinlich dargelegt. Als nämlich Berzelius im Jahre 1845 zur Cur in Karlsbad war und die odischen Erscheinungen kennen lernen wollte, ermittelte Reichenbach daselbst mit Hülfe des Bade-Arztes ein „sensibles“ Fräulein und ersuchte Berzelius, eine Reihe stark elektronegativer und elektropositiver Körper wie Knallbonbons in gleich aussehende Papierstücke einzuwickeln, sodaß sie von außen nicht zu unterscheiden wären. Berzelius, der eine Reihe seltener Metalle und Präparate mit sich führte, that dies und streute die Packetchen durch einander auf den Tisch. Die Sensitive glitt dicht mit der flachen Hand über die Päckchen hin und bemerkte, daß einige Päckchen ein Ziehen in der Hand hervorriefen. Berzelius ersuchte die Dame nun, die „ziehenden“ von den unwirksamen Packeten zu sondern, und es zeigte sich, daß sie lauter elektropositive, die „nichtziehenden“ elektronegative Stoffe enthielten. Für die linke Hand würde die Wirkung nach Reichenbach’s Versicherung eine umgekehrte gewesen sein. Aehnliche Wahrnehmungen haben auch andere Beobachter gemacht; Schindler untersuchte eine Somnambule, der angeblich jedes Metall Schmerzen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_435.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)