Seite:Die Gartenlaube (1880) 412.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Weichselrohr und schwarz-roth-goldenen Pfundquasten – aus dem Atelier von Meister Türk – waren die übrige Ornamentirung. Die beiden Anderen waren in schwarzem Sonntaganzug, das schwarz-roth-goldene Band über der Brust als einzige Auszeichnung.

Auf dem Weg nach Frankfurt ward nun berathen, wer die Anrede an den Herrn Minister sprechen sollte; denn zu dritt konnte man wohl in einer Volksversammlung reden, doch nicht vor dem Herrn Minister. Der Vilbeler Gastfreund sprach: „Daniel, Du beschämst uns; wir kommen spießbürgerlich in unseren Casino-Röcken; Du allein hast mit dem Frack den richtigen Tact gehabt. Du bist auch der Aeltere, hast einen stattlichen Bart und eine tiefe Baßstimme. Das wird dem Minister imponiren; Du mußt die Rede halten.“

Daniel lehnte schmunzelnd ab: „Mir geht’s wie Moses; ich habe eine schwere Zunge, seit drei Tagen auch einen mächtigen Katarrh. Du, Aaron, kannst die Rede fließender halten.“

Der Wettstreit ging so bis zur Vilbeler Warte, indeß jeder der Beiden das Thema variirte, was man dem Minister sagen müsse, bis der Spruch des jüngsten Deputirten, daß Daniel sich schämen müsse, wenn ein Jüngerer den Vortritt nähme, den Ausschlag gab.

Tief sinnend und schweigsam schritt nun Daniel einher; der Pfeife Qualm erlosch, und die starren Augen verkündeten, daß er inwendig heftig arbeitete. Die Deputation schritt zum Vilbeler Thor herein in dem Hochgefühl, daß Klein-Frankfurt mit Staunen auf sie schauen müsse. In der Friedberger Gasse kamen die Muster-Schüler eben aus der Schule; sie blieben verwunderungsvoll stehen und staunten den langen Deputirten an, noch mehr die langen Quasten. Am Dalles-Platz standen die Fulder; da mußte die Pfeife abermals Spießruthen laufen. Die Deputation zog durch die Faser-Gasse und hatte beinahe unangestaunt die Main-Brücke erreicht, als die Gymnasiasten aus der alten Pädagog-Gasse hervorkamen. Ein kecker Bursche stellte sich breitspurig an die Straße und rief seinen Cameraden zu:

„Habt Ihr’s denn schon gehört, die Schweizer wollen dem Arnold von Winkelried ein Denkmal setzen. Sie suchen ein Modell dazu.“

Daniel ward immer schweigsamer, immer blässer, und als die Deputirten am Sachsenhäuser Noth-Bahnhof ankamen – die Main-Neckar-Brücke war noch nicht gekrönt – da seufzte er ganz erschüttert:

„Ich kann die Rede nicht halten. Ich habe zu viel geraucht; da ist mir ganz schwindlig geworden. Du, Aaron, mußt sprechen.“

Nach langem Streit übernahm Aaron die Rolle. Die Deputation setzte sich in den lederverhüllten Waggon und fuhr gen Darmstadt. Eine knappe Stunde Zeit – nun galt’s kurzen Entschluß. Eine kühle Brise wehte durch die Ledervorhänge; der Ostwind sauste zwar „ohnmächtige Schauer körnigen Eises“, doch mächtig genug, die schweigsame Gesellschaft zu erkälten. Aaron ward, je näher gen Darmstadt, desto blässer, und als der Conducteur in Arheiligen die Billete nach Darmstadt abverlangte, war’s auch dem zweiten Deputirten so unheimlich, daß er auf die Ehre der Rede verzichtete und den jüngsten Deputirten haranguirte: „Du, Hanirek, warst Präsident von der Versammlung, Dein Name steht auch oben auf der Adresse. Der Herr Minister erwartet doch, daß, wer oben steht, auch die Anrede hält.“ Dieser Streit währte bis zum „Hôtel Köhler“, in dem die Gesellschaft mit einer Flasche Ungsteiner sich frischen Muth erholte und Hanirek sich entschloß, die Rede zu sprechen.

Die Deputation schritt die Rheinstraße hinauf. Die Darmstädter machten nicht viel Aufhebens; sie hatten der Deputationen schon mehrere gesehen. Die schwarz-roth-goldenen Pfundquasten sammt der Pfeife waren überdies im „Hôtel Köhler“ geblieben. Mit den Odenwälder Copulationsfräcken konnte sich Daniel’s Frack zum mindesten messen. So schritten die Deputirten, ernst und würdevoll, die breite Treppe zum Ministerium hinan. Auf der ersten Podeste erblickten sie den Herrn Minister, der zur Treppe herabstieg. Die hohe imposante Gestalt, das große, leuchtende Auge machten auf die Jünglinge einen mächtigen Eindruck, doch nicht niederschlagend, nein – wie das wahrhaft Große, erhebend, begeisternd. Da stand das gewaltige Bild vor ihnen, wie sie aus seinen Reden es sich aufgebaut, der Zeus mit der Donnerstimme, mit den Olymposbewegenden Brauen, dem Blick voll Hoheit und einem feinen, graziösen Lächeln, dem Ausdruck edler Herzensgüte.

Die Jünglinge verbeugten sich; mit rascher Wendung trat der Sprecher vor und bat den Herrn Minister um eine Audienz. Bereitwillig ward sie gewährt und die Deputation in das Empfangszimmer geführt. Der Sprecher hielt seine Anrede: „Herr Minister, wir sind gekommen als die Vertreter der Gymnasiasten von Büdingen, um Ihnen unsere Huldigung kund zu thun. Auch wir sind von der Bewegung ergriffen, die jetzt der Völker Europas sich bemeistert. Sind wir auch nicht in der Lage, in die Geschichte einzugreifen, so sind wir doch entschlossen, alles zu thun, was das Heil des Volkes verlangt. Durch Ihre hochherzigen Reden sind wir befeuert und begeistert worden, daß wir wagen, vor den Mann zu treten, an dessen Augen und Lippen die ganze deutsche Jugend, die gesammte deutsche Nation erwartungsvoll hängt. Wir wollen Ihnen sagen, daß, wo Sie die Hülfe der Nation brauchen, Sie auch auf die Jugend rechnen können. Wir wollen Sie aber auch bitten, der Schule zu gedenken, damit sie Männer erziehe, die fähig und geschickt seien, wenn die Nation einst mannhafte Thaten verlangt.“

Der Herr Minister dankte verbindlich lächelnd für die hohe Meinung, die wir von ihm hegten. „Ich freue mich, daß die Jugend in diesem Momente so rasch zur That drängt. Denn ihrer Mithülfe bedürfen die Aelteren, die wohl führen, doch allein nicht Alles zu vollbringen vermögen. Die Begeisterung der Jugend ist mir sogar ein Prüfstein für die Echtheit der Sache, der ich mein Leben geweiht habe. Mit gewandter Dialektik kann man die Aelteren auch für eine minder edle Sache gewinnen; die Begeisterung der Jugend wird nur durch Rechtes und Wahres entfacht.“

Dann flog er die Petition durch: „Naturwissenschaft, besseren Religionsunterricht, neuere Geschichte und Literatur, Turn- und Fechtübung verlangen Sie! Mit Ihren Lehrern sind Sie nicht zufrieden; Sie haben doch tüchtige Lehrer. Der Geist der Schrift läßt dies vermuthen.“

„Herr Minister, wir haben wackere Lehrer, die alles Große und Schöne uns lehren, was seit Homer und Sophokles bis zu Goethe und Schiller überliefert ist. Doch haben wir auch Einen, der die Teufel austreibt.“

„Nun,“ lächelte der Herr Minister, „Sie wissen doch, wie Faust sagt:

‚Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust‘ –

da wird es wohl nicht schaden, wenn der Teufelaustreiber der einen Seele etwas forthilft.“

„Nicht doch, Herr Minister,“ rief plötzlich Daniel, dessen Augen leuchteten, als Herr von Gagern „seinen Faust“ citirte, „die eine Seele ist doch

          – ‚ein Theil der Kraft,
Die stets das Böse will und stets das Gute schafft‘ –

und ohne diese Kraft ständen wir heute nicht hier.“

Der Herr Minister freute sich, daß die Jünglinge nicht so leichten Kaufes sich drein gaben, reichte ihnen mit herzgewinnendem Lächeln die Hand und entließ sie mit dem Versprechen der baldigen Gewährung. Mit hohem Stolz verließen die Deputirten das Ministerium. Es war ihnen eine hehre Freude, mit dem hochverehrten Manne reden zu dürfen, ungezwungener, freier und herzlicher, als mit mancher der kleinen Größen, die ihnen vor- und nachher im Leben begegneten. Das war ihnen die beste Bürgschaft für die Willfahrung ihrer Bitte und die gute Erledigung ihrer Mission.

In der That kam auch nach wenigen Wochen schon eine Aufforderung an das Lehrercollegium, die Wünsche der Gymnasiasten zu hören und thunlichst ihnen zu willfahren. Der Herr Director Thudichum empfing sie ohne Vorwurf, doch mit bekümmertem Blick: „Habe ich das um Euch verdient, der stets so väterlich um Euch besorgt war?“ Der Blick traf tiefer als jeder Vorwurf. Wir fühlten, daß wir den alten Herrn unverdienter Weise gekränkt hatten, und nur das eine Bewußtsein mochte uns trösten: wir hatten mit dem Manne gesprochen, der wie ein heller Stern in finsterer Nacht vor unserer Seele schwebte; wir waren mit Achtung von ihm empfangen worden und wurden um deßwillen auch von den Männern geehrt, die vorher uns diese Achtung verweigerten.

Heinrich Becker.


Blätter und Blüthen.

„Der Abhülfe bedürftig,“ schreibt man uns, „ist ein Uebelstand, der sich immer fühlbar macht, wenn die Eisenbahnen ihre Fahrpläne verändern (meistens den 15. April und den 15. October); es ist, wie Ihnen ja bekannt, üblich, die Fahrpläne der Nachbarbahnen auf den Stationen auszuhängen. Nun sollte man doch glauben, daß diese Art der Bekanntmachung eines neuen Fahrplanes mindestens an dem Tage, an welchem die Veränderung eintritt, geschähe, dies ist jedoch nicht der Fall, und Sie können heute noch Fahrpläne vom Winterhalbjahr aushängen sehen. – Eine Entschuldigung, daß diese neuen Fahrpläne nicht zu rechter Zeit in den Besitz der Stationen gebracht werden können, ist nicht stichhaltig; mindestens müßten die alten, also falschen Fahrpläne entfernt werden, um nicht, wie es so vielfach vorkommt, bei Reisenden empfindlich schädigende Irrthümer hervorzurufen.“ Wir empfehlen diese, wie uns scheint, gerechtfertigte Beschwerde den Directionen der deutschen Eisenbahnen zur freundlichen Erwägung.




Eine Kaiser Joseph-Bibliothek. Der 29. November 1880 bezeichnet den hundertjährigen Gedenktag der Thronbesteigung Kaiser Joseph’s des Zweiten. Der deutsch-österreichische Leseverein der Wiener Hochschulen hat die Anlegung einer Bibliothek in Aussicht genommen, die ein Unicum zu werden verspricht; sie soll in möglichster Vollständigkeit alle Erscheinungen der Literatur enthalten, welche auf Joseph den Zweiten Bezug haben. Alle, die dieser Bibliothek einen Beitrag zuzuwenden gedenken, wollen denselben an den Ausschuß des deutsch-österreichischen Lesevereins (Wien, Bäckerstraße 20) adressiren.



Nicht zu übersehen!

Mit nächster Nummer schließt das zweite Quartal dieses Jahrgangs. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das dritte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.


Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig). Auch wird bei derartigen verspäteten Bestellungen die Nachlieferung der bereits erschienenen Nummern eine unsichere.

Die Verlagshandlung.

Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1880, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_412.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)