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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

erfahren, ja erfahren es zum Theil schon jetzt, was sie sich und ihrem Lande angerichtet haben, als sie ihren Krieg gegen das die Cultur ihres Landes repräsentirende Deutschthum begannen. Die Magyaren haben bisher noch nicht das Experiment gemacht, sich ganz in ihren Magyarismus einzuschließen; sie haben es bisher noch nicht versucht, ihre Cultur von der des Westens zu isoliren. Bis zum Jahre 1833 lernte jeder gebildete Magyare Deutsch und Lateinisch und hatte, wenn er schon das Deutsche verschmähte, in seiner, wenn auch noch so schlechten, Latinität eine Brücke zum Westen. Von da bis 1861 war die Sprache der Bildung in Ungarn noch immer die deutsche. Die jetzt heranwachsende Generation der Magyaren und selbst der von deutschen Eltern abstammenden Ungarn spricht, liest, schreibt nicht mehr deutsch, aber auch keine andere europäische Sprache; denn das Lateinisch der Schulen reicht nicht zu literarischen und wissenschaftlichen Zwecken, und der Unterricht im Französischen, der in den Mittelschulen obligat gemacht wurde, ist wahrlich ein bloßes Späßchen, einzig und allein dazu bestimmt, einen scheinbaren Beweis gegen Jene zu liefern, die den Krieg gegen das Deutschthum als einen Krieg gegen die westeuropäische Civilisation darstellen.

Diese Generation also wird im Ganzen außer dem Magyarischen keiner andern europäischen Sprache mächtig sein. In all ihren ökonomischen Interessen auf Oesterreich und Deutschland angewiesen, die dem industrielosen Ungarn seine sämmtlichen Industrie-Artikel liefern und ihm seine Naturprodukte abkaufen, wird sie in Folge ihrer Unkenntniß der deutschen Sprache hülflos dastehen und den ganzen internationalen Handel und Verkehr fremden Einwanderern überlassen müssen, die nicht etwa, wie die eingeborenen Deutschen Ungarns, für das Land ein Herz haben, sondern es als Colonie betrachten werden, die man auf jede Weise auspressen und aussaugen müsse. Noch schlimmer aber, als auf ökonomischem, wird es diesem Nachwuchs auf geistigem Gebiete ergehen.

Heute publicirt noch jeder magyarische Forscher seine Arbeiten nebenbei deutsch und bringt sie so zur Kenntniß der Welt. In zehn, fünfzehn Jahren wird dies nicht mehr geschehen können; denn die magyarischen Gelehrten der Zukunft werden des Deutschen nicht mehr mächtig sein, und auch die Ungarn deutschen Namens werden ihr bisheriges Vermittlergeschäft nicht fortsetzen können, weil sie in den Schulen nicht lernen, sich ihrer Muttersprache zu höheren Bildungszwecken literarisch zu bedienen. So würde, wenn die Dinge sich nicht wandeln, Ungarn als Culturvolk aus dem Gesichtskreise der Völker des Westens verschwinden müssen. Man würde von dieser Nation und ihrer etwaigen geistigen und wissenschaftlichen Thätigkeit nichts mehr hören. Eingeschlossen in ihre der Welt unbekannte Sprache wie in eine chinesische Mauer, würden die Magyaren losgeschnitten sein von der europäischen Gemeinschaft und ihre Ausweisung der europäischen Cultur mit dem Rückfall in den vollen Asiatismus bezahlen.

Das Land wird es sehr bald fühlen, daß die Zweisprachigkeit allein den magyarischen Stamm bisher in Europa erhalten hat, daß das Deutschthum in Ungarn ein Glück für denselben war, daß er in seiner exclusiven Einsprachigkeit verkommen muß; das Land wird zu spät erkennen, daß eine in Europa ohne jegliche Verwandtschaft dastehende, nur von einer kleinen Zähl Individuen gesprochene Sprache an sich keine Existenzfähigkeit habe und nur unter der Mithülfe einer Weltsprache dauern und gedeihen könne.

Dies sehen übrigens die denkfähigen Magyaren selbst ein, und es ist gewiß bezeichnend, daß der Ministerpräsident Tisza von der Nothwendigkeit deutscher Bildung so überzeugt ist, daß er seinen Sohn in Berlin erziehen, daß er ihm durch preußische Lehrer die „Sprache der Hausknechte“ beibringen läßt. Die Einzelnen blicken tiefer und wollen die sichtlichen Gefahren, welche die öffentlichen Maßnahmen zur Folge haben, wenigstens von ihren eigenen Familien abwenden.

Mit alle dem ist freilich den Deutschen in Ungarn nicht geholfen, die als hingebende Patrioten, begeistert für den Ruhm und die Blüthe ihres Vaterlandes, den verhängnißreichen Folgen einer aus irrender Leidenschaft entsprossenen Politik mit Bangigkeit entgegen sehen. Freilich haben sie bisher unterlassen, was sie hätten thun müssen. Wenn man ihnen ihre theuersten Güter raubt, durch Beschimpfung ihrer Sprache und ihres Volksthums ihnen blutige Schmach zufügt, ihnen die Möglichkeit nimmt, ihren Kindern deutsche Bildung zu geben, sie zu Heloten im Lande macht: so mögen sie sich aufraffen; sie mögen ihren Widersachern die Paragraphen des Volksschul- und Nationalitätengesetzes entgegenhalten und sich von ihren verbrieften Rechten nicht widerstandslos abdrängen lassen! Sie mögen ihnen die Worte zurufen, die einer der Ihrigen, der große magyarische Politiker Nikolaus Wesselenyi, im ungarischen Reichstag von 1830 sprach:

„Der Gebrauch der Muttersprache ist ein unbezweifelbares Recht jeder Nation. Wenn die Nation in der Ausübung dieses ihres natürlichen Rechts behindert wird, bricht sie in Klagen aus; wenn man in der Behinderung verharrt, erweckt man Bitterkeit im Busen der Nation; wenn die Behinderung aber sich zur Bedrückung steigert, erweckt sie eine Reaction, die für die Regierung ebenso gefährlich, wie in ihren Folgen verhängnißvoll ist!“[1]

Ein Deutsch-Ungar.


  1. Wir sind in der Lage, diesen bezeichnenden Worten noch einen viel bedeutsameren Ausspruch anzuschließen, der im Hinblick auf die oben geschilderten Zustände unbedingt den Werth einer ernsten und gewichtvollen Mahnung erhält. Der Ausspruch ist das Product der Ueberzeugung eines Mannes, zu dem die Magyaren mit heiliger Verehrung aufschauen und der ihnen für alle Zukunft als die kühnste, gluthvollste und gewaltigste Ausprägung ihres Nationalbewußtseins und seiner Forderungen gelten wird. Freilich gehören seine Anschauungen noch einer Zeit an, die ihre Männer in der Schule der Humanität und in den Grundsätzen demokratischer Gleichberechtigung erzogen hatte. Der soeben erschienenen deutschen Ausgabe von Ludwig Kossuth’s Memoiren („Meine Schriften aus der Emigration“. Preßburg und Leipzig, C. Stampfel) ist folgende Stelle aus einem deutschgeschriebenen Briefe des berühmtesten Führers der ungarischen Sache vorausgeschickt:
         „Ich fühle mich berechtigt, zu hoffen, daß im ungarischen Vaterlande ohne Unterschied der Sprache noch Millionen von Bürgerherzen schlagen, in denen der Klang der Saite, die meine Schriften berühren, wohl noch einen Widerhall erwecken mag, und unter diesen – deß’ bin ich gewiß – werden die deutschen Patrioten Ungarns weder die mindest zahlreichen, noch die letzten sein. Sie haben es thatsächlich bewiesen, daß, obschon die Kenntniß der Sprache, welche das typische Merkmal der staatlichen Individualität und des historischen Charakters einer Nation bildet, gewiß sehr wünschenswerth und sehr wichtig ist, dennoch die Einheit der Sprache weder das einzige, noch das stärkste Band der politischen Einheit ist. Die Weltgeschichte liefert viele Beispiele, daß, während Völker einer und derselben Nationalität in verschiedene Nationen getheilt sein können, anderntheils die Verschiedenheit der Sprache kein Hinderniß der Nationaleinheit ist. Denn Nationalitäten (Rassen) sind blos ein Zufall der Natur, Nationen hingegen sind eine Schöpfung der Geschichte, die, durch die Gemeinschaft der Gesinnungen in den Werkstätten der historischen Entwickelung von gemeinschaftlichen Interessen ausgebildet, die Bürger eines Landes ohne Unterschied der Sprache mit heiligen Banden an den heiligen Begriff des ‚Vaterlandes‘ knüpft.“
         Wenn es möglich wäre, daß in Ungarn diese lichten, hohen und durchaus praktischen Ansichten des großen Patrioten wieder zur Geltung kämen, die in der That vollständig den neueren Erkenntnissen der Wissenschaft vom Völkerleben entsprechen, so würde dort aus dem Gefühle inniger Zusammengehörigkeit des magyarischen mit dem alteingeborenen und zweifellos hochpatriotischen deutschen Volkselement nur Heil und Gedeihen entsprießen, während die feindselige Abstoßung der beiden Elemente allerdings keine anderen als verwirrende und zerrüttende Folgen haben kann. Möchten wir es erleben, daß man sich wiederum verständnißvoll die Hände reichte! Es würden dadurch auch alle Trübungen schwinden, welche leider die alten Sympathien Deutschlands für das Magyarenthum im Angesicht des Kampfes wider unsere Stammesbrüder erfahren müssen.
    D. Red.

Die internationale Fischerei-Ausstellung in Berlin.
Von Gustav Schubert.
Mit Illustrationen von H. Lüders.

„Nehmen Sie den Ausdruck ‚Wasserflächen
bewirthschaften‘ gütigst in Ihren Sprachschatz auf
– er ist zeitgemäß.

von Behr-Schmoldow.

Obige, vom Präsidenten des deutschen Fischereivereins im Festsaale des Berliner Rathhauses vor den Vertretern der verschiedensten Nationen gesprochenen Worte führen uns am schnellsten in die Bestrebungen einer Gesellschaft von Männern ein, deren ebenso selbstloses, wie erfolgreiches Wirken in der am 20. April in Berlin eröffneten internationalen Fischerei-Ausstellung zum lebendigen Ausdruck gekommen ist. Als sich vor zehn Jahren der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_407.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)