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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

No. 25.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Alle Rechte vorbehalten.
Frühlingsboten.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Baron Heideck fehlte bei dem Feste, zu dem man ihn, als den bisherigen Vormund, bestimmt erwartet hatte. Er gab seinen Standpunkt nicht so leicht auf wie die Gräfin, sondern beharrte in seinen exclusiven Ansichten. Zum Glücke hatte Edmund dafür gesorgt, daß der Onkel in der Residenz die Verlobung erst in dem Augenblicke erfuhr, wo sie veröffentlicht wurde. Die Gräfin konnte jetzt in keinem Falle mehr zurück, und das Eingreifen ihres Bruders kam zu spät. Trotzdem machte er seiner Schwester brieflich die heftigsten Vorwürfe über ihre Nachgiebigkeit und wollte nicht begreifen, wie man sich von der Erregung des Augenblicks so weit fortreißen lassen konnte, „Principien“ zu opfern. Er wußte nicht, wie sehr die Liebe zu dem Sohne jenem Augenblicke bereits vorgearbeitet hatte, jedenfalls aber war er im höchsten Grade gereizt darüber und ging so weit, seine Anwesenheit bei dem heutigen Feste zu versagen. Er hatte den Brief seines Neffen, in welchem ihn dieser auf ausdrücklichen Wunsch der Mutter um sein Kommen ersuchte, kurz und kühl mit der Erklärung beantwortet, seine Amtsgeschäfte erlaubten ihm jetzt nicht, die Residenz zu verlassen; er werde die Förmlichkeiten der Majoratserklärung schriftlich abmachen.

Edmund ertrug diesen Beschluß sehr leicht; um so verstimmter war die Gräfin darüber. Sie hatte von jeher unter dem Einflusse ihres Vetters gestanden und ertrug seinen Unwillen um so schwerer, als sie ja im Grunde mit ihm gleicher Meinung war. Trotzdem sah sie ein, daß jetzt, wo der Schritt einmal gethan war, der eingenommene Standpunkt vor der Welt behauptet werden mußte, und sie that dies mit so viel Tact und Liebenswürdigkeit, daß Jedermann überzeugt war, jene Einwilligung, zu der sie eigentlich nur die Verhältnisse gezwungen hatten, sei ihr freier Entschluß gewesen.

Ihren Sohn und dessen Braut zur Seite, empfing die Gräfin die ankommenden Gäste. Sie war in reichster und gewähltester Toilette, und daß sie in der That noch eine sehr schöne Frau war, hatte sich vielleicht noch nie so siegreich gezeigt, wie an dem heutigen Abende, wo ihre Erscheinung sich selbst neben der jugendlich blühenden und reizenden Gestalt ihrer künftigen Schwiegertochter behauptete, ohne irgendwie dabei zu verlieren. Edmund's Auge ruhte bisweilen mit einer förmlichen Begeisterung auf seiner schönen, stolzen Mutter, die ihn fast ebenso sehr an Anspruch zu nehmen schien, wie seine Braut.

„Die Gräfin sieht heute sehr imposant aus,“ sagte der Oberamtsrath, indem er zu seiner Cousine trat. „Wirklich höchst imposant, und Feste versteht sie anzuordnen – das muß man ihr lassen. Das hat Alles einen so vornehm großartigen Zuschnitt, und dabei besitzt die Frau ein bewunderungswürdiges Talent, sich zum Mittelpunkte des Ganze zu machen, Jeden anzuregen, Jedem etwas Angenehmes zu sagen – Hedwig kann in dieser Beziehung sehr viel von ihr lernen.“

„Sie scheinen die Extreme zu lieben,“ bemerkte Fräulein Lina, die sich auf einen Eckdivan zurückgezogen hatte und dort mehr die ruhige Beobachterin spielte. „Von Ihrer ganz unvernünftigen Abneigung gehen Sie zu einer schrankenlosen Bewunderung der Gräfin über. Sie haben ihr vorhin sogar die Hand geküßt.“

„Bin ich Ihnen etwa wieder nicht recht?“ fragte Rüstow beleidigt. „Sie haben mir das feierliche Versprechen abgenommen, heute Abend liebenswürdig zu sein, und nun ich auch ganz unglaubliche Anstrengungen dazu mache, erkennen Sie es nicht einmal an.“

Das Fräulein lächelte ein wenig boshaft. „O doch! Ich bewundere Ihre 'unglaublichen Anstrengungen' ebenso sehr wie die Gesellschaft, die sich vorläufig noch gar nicht darein finden kann. Man ist gewohnt, Sie immer in einer Art von Donnergewölk zu sehen, und kann sich diesen plötzlichen Sonnenschein gar nicht erklären. Aber noch eine Frage, Erich! Was hat Hedwig mit Oswald von Ettersberg? Sie vermeiden sich ja in einer beinahe auffallenden Weise.“

„Mit Edmund's Cousin? Gar nichts, so viel ich weiß. Hedwig kann ihn nicht leiden, und ich glaube, er macht sich auch nicht viel aus ihr.“

Die letzten Worte klangen sehr entrüstet. Der Oberamtsrath begriff es offenbar nicht, daß irgend Jemand sich nichts aus seiner Tochter machte.

„Diese gegenseitige Abneigung muß aber doch irgend einen Grund haben. Der junge Ettersberg besitzt allerdings keine hervorragende Liebenswürdigkeit.“

„Aber immense landwirthschaftliche Anlagen!“ sagte Rüstow enthusiastisch. „Wenn der das Majorat unter den Händen hätte, sähe es anders hier aus. Er durchschaut die Wirthschaft auf den Gütern ganz klar und hat mir neulich, als er mit in Brunneck war, Aufklärungen und Winke darüber gegeben, die mich denn doch veranlassen werden, einmal ernstlich dazwischen zu fahren, wenn Edmund es nicht thut. Wir sprachen sehr eingehend darüber.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_397.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)