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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


mich, aber sie werden mir kein Hinderniß mehr in den Weg legen.“

„Ist das Dein Ernst?“ fragte Edmund überrascht. Er konnte sich offenbar diese plötzliche Nachgiebigkeit nicht erklären.

„Mein voller Ernst; Du wirst es ja von ihnen selbst hören. Und nun geh zu Deiner Gerichtsscene! Dir wird sie nicht allzu schwer gemacht werden; Du hast ja nur an die Liebe Deiner Mutter zu appelliren, wo ich die – Furcht zu Hülfe rufen mußte.“

Edmund sah ihn verwundert an. „Furcht? Vor wem? Du bist manchmal ganz räthselhaft in Deinen Ausdrücken.“

„Geh’ nur!“ drängte Oswald. „Ich kann Dir ja später den Verlauf der Unterredung erzählen.“

„Nun gut!“ Edmund wandte sich nach der Thür, blieb aber noch einmal stehen. „Aber Eines sage ich Dir, Oswald, aus Deiner frühen Abreise wird nichts. Du hast mir versprochen, bis zum Herbste zu bleiben, und eher lasse ich Dich unter keiner Bedingung fort. Schlimm genug, daß ich Dich dann monatelang entbehren muß; denn vor Beendigung des Examens kommst Du schwerlich zum Besuche nach Ettersberg – das weiß ich im Voraus.“

Er ging. Oswald blickte ihm düster nach. „Monatelang? Wir werden es wohl lernen müssen, uns für immer zu entbehren,“ und mit sinkender Stimme setzte er hinzu: „Ich habe nicht geglaubt, daß mir das so schwer werden würde.“




Mehr als zwei Monate waren vergangen. Man befand sich schon mitten im Sommer, aber Ettersberg und Brunneck spielten immer noch, wie Graf Edmund sich ausdrückte, Montecchi und Capuletti. Weder die Gräfin noch Rüstow hatten den Widerstand gegen die Verbindung ihrer Kinder aufgegeben; desto hartnäckiger hielten diese selbst daran fest. Trotz des Verbotes sahen sie sich sehr oft und schrieben sich noch öfter. Um das Erstere zu ermöglichen, hatte man Fräulein Lina Rüstow in das Complot gezogen, und diese hielt es für besser, die Zusammenkünfte, die doch jedenfalls stattgefunden hätten, unter ihren Schutz zu nehmen; sie stand überhaupt gänzlich auf Seiten des jungen Paares, das sein Schicksal ziemlich leicht trug. Weder Edmund noch Hedwig waren danach geartet, die vorläufige Trennung sentimental oder gar tragisch zu nehmen. Eine Verbindung ohne jedes Hinderniß wäre ihnen wahrscheinlich langweilig erschienen, der elterliche Widerstand gab der Sache in ihren Augen erst die nöthige Romantik. Sie vertieften sich darin mit dem ganzen Eifer ihrer achtzehn und vierundzwanzig Jahre und fanden sich und ihre treue Liebe über alle Maßen interessant und poetisch. Ueber den Ausgang des Romans machten sich Beide im Grunde wenig Sorge; sie wußten zu gut, daß sie die verwöhnten und verzogenen Lieblinge ihrer Eltern waren und ihren Willen schließlich doch durchsetzen würden. Einstweilen zeigte sich die Gräfin zwar noch als unerbittliche Mutter, und der Oberamtsrath war wüthender als je, aber es fehlte doch nicht an Anzeichen, daß die Festungen nicht so unüberwindlich waren, wie sie sich stellten, und daß sie dem fast täglich wiederholten Ansturme doch endlich erliegen würden.

Die Entscheidung kam schneller, als alle Betheiligten es ahnten. Fräulein Lina Rüstow war auf einige Tage nach der Stadt gefahren, um Einkäufe zu machen, und kehrte nun ganz harmlos nach Brunneck zurück, das sie noch in voller Feindschaft mit Ettersberg verlassen hatte. Etwas befremdet darüber, daß ihr Cousin sie allein empfing und Hedwig sich nirgends blicken ließ, fragte sie nach derselben.

„Hedwig?“ fragte Rüstow mit einer Miene, die zur Hälfte Verlegenheit und zur Hälfte Ingrimm ausdrückte. „Sie ist augenblicklich nicht hier; sie wird später kommen.“

Die Cousine forschte nicht weiter. Es hatte vermuthlich wieder eine Debatte hinsichtlich der Heirathsangelegenheit gegeben, und das war nie erfreulich für die Umgebung des Oberamtsraths, denn dieser pflegte seinen Aerger an aller Welt auszulassen, nur nicht an seiner Tochter. Diesmal aber wußte sich Fräulein Lina im Besitze einer Nachricht, die jede Mißstimmung verscheuchen mußte, und kaum waren sie Beide in das Zimmer getreten, so kam sie damit zum Vorschein.

„Ich bringe Ihnen eine Neuigkeit mit, Erich. Der Rechtsanwalt wollte Ihnen ein Telegramm schicken, ich bat es mir aber aus, die Ueberbringerin der frohen Botschaft zu sein. Sie haben den Proceß in erster Instanz gewonnen; Dornau ist Hedwig zugesprochen worden.“

Merkwürdiger Weise hatte diese so sehr ersehnte und ganz unerwartete Nachricht gar keine besondere Wirkung. Das finstere Gesicht Rüstow’s hellte sich zwar auf, aber aus seiner Stimme klang noch immer ein unverkennbarer Aerger, als er ausrief:

„Das freut mich. Das freut mich trotz alledem. Wenn die Sache nur ein paar Wochen früher gekommen wäre; jetzt ist mir das ganze Vergnügen daran verdorben. Der Proceß ist also gewonnen?“

„In der ersten Instanz. Unser Anwalt hegt jedoch die zuversichtlichste Hoffnung auch für die endgültige Entscheidung. Allerdings wird die Gegenpartei appelliren und Alles aufbieten, Ihnen den Sieg streitig zu machen.“

„Nein, das wird sie nicht!“ brummte Rüstow, in dessen Gesicht wieder jener seltsam verlegene Ausdruck erschien.

„Doch! Daran ist gar kein Zweifel. Der Anwalt hat sich schon auf die sämmtlichen Instanzen vorbereitet.“

„Er soll sich gefälligst die Mühe sparen,“ brach Rüstow los. „Kein Mensch wird appelliren. Der Proceß ist aus, rein aus, und das Ende vom Liede ist, daß Dornau nun doch an Ettersberg fällt.“

„An Ettersberg? Ich sage Ihnen ja aber – mein Gott, Erich, was soll diese finstere Miene bedeuten, und warum ist Hedwig nirgends zu erblicken? Was ist vorgefallen? Ist sie krank oder gar –“

„Echauffiren Sie sich nicht!“ unterbrach Rüstow die angstvollen Fragen. „Hedwig ist ganz wohl und munter, und im Uebrigen ist sie drüben in Ettersberg bei ihrer künftigen Frau Schwiegermutter. – Ja, setzen Sie sich nur, Lina! Ich nehme es Ihnen gar nicht übel, wenn Sie auf’s Höchste überrascht sind; mir ist es ebenso gegangen.“

Fräulein Lina war in der That auf einen Stuhl gesunken und starrte völlig sprachlos vor Ueberraschung ihren Cousin an, der jetzt fortfuhr:

„Dies junge Volk hat ein ganz unerhörtes Glück. Um ein Haar hätten Sie Keinen von uns mehr am Leben getroffen, Lina. Die Gräfin war am Ertrinken; wir Anderen hätten beinahe Hals und Beine gebrochen.“

„Um des Himmelswillen! Und das nennen Sie ein unerhörtes Glück?“ rief das Fräulein entsetzt.

„Ich sage ja nur 'beinahe'. Schließlich ist eine Verlobung daraus geworden, und Hals über Kopf ist die Geschichte gegangen. Todesgefahr, Rührung, Umarmung – wir waren auf einmal mitten darin und konnten uns erst als segnende Eltern wieder herausfinden: O, diese verwünschten Ettersberg’schen Rappen! Ich wollte ihnen das Durchgehen abgewöhnen! Warum gehen denn meine Pferde niemals durch?“

„Aber was gehen mich denn Ihre Pferde an?“ unterbrach ihn die Cousine in halber Verzweiflung. „Auf diese Weise erfahre ich gar nicht, was eigentlich passirt ist. So erzählen Sie doch vernünftig!“

„Ja richtig, ich muß Ihnen das in Ruhe erzählen,“ sagte der Oberamtsrath und leitete diese Ruhe damit ein, daß er heftig im Zimmer auf und nieder zu schreiten begann, wie es seine Art war, wenn er sich in Aufregung befand.

„Also, ich fahre vorgestern mit Hedwig zum Besuch nach Neuenfeld. Sie wissen ja, wir müssen dabei den steilen Hirschberg passiren, und oben auf der Höhe ist der Weg so schmal, daß zwei Wagen nur mit Vorsicht an einander vorüber fahren können. Gerade an der Stelle begegnet uns die Ettersberg’sche Equipage mit der Gräfin. Wir ignoriren uns natürlich, unsere Herren Kutscher aber ignoriren sich nicht, sondern fahren wie toll auf einander los. Auf meinen Zuruf bringt Anton zwar die Pferde zum Stehen, aber die anderen drängen vorwärts, und so gerathen die Thiere an einander. Die wilden Ettersberg’schen Rappen nehmen das übel; sie bäumen sich hoch auf, rasen an uns vorbei, so dicht, daß sie uns fast die Räder zerschmettern, und als der Kutscher nun noch allerlei unsinnige Manöver macht, fangen sie in aller Gemüthlichkeit an durchzugehen. Als ich aus dem Wagen springe, ist es bereits zu spät; das geht wie die wilde Jagd den Berg hinunter. Der Kutscher fliegt vom Bock; der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_383.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)