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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


sie zu lang sind, um auswendig gelernt, und zu kurz, um ewig gelesen zu werden.“

Des Dichters Ruhm stieg sehr hoch; Tasso bezeichnete ihn als den Einzigen, der in jenem Jahrhundert ihm die Palme streitig machen könne. Dennoch blieb seine Person selbst ziemlich unbeachtet. Der König hatte zwar die Widmung der „Lusiaden“ angenommen, ließ sich den Autor jedoch nicht vorstellen, sondern speiste ihn mit einer auf drei Jahre berechneten und nachträglich auf weitere drei Jahre verlängerten Rente von 15,000 Reis (66 Mark) ab, die aber sehr unregelmäßig, zuweilen gar nicht ausgezahlt wurde und ihren Empfänger auch im günstigsten Falle nicht hätte ernähren können. Für die „Lusiaden“ erhielt er nichts; das Manuscript des „Parnaß“ war ihm von Neidern gestohlen worden – der arme Mann litt also die bitterste Noth, und sein treuer javanesischer Sclave Antonio, der ihm in Macao beigegeben worden war und ihn seither nicht wieder verlassen hatte, soll des Nachts für ihn betteln gegangen sein. „Mein Antonio,“ sagte er einmal zu einem Edelmann, „verlangt zwanzig Reis (circa neun Pfennig) für Kohlen von mir, und ich kann sie ihm nicht geben. Ich sehe mich in großem Elend und habe für nichts mehr Sinn, zu nichts mehr Lust.“

Die wenigen Gedichte, die er noch schrieb, enthielten lauter bittere Klagen. Bald starb auch der wackere Antonio, sodaß der kranke, nothleidende Dichter gänzlich vereinsamte. Die ihm bekannt werdende Verehrung, die das Ausland ihm in viel höherem Maße zollte, als Portugal, bildete seinen einzigen Trost; im Uebrigen hatte er jede Hoffnung aufgegeben. Den Todesstoß versetzten ihm die Nachricht von der Niederlage seiner Landsleute bei Alcazar-Quivir und die Usurpirung des portugiesischen Thrones seitens des Königs von Spanien. Der Niedergang seines Volkes erschütterte ihn tief, und die Anstrengungen, die er im Verein mit anderen Patrioten machte, um die Verschmelzung der beiden Nachbarländer zu verhüten, waren das letzte Aufflackern seiner geistigen Kraft. Er starb, wie er prophezeit, mit dem Vaterlande – am 10. Juni 1580, kurz nachdem eine spanische Armee Portugal besetzt; wenigstens haben sich die Mehrzahl der Camoens-Forscher, sowie die Portugiesen selbst aus guten Gründen für 1580 als Todesjahr entschieden, während Manche das Jahr 1579 vorziehen. Die Sanct Annen-Kirche, in welcher der Dichter begraben wurde, stürzte bei dem berühmten Lissaboner Erdbeben von 1755 ein, und bis vor wenigen Jahren dachte Niemand daran, ihm ein Denkmal zu setzen. Er hatte verlassen und unbeachtet geendet „in einem Spitale,“ wie ein Zeitgenosse berichtet, „ohne daß er ein Betttuch gehabt hätte, sich zu bedecken, nachdem er in Indien triumphirt und 5500 Seemeilen zurückgelegt hatte.“

Beinahe wäre Deutschland zu der Ehre gekommen, die Gebeine des großen Poeten zu beherbergen; denn einige Jahre nach dessen Tode schrieb, wie Pedro Mariz berichtet, „ein deutscher Edelmann nach Lissabon, er würde, falls er wüßte, daß Camoens kein prächtiges Grabmal besäße, mit der Stadt unterhandeln, um die Erlaubniß zu erlangen, die Gebeine nach Deutschland zu bringen, wo er dem Dichter ein herrliches Denkmal setzen lassen würde.“ Mit Rücksicht auf die Würde der Nation lehnte die Stadtbehörde den Vorschlag ab.

Was Camoens, abgesehen von seiner gewaltigen Bedeutung als Dichter, zu Portugals echt nationalem Sänger macht, ist sein unerschütterlicher Patriotismus. Und doch fangen die Portugiesen erst jetzt an, ihn gebührend zu würdigen. Weit mehr wurde er, wie bemerkt, jederzeit im Auslande anerkannt, vornehmlich in Deutschland. Humboldt nannte ihn den „Homer der lebenden Sprachen“; von seinen Werken sind zahlreiche deutsche Uebersetzungen erschienen, und seine Schicksale wurden von deutschen Dichtern dramatisch (von Halm) und novellistisch (von Tieck) dargestellt.

Aus zehn Gesängen von zusammen 1102 achtzeiligen Strophen (Stanzen oder ottave rime) setzt sich das „Die Lusiaden“ betitelte Heldengedicht zusammen, das Avé-Lallemant mit Recht als ein „historisches Feenmärchen“ bezeichnet. In keinem andern Epos sind Wahrheit und Dichtung auf so wunderbare Weise mit einander verschmolzen, wie hier. Den Inhalt bilden die für den Glanz der Nation so wichtigen Entdeckungsfahrten Vasco de Gama's. die Geschichte der Glanzperiode Portugals und die Verherrlichung der heldenmüthigen Eigenschaften, welche die Portugiesen bis zur Mitte des sechszehnten Jahrhunderts kennzeichneten. Die zauberhaften Schilderungen von Völkerschaften, Ländern, Meeren und Seeschlachten, sowie die hochpoetische Verwerthung der altgriechischen Götterwelt entrücken den Leser der „Lusiaden“ förmlich der Wirklichkeit. Kraftvoll und kernig ist die Sprache, wenn von den Helden des Epos, anmuthig und lieblich, wenn von den in die Geschicke der letzteren vielfach eingreifenden Gestalten der hellenischen Mythologie die Rede ist. Wir wollen es nicht versuchen, den Inhalt des großartigen Camoens'schen Hauptwerkes hier wiederzugeben – die „Lusiaden“ wollen, um mit Lessing zu sprechen, „weniger gelobt und mehr gelesen“ sein. Nun denn, Niemand kann den bevorstehenden Gedenktag würdiger begehen, als indem er am 10. Juni „Die Lusiaden“ zur Hand nimmt und von der ersten bis zur letzten Zeile durchliest. Er feiert damit nicht nur Camoens, sondern er verschafft sich auch einen auserlesenen poetischen Genuß.




Aus den Zeiten der schweren Noth.
Familien-Erinnerung an die Tage der Schlacht bei Jena.

In dem offenen Materialwaarenladen in der Saalgasse zu Jena, welcher meinem Großvater, dem Kaufmann und Rathsassessor K., gehörte, herrschte am Vormittag des 12. October 1806 ein reges Treiben. Bauern der Umgegend, die ihre Bedürfnisse an Colonialwaaren hier zu holen pflegten, in weit hinabreichenden Röcken und den Dreimaster auf dem Kopfe, Stadtbürger mit Stulpstiefeln, langen Westen und steifer Halskrause, dazwischen einzelne Studenten in „Koller und Kanonen“, standen in und vor dem Laden in bunten Gruppen, die Köpfe zusammensteckend und eifrig gesticulirend.

Eine Glasthür führte neben dem Laden in die Stube des Herrn Rathsassessors; man konnte hinter ihr den alten Herrn sehen, wie er, die Pfeife im Munde, mit dem Rathsdiener verhandelte und dann und wann mächtige Dampfwolken ausstieß, während sein schmuckes zukünftiges Schwiegertöchterchen, die im Hause zu Besuch anwesend war, ab und zu ging. Jetzt nahm der Rathsdiener ein Actenbündel vom Tische und trat aus der Glasthür unter die Versammelten.

Er hatte die wichtigste Miene aufgesteckt, über welche er verfügte, und ließ den Strom der Andrängenden erst in nächster Nähe sich aufstauen.

„Wißt Ihr jetzt etwas Sicheres, ob die Franzosen heute kommen?“ fragte es durch einander.

„Sie kommen wahr und wahrhaftig,“ antwortete der würdige Rathsdiener bedächtig; „wer noch einen Preußen von der Saalfelder Affaire her im Hause hat, der laufen kann, mag ihm Beine machen, und wer sein Baares oder Pretiosen noch unverwahrt hat, der mag sich dazuhalten, daß er solches gut verschließt oder vergräbt.“

Rasch stob, unter vereinzelten Jammerrufen, ein Theil des Schwarms aus einander, während die Uebrigen den Alten, der sich mit den Ellenbogen Bahn machte, weiter geleiteten, eifrig bemüht, Genaueres aus ihm herauszulocken. Manches böse, zornige Wort fiel, mancher kräftige Fluch – vielleicht gerade um deswillen, weil man wußte, daß man alles Kommende ohne Widerstand über sich werde ergehen lassen müssen.

In dem Stübchen hinter der Glasthür war es still, vor dem Hause einsam geworden. Der Rathsherr dampfte, tief in seine sorgenvollen Gedanken verloren, dermaßen, daß das blühende junge Mädchen, welches diesmal in Begleitung eines dreizehnjährigen Knaben hereintrat, beim besten Willen ein Hüsteln nicht zu unterdrücken vermochte. Der Knabe – nachmals mein Vater – trug eines jener Stammbücher in der Hand, in welche Freunde und Verwandte sich zur Erinnerung einschreiben pflegten und welche leider fast gänzlich durch die modernen Photographien-Albums verdrängt worden sind.

„Papa, Sie haben das noch nicht gelesen,“ sagt der Junge hastig. „Wenn nun die Franzosen kommen und lesen das, da

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 373. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_373.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)