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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


wenn sie nicht auftritt mit Tollheiten, Unzukömmlichkeiten, Zwistigkeiten, Frieden und Krieg, Lust und Leid, Gefahren, bösen Zungen, Gemurre, Eifersucht, Zank, Mißtrauen, Furcht, Zorn, Tod und Verderben“. Sein ungestümes Treiben wurde ihm schließlich verhängnißvoll. Während der Frohnleichnamsprocession 1552 beleidigten zwei Masken den königlichen Stallmeister Borges und geriethen mit ihm in Streit. Zufällig kam Camoens herbei, erkannte in den Masken zwei seiner Freunde und prügelte Borges ohne weitere Untersuchung durch, was zur Folge hatte, daß er verhaftet und in Ketten gelegt wurde. Erst nach fast einem Jahre erhielt er die Freiheit wieder, doch unter der Bedingung, daß er als Soldat nach Ostindien gehen müsse. Am 7. März 1553 verließ er das Gefängniß, und schon zwei Wochen später schiffte er sich ein, um dieser Bedingung zu entsprechen.

Schweren Herzens trennte er sich von seinem trotz alledem und alledem geliebten Lissabon. Nach seiner eigenen Aussage murmelte er beim Betreten des Schiffes Scipio Afrikanus' Worte: „Undankbares Vaterland, du wirst meine Gebeine nicht besitzen.“ Von den vier bis fünf Schiffen, aus denen die betreffende Flotte bestand, erreichte nur dasjenige, auf welchem sich Camoens befand, den Bestimmungsort Goa; die übrigen gingen in Folge furchtbarer Stürme zu Grunde. Die Ankunft in Goa erfolgte Ende September nach mehr als sechsmonatlicher Fahrt. Trotz der traurigen Stimmung, die Camoens dort vorfand, und trotz der schändlichen Zustände, die in Indien herrschten, behagte es ihm anfänglich in seiner neuen Heimath recht gut; denn er traf hier viele Bekannte aus Portugal, sogar einige Verwandte, und sah sich geachteter und ruhiger als zu Hause. Bald jedoch wurde er der Ruhe überdrüssig und begann sich über den Mangel an Raufbolden und schönen Damen zu beklagen. Aber obgleich „hier alle Damen alt sind, ein elendes Portugiesisch sprechen und für Liebesabenteuer keinen Sinn haben“, verliebte er sich in eine Mulattin, deren schwarzem Teint er die schönsten Verse widmete.

Vier oder sechs Wochen nach seiner Ankunft in Goa schiffte er sich mit dem Vicekönig Alfonso de Noronha ein, um an dem zum Schutz des Königs von Cochin unternommenen Seekriegszuge theilzunehmen, von welchem die Lusitanen nach etwa einem Jahre als Sieger nach Goa zurückkehrten.

Wenige Monate später (1555) machte Camoens unter dem Admiral Manoel de Vasconcellos eine neue Flottenexpedition mit, die ihm so viele Widerwärtigkeiten eintrug, daß er sein Loos in einer Elegie als ein sehr bitteres beklagte. Nach seiner abermaligen Rückkunft schrieb er zur Feier des Amtsantrittes des neuen Vicekönigs das alsbald zur Aufführung gebrachte Schauspiel „Der Volksfreund“. Der Amtsantritt des neuen Vicekönigs Francisco Barreto führte indirect eine schmerzliche Wendung in des Dichters Leben herbei. Bei den nicht enden wollenden Festlichkeiten und Gelagen trat nämlich die Verderbtheit aller Stände so sehr zu Tage, daß Camoens die schreckliche Satire „Das Turnier“ schrieb und nach Lissabon schickte, wobei er den Wunsch äußerte, sie möge entweder gar nicht oder anonym veröffentlicht werden. Dennoch wurde die Sache ruchbar; der Verfasser machte sich Feinde, und der Vicekönig bestrafte ihn, indem er ihn als „Ober-Intendanten der Güter verstorbener und abwesender Landeskinder“ nach Macao versetzte – dem äußersten Punkte, den Europäer bislang im Osten besetzt hatten. Als Vorwand diente die angebliche Absicht, dem nothleidenden Camoens Gelegenheit zu Geldverdienst zu geben. Während der im März 1556 begonnenen Reise nach Macao litt er an der Küste von Cambodja Schiffbruch, rettete sich aber schwimmend und hielt dabei das Manuscript der bereits in Goa begonnenen „Lusiaden“ mit der Linken aus den Fluthen.

Trotz aller Fährlichkeiten wohlbehalten in Macao angelangt, hatte er alle Hände voll zu thun. Bei seiner Redlichkeit und seinem Muthe war er der richtige Mann, um den zahlreichen Unterschlagungen des Vermögens portugiesischer Kaufleute, die in der Fremde gestorben waren, Einhalt zu thun; als Baccalaureus besaß er auch die für sein Amt erforderlichen juristischen Kenntnisse. In Macao hatte er die ruhigste und materiell beste Zeit seines Lebens, und so konnte er sich denn freien Geistes dem Dienste der Muse widmen. In einer in der Nähe der Stadt liegenden Felsengrotte, welche die Portugiesen jener Colonie noch heute mit Stolz als „Camoens-Grotte“ zeigen, entstand der größte Theil der unsterblichen Heldendichtung „Os Lusiadas“ („Die Lusiaden“), in der er mit unvergleichlicher Schönheit die Größe seines Vaterslandes, die ruhmvollen Thaten seiner Nation verewigte – jenes poetische Monument, ohne das die portugiesische Literaturgeschichte keinen einzigen weltberühmten Namen aufzuweisen hätte.

Zwei Jahre verbrachte Luiz in Macao, und er wäre noch länger dort geblieben, hätte man nicht auf's Neue in Goa gegen ihn intriguirt; er wurde seines Amtes entsetzt und abberufen, um sich gegen die wider ihn erhobenen Beschuldigungen zu vertheidigen. Die über seine Verwaltung angestellte Untersuchung ergab seine Unschuld. Er kam nach Goa ebenso arm zurück wie er es verlassen hatte, und mußte wieder Schulden machen. Erschütternd wirkte auf ihn die Nachricht von dem Tode seiner noch immer heißgeliebten Catharina de Attayde.

Als sich ihm nach einiger Zeit Gelegenheit bot, nach Portugal zurückzukehren, ließ ihn einer seiner unbezahlt gebliebenen Gläubiger in's Gefängniß werfen, wo er seinen Trost in der Poesie suchte. Er wurde zwar bald in Freiheit gesetzt, allein die günstige Gelegenheit zur Heimkehr war versäumt. Den ihm zur Wiedererlangung der Freiheit gratulirenden Freunden gab er ein Banket, bei dem jeder Teller statt eines Gerichtes ein Gedicht enthielt – der unbemittelte Dichter konnte den Leuten eben nur geistige Nahrung bieten. Nun schien Camoens wieder einmal Glück haben zu sollen; den der 1561 ernannte Vicekönig Francisco Coutinho de Redondo, der ihn noch vom Lissaboner Hofe her kannte, that sehr viel für ihn, und der intime Umgang mit dem hervorragenden und edeln Dichter Heitor da Silveira bereitete ihm zahllose genußreiche Stunden. Allein schon nach zweieinhalb Jahren starb jener mächtige Gönner, und alsbald begann die dunkelste Periode in Camoens' Leben. Zwar war ihm auch der nächste Vicekönig, der schon in Ceuta mit ihm freudschaftlich verkehrt hatte, zugethan, und er versprach ihm eine ziemlich einträgliche Stelle in Chaul, die aber bis jetzt noch besetzt war. Allein drei Jahre wartete er vergebens auf das Freiwerden dieses Postens; die Zeit wurde ihm lang, und er fing an, sich ernstlich nach Portugal zurückzusehnen. 1567 erbot sich Pedro, der Neffe Francisco Barreto's, ihn mitzunehmen und lieh ihm zur Tilgung der dringlichsten Schulden eine größere Summe; aber während der Reise erzürnte sich Pedro gegen Camoens aus unaufgeklärten Gründen so sehr, daß er ihn, ohne sich weiter um ihn zu bekümmern, in Sofala (Mozambique) aussetzte, wo er zwei Jahre in größter Noth verlebte, auf die Unterstützung von Freunden angewiesen. Hier vollendete er die „Lusiaden“ und die aus einer langen Reihe kleinerer Gedichte bestehende Sammlung „Der Parnaß“. Im Winter 1569 sammelten einige Freunde das Geld und die Wäschstücke, deren er zur Abfahrt nach Lissabon bedurfte, welche im November erfolgte.

Am 7. April 1570 betrat Camoens nach siebenzehnjähriger Abwesenheit wieder den Boden seiner Heimath – „arm und verlassen, mit dem nackten Leben“, wie es bei Homer von Odysseus heißt. Ueberdies hatten Kerker und Ketten seinen Mannesmuth beträchlich gebeugt, und keine liebende Seele erwartete seine Heimkehr. Er mußte vom Mitleid Fremder leben; denn er besaß nichts, als sein „Lusiaden“-Manuscript. Und dennoch sind die schönsten Stellen dieses Epos diejenige, welche die Seligkeit des Gedankens an eine Heimkehr in's Vaterland behandeln. Wie verändert fand unser Patriot dieses Vaterland, und besonders die Hauptstadt! Die Pest hatte kurz vor seinem Eintreffen eine furchtbare Ernte gehalten; eine Geld- und Handelskrise war ausgebrochen; das Land wurde schlecht verwaltet; das frühere angenehme, ritterliche, literarische Hofleben hatte einem Getriebe religiöser Unduldsamkeit und politischer Ränke Platz gemacht. All diese Umstände erzeugten eine düstere Stimmung, die sich natürlich auch des warmfühlenden Camoens bemächtigte. Es stand zu befürchten, daß bei solchen Zuständen die „Lusiaden“ keine große Beachtung finden würden. Zum wenigsten hatte der Poet bei Hofe zwei Gönner, die ihm (September 1571) beim Könige das Druckprivilegium erwirkten, sodaß „Die Lusiaden“ im Juli 1572 in den Buchhandel kamen, und obschon sofort eine Anzahl Gegner über ihn herfielen, indem sie ihm den Vorwurf machten, er habe zahlreiche neue Wörter und Formen geschaffen, erzielte das Werk einen riesigen Erfolg. Noch in demselben Jahre wurde eine zweite Auflage nöthig, und Pedro da Alcazova Carneiro beantwortete die Frage, welchen Hauptfehler er an den „Lusiaden“ zu tadeln finde, mit dem hübschen Worte: „Den sehr großen, daß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_372.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)