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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


um ihren Bruder, den Baron Heideck, der in allen wichtigen Fällen ihr Rathgeber und ihre Stütze war, zu sich zu rufen. Er war auch sofort aus der Residenz eingetroffen, und Graf Edmund hatte nunmehr den Kampf mit der Mutter und dem Vormund zugleich aufzunehmen.

Der Letztere war erst vor einigen Stunden angelangt und befand sich jetzt mit der Gräfin allein im Zimmer. Er war um mehrere Jahre älter als seine Schwester, aber während sie sich eine noch beinahe jugendliche Erscheinung zu bewahren gewußt hatte, war bei ihm eher das Gegentheil der Fall. Kalt, ernst und sehr gemessen in Haltung und Sprache, verrieth er schon in seinem Aeußern den vornehmen Bureaukraten. Er hörte schweigend und aufmerksam der Gräfin zu, die soeben ihren Bericht schloß.

„Wie ich Dir bereits schieb, ist mit Edmund nichts anzufangen. Er besteht hartnäckig auf diesem Heirathsplane und bestürmt mich mit Bitten um meine Einwilligung dazu. Ich wußte mir schließlich nicht anders zu helfen, als indem ich Dich herbeirief.“

„Daran hast Du sehr recht gethan,“ sagte der Baron, „denn ich fürchte, Du allein hast nicht die nöthige Festigkeit, wenn es sich um einen Herzenswunsch Deines Lieblings handelt. Ich denke aber, wir sind darin einig, daß diese Verbindung unter allen Umständen verhindert werden muß.“

„Gewiß sind wir das,“ stimmte die Gräfin bei. „Es fragt sich nur, wie wir sie verhindern. Edmund wird in Kurzem mündig und ist dann unumschränkter Herr seines Willens.“

„Er hat sich bisher stets dem Deinigen gefügt,“ warf Heideck ein. „Er liebt Dich über alles.“

„Bisher!“ sagte die Gräfin mit aufquellender Bitterkeit. „Jetzt liebt er noch eine Andere außer seiner Mutter. Es muß sich erst zeigen, ob ich noch den alten Platz in seinem Herzen behaupte.“

„Laß Deine mütterliche Empfindlichkeit, Constanze!“ mahnte der Bruder, „sie allein hat das Ganze verschuldet. Du hast Deinen Sohn von jeher mit einer Ausschließlichkeit und Eifersucht geliebt, die Dir den Gedanken an seine Heirath unmöglich machte. Deshalb allein wiesest Du den Vorschlag zu einer standesgemäßen Verbindung zurück, den ich Dir im vorigen Jahre machte, und der damals leicht zu verwirklichen war. Du siehst, was daraus entstanden ist. Doch wir müssen jetzt Stellung zu der Sache nehmen. Dieser Rüstow ist sehr reich?“

„Wenigstens gilt er dafür in der ganzen Umgegend.“

„Auch in der Residenz! Er hat sich erst kürzlich bei einer unserer großen industriellen Unternehmungen mit ganz erstaunlichen Mitteln betheiligt. Ueberdies wird er von allen Seiten als eine Autorität in seinem Fache angesehen; sogar im Ministerium legt man Werth auf seine Meinung in wirthschaftlichen Fragen. Dazu kommt noch seine Verschwägerung mit der Ettersberg'schen Familie, welche trotz alledem doch nun einmal existirt – man kann die Sache nicht so ohne Weiteres als eine Mesalliance behandeln.“

„Nein, und ich glaube, darauf baut Edmund.“

„Er baut nur auf Deine grenzenlose Liebe für ihn, von der er Alles zu erreichen hofft und auch erreichen würde, wenn ich nicht dazwischen getreten wäre. Du hast aber hier das Andenken und den Namen Deines Gemahls zu repräsentiren, der eine derartige Verbindung nie geduldet haben würde. Erinnere Dich, wie scharf er damals die Heirath seiner Cousine mit Rüstow verurtheilte! Du mußt durchaus in seinem Sinne handeln.“

„Das habe ich ja bereits gethan,“ sagte die Gräfin ein wenig gereizt, „aber wenn Edmund nicht hören will – –“

„So wirst Du seinen Gehorsam zu erzwingen wissen, gleichviel auf welche Weise. Dieses bürgerliche Element darf sich nicht wieder in den Stammbaum der Ettersberg eindrängen – es war genug an dem einen Male.“

Er sprach langsam, mit schwerer Betonung, und die Gräfin erbleichte unter dem beinahe drohenden Blicke des Bruders.

„Armand, was soll das? Ich –“

„Ich sprach von der Heirath Rüstow's mit der Cousine Deines Gemahls,“ unterbrach sie der Baron kalt. „Aber ich glaube, die Erinnerung war nothwendig, um Dich daran zu mahnen, daß Du hier nicht schwach sein darfst. So wenig es Dir sonst an Energie fehlt: Deinem Edmund gegenüber bist Du stets eine allzu zärtliche Mutter gewesen.“

„Vielleicht!“ sagte die Gräfin mit schmerzlicher Bitterkeit. „Er ist ja das Einzige gewesen, was ich lieben durfte, seit – seit Du mich zwangest, dem Grafen die Hand zu reichen.“

„Nicht ich, die Verhältnisse haben Dich dazu gezwungen. Ich dächte, Du hättest in Deiner Jugend Armuth und Entbehrungen genug kennen gelernt, um die Hand des Bruders zu segnen, die Dich aus diesem Elend riß, um Dich auf die Höhen des Lebens zu führen.“

„Segnen?“ wiederholte die Gräfin leise, mit halb erstickter Stimme. „Nein, Armand, das habe ich nie gethan.“

Baron Heideck runzelte die Stirn.

„Ich habe damals nach Pflicht und Gewissen gehandelt. Es galt, unserem Vater eine letzte Lebensfreude, der Mutter eine sorgenfreie Zukunft und Dir selber eine glänzende, vielbeneidete Lebensstellung zu sichern. Wenn ich Dich dazu drängte, wenn ich Dich gewaltsam von einer Jugendschwärmerei losriss, so geschah es in der festen Ueberzeugung, daß die Vergangenheit für die Gräfin Ettersberg nicht mehr existiren werde. Ich konnte unmöglich voraussehen, daß ich meiner Schwester – zu viel getraut hatte.“

Die Gräfin zuckte zusammen bei den letzten Worten und wendete sich ab.

„Laß diese Erinnerungen, Armand! Ich ertrage sie nicht.“

„Du hast Recht,“ sagte Heideck abbrechend. „Wir wollen die Vergangenheit ruhen lassen; hier handelt es sich um die Gegenwart. – Edmund darf diesen romantischen Jugendstreich nicht ausführen. Ich habe nur erst flüchtig mit ihm gesprochen, auf dem Wege hierher, als er mich von der Bahnstation abholte. Ich vermied absichtlich, näher auf die Sache einzugehen, um erst Rücksprache mit Dir zu nehmen. Ich habe aber mit Bestimmtheit den Eindruck empfangen, daß es sich hier um keine tiefe und ernste Leidenschaft handelt, die alle Schranken niederwirft und Alles daran setzt, ihr Ziel zu erreichen – davon ist keine Rede. Er ist eben verliebt in ein junges und, wie es heißt, sehr schönes Mädchen und möchte nun gleich auf der Stelle heirathen. Wir werden aber dafür sorgen, daß das nicht geschieht. Gegen derartige tändelnde Gefühle haben wir noch Waffen genug.“

„Das hoffe ich auch,“ entgegnete die Gräfin, die sich augenscheinlich zwang, zu dem ruhigen Gesprächston zurückzukehren. „Eben deshalb bat ich Dich zu kommen. Du bist der Vormund.“

Heideck schüttelte den Kopf. „Meine Vormundschaft ist stets nur ein formelles Recht gewesen, und in wenigen Monaten erlischt es ganz. Dem wird sich Edmund schwerlich beugen, aber Dir beugt er sich; denn er ist es gewohnt, sich von Dir leiten zu lassen. Stelle ihm einmal die Wahl zwischen Dir und seiner Neigung, drohe ihm, Ettersberg zu verlassen, wenn er diese Braut hier einführt! Er hängt mit ganzer Seele an Dir; er wird seine Mutter nicht verlieren wollen.“

„Nein, das wird er nicht,“ fiel die Gräfin mit vollster Ueberzeugung ein. „Noch bin ich seiner Liebe sicher.“

„Du wirst es auch ferner sein, wenn Du es verstehst, Deine Macht über ihn zu gebrauchen und ich zweifle nicht, daß das im vollen Umfange geschehen wird. Du weißt es ja, Constanze, daß bei Deinem Sohne, gerade bei ihm, die Tradition der Familie um jeden Preis gewahrt werden muß. Bedenke das!“

„Ich weiß es,“ sagte die Gräfin tief aufathmend. „Sei ohne Sorge.“

Es trat eine kurze Pause ein; dann nahm Baron Heideck von Neuem das Wort.

„Und nun zu der andern unerquicklichen Angelegenheit! Willst Du Oswald rufen lassen? Ich möchte ihn doch über seine wunderbaren Zukunftspläne zur Rede stellen.“

Die Gräfin klingelte. „Melden Sie dem Herrn von Ettersberg, daß Baron Heideck ihn zu sprechen wünscht und ihn hier erwartet,“ befahl sie dem eintretenden Diener. Dieser entfernte sich mit der gegebenen Weisung, während der Baron sarkastisch fortfuhr:

„Das muß man zugestehen, Edmund und Oswald wetteifern förmlich darin, dem Ettersberg'schen Namen erhöhten Glanz zu verleihen. Der Eine will die Tochter eines ehemaligen Pächters heirathen und der Andere sich eine Advocatenpraxis gründen. Oswald kann doch nicht plötzlich auf diese Idee gekommen sein.“

„Ich glaube, er hat sie schon jahrelang mit sich herumgetragen und jahrelang darüber geschwiegen,“ sagte die Gräfin.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_368.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)