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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


in den Stand gesetzt war, mit einem tüchtig gefüllten Schulsack die Universität zu beziehen. Auf dieser ist Kurz seinem Brotstudium, der Theologie, soweit fleißig obgelegen, daß er im Stande, seinen Hochschulkursus mit Bestehung des regelrechten Examens zu beschließen. Sein sodann gemachter Versuch, vikarisirend als „Diener am Worte“ thätig zu sein, war freilich von kurzer Dauer. Wahrscheinlich hat der Umstand, daß er kein Redner war, diesen Versuch noch beträchtlich abgekürzt. Fortan hatte er mit der Theologie keinen näheren Verkehr mehr. Innerste Neigung führte ihn der Literatur zu, und er hatte sich für die Schriftstellerei philologisch und philosophisch sehr eifrig und erfolgreich vorbereitet, wie das ja auch sein Alters- und Studiengenoß, Mitpoet und Freund, der lange nicht genug gekannte Ludwig Seeger, der geniale Verdeutscher des Aristophanes und des Béranger, gethan hatte. Es ist bedauerlich, daß die zerstreuten kritischen und literarhistorischen Forschungen und Findungen von Kurz nicht gesammelt sind. Eine Zusammenstellung dieser Arbeiten würde die gründlichen Kenntnisse, den spürenden Scharfsinn und das besonnene Urtheil des Verfassers erfreulich darthun. Schon während seiner Gymnasialjahre in Maulbronn hatte Kurz nicht allein auf dem Gebiete der alten, sondern auch der neuen Sprachen fleißig und mit schönem Erfolge sich umgethan. Zeugnisse hierfür sind seine zahlreichen poetischen Uebersetzungen, verdeutschte Dichtungen von Ariosto, Shakespeare, Byron, Moore, Cervantes. Den Ton von Shakespeare und Byron hat der Uebersetzer, wie mir vorkommt, nicht ganz getroffen. Dagegen müssen seine Verdeutschungen von Ariost's „Orlando furioso“ und von Moore's „Paradise and the Peri“ zu den Meisterwerken deutscher Uebersetzungskunst gestellt werden. Es ist unmöglich, die „corbellerie“ – um nicht, wie die andere Lesart lautet, zu sagen die „coglionerie“ – des Messer Lodovico gutlauniger und anmuthiger nachzudichten, als es Kurz gethan hat, und unvergleichlich schön wußte er auch das Schimmernde und Flimmernde, den lyrischen Schmelz und die sprachliche Musik des berühmten Moore'schen Gedichtes wiederzugeben. Die Uebertragung der schwankhaften „Zwischenspiele“ des großen spanischen Dichters ist ebenfalls vortrefflich gelungen …

Zur Zeit meiner Befreundung mit Kurz stand er in der Vollkraft seines Wollens und Könnens. Der Roman Schiller’s Heimatjahre“ war erschienen und hatte zwar nicht bei der Menge, aber doch bei Urtheilsfähigen einen Beifall gefunden, welcher den Verfasser wohl zu weiterem Schaffen ermuthigen konnte. Zunächst arbeitete er an der Neudeutschung und Beschließung des „Tristan“ Gottfried’s von Straßburg, welches Werk, mit einer gediegenen Einleitung ausgestattet, unlange darauf veröffentlicht wurde. Kurz war dazumal eine hochragende, hagere, schmalschulterige Gestalt, mit vorgeneigtem Kopfe etwas schlotterig einhergehend. Bleicher Gesichtsfarbe, blonden Haares und Bartes, eckigen Gebarens und zugeknöpfter Haltung, wie er war, hatte seine ganze Erscheinung für den flüchtigen Beobachter wenig Anziehendes. Bei genauerem Zusehen mußten die anmuthige Bildung seines Mundes, der treuherzige Blick ungewöhnlich glänzender Augen und ein über die ganze Physiognomie gebreiteter Hauch träumerischer Resignation den Beschauer gewinnen. Zu seinen Gewohnheiten gehörte, zum „Burger Frank“ und zum „Bürger Ochsenjergle“ immer zu spät zu kommen, um sich dann darüber zu ärgern, daß wir anderen seiner Meinung zufolge immer zu früh gingen. Ein Hochgenuß war es, den Rubens (Seeger), den Ostjäk (Finkh) und den Blauen (Kurz) mitsammen in Erinnerungen an ihre Stiftlerjahre sich ergehen zu hören. Dem Seeger fielen da die tollsten Schnurren nur so aus den Aermeln; der Finkh lachte dazu, daß die Zimmerdecke schütterte; der Kurz lächelte, still in sich vergnügt „wie ein Maikäfer“, und nahm eine „währschafte“ Prise.

Zur Politik verhielt sich der Dichter damals noch ganz gleichgiltig. Das änderte sich aber mit seiner Uebersiedelung nach Karlsruhe, wo er in mehrjährigem Umgange mit den Führern der badischen Kammeropposition zum regelrichtigen Liberalen sich auswuchs. Er hät später die Wendungen und Wandlungen der liberalen Doktrin in aller Ehrlichkeit mitgemacht und selbst die kindlichsten Illusionen der Partei aufrichtig getheilt. Ist es ihm doch unter anderem begegnet, daß er – zu Anfang des Jahres 1848 nach Stuttgart zurückgekehrt und nach dem großen Zusammenbruch von 1849 und der Flucht des braven Adolf Weißer mit der Redaction vom „Beobachter“ betraut – lange noch mit der Seifenblase der sogenannten „Trias-Idee“ ernsthaft spielte, nachdem der Bundestag schon wieder im Thurn- und Taxis’schen Palast in der Eschenheimer Gasse installirt war. Die Sache ist, Politik war und blieb dem Träumer von Poeten im Grunde allzeit etwas Aeußerliches, etwas blos Anempfundenes, etwas Unsympathisches. Hat er mir ja mitten im Wirbel des großen Sturmjahres einmal seufzend gestanden, der ganze Zeitungskram ekelte ihn an, und er fühlte sich recht glücklich, wenn er sich aus der „heulenden Wüste“ der Tagesfragen für etliche Stunden in die stille Oase der Beschäftigung mit irgendeinem literarischen Problem zurückziehen könnte. Natürlich hat er dessenungeachtet den schimmernden Märztraum von 1848 mit ganzer Seele mitgeträumt. Zeugniß dessen sein „Vaterlandslied“, welches edle Gedicht das ganze Vertrauen, die ganze Hoffnung, den ganzen Jubel und Ueberschwang jener wunderbaren Märztage gerade so seelenvoll offenbart, wie Freiligrath’s Zornflammenschrei „Der Todten an die Lebenden“ die ganze Enttäuschung, den ganzen Grimm und Groll der Novembertage herzzerreißend kundgibt.

Es ist heutzutage schwer, in die Stimmung sich zu versetzen, aus welcher heraus Kurz sein „Vaterlandslied“ sang. Ja, ich stehe nicht an, zu sagen, daß man jenen Frühling miterlebt haben muß, um begreifen zu können, wie der schwäbische Dichter auf die Aetherhöhe weltbürgerlichen Idealismus sich zu erschwingen vermochte, von welcher aus er der „großen Mutter“ Germania in den Schlußstrophen seines Gedichtes zurief:

     „Lauschend nach des Geistes Sonnen,
Sankst du hin, zum Sterben wund,
Aber Flut vom Lebensbronnen
Quoll dir aus des Todes Schlund.
Keine Freiheit ohne diese!
Bleiche Weltbefreierin,
Deine kühne Wahrheit gieße
Ueber alle Völker hin!

     Deine Seher, deine hellen,
Kannten wohl der Sterne Lauf:
Endlich steigt aus Sturm und Wellen
Jenes Friedenseiland auf,
Wo aus Dornen sich die Rose
Ungeknickt entfalten kann, –
Ja, und säuselnd bricht der große
Schöne Völkerfrühling an.

     Endlich siegt der wahre Glaube,
Der die Menschheit menschlich macht.
Mit dem Oelblatt kommt die Taube
Und der Rabe flieht zur Nacht.
Aller Völker bunt Gewimmel
Wird ein freier Volksverein
Und der längst verlorne Himmel
Kehrt auf Erden wieder ein.“

Das Vaterlandslied erschien im „Beobachter“ am 26. März von 1848, an jenem sonnigen Sonntag, an welchem zu Göppingen am Fuße des Hohenstaufen die große Volksversammlung stattfand und welcher wohl der schönste Tag der bekanntlich sehr harmlosen schwäbischen „Revolution“ genannt werden darf. Als wir vom Bahnhof durch das Menschengetümmel dem Platze vor dem Rathhause zuschritten, von dessen Balkon herab die Ansprachen gethan und die Schlußnahmen beantragt werden sollten, disputirte unterwegs Kurz mit dem „rothen Pfau“, welcher schließlich gelassen das große Wort aussprach:

„Das Gescheideste wäre halt doch, wenn wir ohne weiteres die Republik proklamirten.“

Wogegen Kurz ganz furibund: „Was? du wilde Gans, wohin verfliegst du dich? Ihr Ueberstürzler werdet alles zu Grunde richten.“

Der „rothe Pfau“ war über diesen unerwarteten Ausbruch des „sanftlebenden Fleisches von Reutlingen“ für einen Augenblick bis zur Sprachlosigkeit verblüfft. Dann brummte er: „Jetzt hört aber doch alles auf, wenn auch noch der Blaue den Staatsmann heraushängen will.“

Der hinter ihm hergehende Ostjäk tröstete ihn: „Ja, weißt Du, Pfaule, seit etzlichen Tagen grassiren halt die Staatsmänner. Jedennoch die blaue Staatsmännischkeit kommt mir grün vor, sehr grün.“

Wir lachten; der Blaue lächelte und nahm eine unendliche Prise. Ueberhaupt ging es bei der schwäbischen „Revolution“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_359.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)