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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Es wird hin und her gerathen und discutirt; fünf Professoren, Dohrn von Neapel, Metschnikoff von Odessa, Götte von Straßburg, Duplessis von Lausanne und Vogt von Genf, lassen das Uhrglas von Hand zu Hand gehen, betrachten das Ding mit der Lupe, schütteln den Kopf; so und so viel Doctoren thun dasselbe. Jeder hat eine andere Meinung; endlich sagt Dohrn:

„Nehmen Sie den Teufelswurm, Lang, zeichnen Sie ihn genau, so lange er lebt, und dann härten und färben Sie ihn und machen Sie Schnitte! Da muß es sich ja wohl zeigen, weß Geistes Kind er ist.“

Aber es zeigte sich nicht, oder vielmehr, es kam schließlich heraus, daß wir Alle durch ein abgerissenes Stück eines Tentakels von irgend einem Wurme gefoppt worden waren, das sich in sich selbst eingestülpt hatte und nun aussah wie ein Wurm, der einen langen Rüssel einziehen und ausstrecken konnte. Die kleine Geschichte giebt uns auf's Neue den Beweis, daß all unser Wissen Stückwerk ist und daß noch für lange Zeiten Stoff genug für Untersuchungen am Meere sich findet, wenngleich einige Weisheitskrämer die Meinung geäußert hatten, die Errichtung einer Station sei schon deshalb unzweckmäßig, weil die Bucht von Neapel in wenig Jahren durch die Menge der dort sich einfindenden Naturforscher so gründlich durchstudirt sein müsse, daß gar nichts mehr für die Nachfolger übrig bleiben werde. Du lieber Himmel! Jede Forschung erzeugt neue Probleme, neue Forschung.

„Na, Petersen, was ist denn schon wieder los?“ fragt Dohrn einen jungen Mann, der eine Nebentreppe herunter eilt.

„Was los ist, Herr Dohrn?“ antwortet dieser in kurzen über einander purzelnden Sätzen; „was los ist? Mit Ihrer Erlaubniß, die Bacterien sind los; die Vibrionen kommen uns über den Hals. Alles stirbt.“

„Nanu! So arg wird es doch nicht sein?“

„Aber doch, Herr Dohrn! Das Wasser wird schon trübe im großen Arbeitssaal, und wenn wir nicht Einhalt thun, kommen die Vibrionen hinunter in das Aquarium.“

„Das wäre doch zu toll. Da müssen Sie sich mit aller Macht entgegenstemmen.“

„Wir werden Alles ausputzen und gleich den Strom absperren. Aber ich muß Hülfe haben.“

„Alle Hände auf Deck, Petersen! Schade um die schönen Colonien von Hydroïd-Polypen und die lustige Gesellschaft von kleinen Mysis-Krebschen, die sich in dem Aquarium des großen Arbeitssaales festgesetzt hatten! Aber, à propos, Petersen, können wir morgen fahren?“

„Mit dem Dampfer? Nein Herr Dohrn, ich brauche die Leute morgen noch zum Putzen und Reinigen. Wir müssen finden, wo sich die Vibrionen entwickeln.“

„Der Professor Vogt möchte gern dabei sein, wenn wir mit dem Scaphander tauchen.“

„Versteht sich! Uebermorgen wird Alles in Ordnung sein. He! Aniello! Michele! Francesco! Wir wollen nach oben gehen.“

Nach kurzer Zeit erscheint Petersen, der Obermaschinist, wieder auf der Bildfläche, freundlich lächelnd.

„Ich glaube, wir haben's. Das Zuflußrohr oben ist zu weit. Es darf keine Luft hineinkommen. Wir machen es enger.“

„Also können wir morgen fahren?“

„Nein, wir müssen morgen Kohlen im Arsenal fassen. Auch geht der Hamburger Dampfer ab –“

Vielleicht hat der Leser durch das Gesagte einen, wenn auch nur schwachen Einblick in das vielfach bewegte Leben gewonnen, das in der Dohrn’schen Station sich entfaltet, und dem trotz der scheinbaren Ungebundenheit eine festgefügte Organisation zu Grunde liegt. Jeder der immerhin zahlreiche Beamten hat sein specielles Departement, seine bestimmte Aufgabe und Verantwortlichkeit; abwechselnd von Woche zu Woche ist Reih’ um einer du jour, der das Kommen und Gehen der Diener und Angestellten zu überwachen und zu controlliren hat und Morgens der Erste, Abends der Letzte auf dem Platze sein muß. Jeder hat Rechnungsbücher zu führen, Beobachtungstabellen zu bearbeiten, bestimmte wissenschaftliche Aufgaben durchzuführen, je nach specifischen Talenten und Neigungen. Es herrscht ein angenehmer Ton freier, aber gebildeter Sitte unter diesem aus allen Ländern deutscher Zunge zusammengewürfelten Generalstab der Station; ich bin während vierzehn Tagen beim einfachen Frühstück ihr Tafelgenosse gewesen und habe nur die angenehmsten Erinnerungen davon nach Hause gebracht.

Gar Mancher, der keinen Begriff von den Aufgaben hat, welche die wissenschaftliche Forschung sich heute stellen muß, mag über diesen Generalstab von acht Beamten, denen noch eine doppelt so große Anzahl von untergeordneten Bediensteten zur Seite steht, bedenklich den Kopf geschüttelt haben, und manche Forscher der alten Schule, an Geringfügigkeit der Aushülfe und Mittel gewöhnt, haben ihre Zweifel laut werden lassen. Ich muß offen gestehen, daß ich zum Theil derselben Ansicht war, bis ich mich durch längeres, eingehendes Studium der Verhältnisse vielmehr zu der Ueberzeugung bekehrte, daß das Personal der Anstalt nur mit äußerster Anspannung der Kräfte den Aufgaben genügen kann und weit eher eine Vermehrung, als eine Verminderung des Personals in Aussicht zu nehmen ist.

Es ist leicht, diese Behauptung zu begründen.

Regierungen und Institute haben über zwanzig Arbeitstische gemiethet, zu deren Benutzung sie berechtigte Forscher nach der Anstalt senden. Anfangs April arbeiteten dort, wie mir mein Assistent berichtet, welcher den Schweizer-Tisch einnimmt, 26 Personen. Diesen muß beständig das Material an Thieren und Pflanzen geliefert werden, dessen sie zu ihren Untersuchungen bedürfen. Zwei Segelboote und zwei Ruderboote sind fortwährend mit dieser wissenschaftlichen Fischerei beschäftigt – bald mit dem feinen Netze an der Oberfläche, um pelagische Thiere zu haschen, bald mit Schleppkratzen, Reusen, Netzen und Angelschnüren auf den Untiefen.

Es zeigte sich bald, daß die Kräfte, welche man auf diesen Fahrzeugen entwickeln konnte, zu der so unendlich wichtigen Tieffischerei nicht ausreichten; die Akademie der Wissenschaften in Berlin schenkte einen kleine Dampfer, zu welchem das preußische Unterrichtsministerium einen Beitrag gab – die ganze Flottille, so klein sie ist, bedarf Mannschaft, der Dampfer einen Maschinisten, Leute zur Handhabung der schwere Schleppnetze, der Luftpumpen des Tauchapparates. Außerdem haben sich die Fischer des Golfs daran gewöhnt, in die Station zu bringen, was sie auf dem Markte nicht verwerthen können, und so sind schon die seltensten und schönsten Stücke zur Beobachtung gekommen.

Wie bei der Jagd, spielt bei der Fischerei der Zufall eine bedeutende Rolle. Um ein bestimmtes Thier beschaffen zu können, muß man oft Haufen anderer Thiere in den Kauf nehmen. Ein Beispiel! Dr. Lang, der Bibliothekar der Station, bearbeitet nebenbei für die Fauna des Golfes die Plattwürmer und speciell die Gruppe der Planarien. Diese äußerst delicaten, oft mit den schönsten Farben gezierten Strudelwürmer verkriechen sich so zwischen Algen, in Löchern und Ritzen der Felsen, daß man sie kaum erblicken und auch dann meistens nicht haschen kann, ohne sie zu zerreißen. Man muß die mit hundert und aber hundert Thier- und Pflanzengebilden bewachsenen Grundproben ruhig im Wasser stehen lassen – nach einigen Stunden oder selbst erst nach Tagen kommen die blattartigen Thiere hervor, kriechen oder schwimmen umher. Man hat jetzt Planarien, aber nebenher die schönsten Grundthiere, Korallen, Seesterne, See-Igel, Moosthiere etc. eingefangen. Die letzteren passen nun zwar vielfach für das große, dem Publicum geöffnete Aquarium, das einestheils durch die Besucher eine Einnahmequelle ist, anderntheils einen unversiechbaren Reservefonds für die Forscher bildet, aber dieses Aquarium bedarf eines umsichtigen, kenntnißreichen Leiters, der seinen Pfleglingen mit liebevoller Aufmerksamkeit folgt; es bedarf weiterer Beamten an der Casse, Diener für die Besorgung.

Nicht Alles paßt für das Aquarium. Aber Museen, Unterrichtsanstalten und Private schreien nach wohl conservirten Seethieren, und je eifriger man sich bemüht, diesen Forderungen gerecht zu werden, desto stürmischer wird die Nachfrage. Der Export solcher conservirten Thiere verlangt eine bedeutende Correspondenz und genaue Buchführung – der Leiter dieses Geschäftszweiges, dessen stets fortschreitende Entwickelung gezeigt hat, daß er einem wesentlichen Bedürfnisse entspricht, muß zugleich ein wissenschaftlich gebildeter Mann sein – er hat mit seinen Gehülfen vollauf zu thun.

Die Herstellung mikroskopischer Präparate ist ein ganz bedeutender Industriezweig geworden. Es giebt kaum eine Secundärschule, welche nicht eine Sammlung mikroskopischer Präparate besäße; die Universitäten bedürfen derselben massenhaft. Viele dieser Präparate können nur am Meeresstrande hergestellt oder vorbereitet werden. Man verlangt sie von allen Seiten. Der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_342.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)