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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


mußte dabei nothgedrungen über Oswald's Zimmer verfügen. Er wird wohl nichts dagegen einzuwenden haben; er ist drüben in der Erkerwohnung auch recht gut logirt.“

„Gewiß, liebe Tante!“

Die Erwiderung klang vollkommen ruhig und gleichgültig, aber es mußte doch irgend etwas darin liegen, was dem jungen Grafen auffiel. Er runzelte leicht die Stirn und war im Begriff, etwas zu sagen, unterdrückte es aber mit einem Blick auf die umstehenden Diener. Statt dessen trat er plötzlich auf seinen Vetter zu und ergriff dessen Hand.

„Nun, das wird sich ja finden. Aber jetzt geh, Oswald, und kleide Dich sofort um! Hörst Du, auf der Stelle! Du darfst keine Minute länger in den nassen Kleidern bleiben, wenn ich mir nicht ernstlich Vorwürfe machen soll. Thu' es mir zu Liebe; wir warten jedenfalls bei Tisch auf Dich.“

„Edmund, ich warte auf Dich, klang die Stimme der Gräfin in unverkennbarer Schärfe.

„Im Augenblick, Mama! Eberhard, leuchten Sie Herrn von Ettersberg und sorgen Sie unverzüglich für trockene Kleider!“

Mit diesen Worten reichte er seiner Mutter den Arm, um sie hinaufzuführen. Oswald hatte die so herzlich kundgegebene Sorgfalt mit keiner einzigen Silbe beantwortet. Er blickte den Beiden einige Secunden lang nach und nahm dann dem alten Diener, der soeben herantrat, den Armleuchter aus der Hand.

„Es ist gut, Eberhard. Ich finde den Weg schon allein. Sehen Sie nach meinem Koffer!“

Damit trat er in den nur schwach erleuchteten Corridor, der nach dem Seitenflügel des Schlosses führte. Die Kerzen warfen ihren hellen Schein auf das Gesicht des jungen Mannes, das jetzt, wo er sich allein sah, seinen gleichgültige Ausdruck verloren hatte. Die Lippen waren fest auf einander gepreßt, die Brauen finster zusammengezogen, und ein Ausdruck fast des Hasses entstellte seine Züge, als er halblaut murmelte:

„Wann endlich werde ich frei werden?“




Das Geschlecht der Grafen von Ettersberg war ursprüglich ein großes und weitverzweigtes gewesen, aber im Laufe der Jahre hatten der Tod oder die Vermählung der weiblichen Mitglieder einen Zweig nach dem andern abgelöst, und gegenwärtig existirten außer der verwittweten Gräfin, die in Ettersberg lebte, nur noch zwei Vertreter des Namens, Graf Edmund, der jetzige Majoratsherr, und sein Vetter Oswald.

Der Letztere theilte das Schicksal aller jüngeren Söhne in den Familien, wo die Güter ausschließlich Majorat sind. Ohne jedes Vermögen, war er gänzlich auf die Abhängigkeit von dem Chef des Hauses angewiesen, wenigstens so lange, bis ihm eine eigene Lebensstellung zu Theil wurde. Freilich war das nicht immer so gewesen – im Gegentheil, seit seiner Geburt ward er von seinen Eltern als der voraussichtliche Majoratserbe begrüßt. Das damalige Haupt der Familie, Edmund's Vater, war kinderlos und erst in vorgerücktem Alter Wittwer geworden; sein einziger Bruder, der bedeutend jünger war und in der Armee diente, konnte sich also mit Fug und Recht als dereinstigen Erben betrachten. Es galt ihm deshalb auch als besonderes Glück, als ihm nach längerer Ehe, die bisher nur mit früh verstorbenen Töchtern gesegnet war, ein Sohn geboren wurde. Auch der Oheim begrüßte dieses Ereigniß, das die Zukunft seines Hauses sicherte, mit großer Freude, und die Aussichten des kleinen Oswald während seiner ersten Lebensjahre waren die glänzendsten.

Da trat eine ganz unerwartete Schicksalswendung ein. Der mehr als sechszigjährige Graf Ettersberg führte ein zwanzigjähriges Mädchen als zweite Frau zum Altar. Die junge Gräfin war sehr schön, aber sie stammte aus gänzlich verarmter, wenn auch edler Familie. Es hieß damals, ihre Familie habe Alles aufgeboten, um die glänzende Partie zu ermöglichen, die allerdings die Herzensbedürfnisse eines jungen Mädchens nicht befriedigen konnte, um so weniger, als, wie allgemein behauptet wurde, das Band einer schon bestehenden Neigung durch jene Werbung jäh und plötzlich zerrissen worden war. Ob dabei von Seiten der Verwandten Zwang oder nur Ueberredung vorwaltete, das wußte Niemand; jedenfalls willigte die junge Dame in die Verbindung, die ihr eine vielbeneidete Lebensstellung gab. Der alte Graf Ettersberg erlag so vollständig dem Zauber dieser so spät auflodernden Leidenschaft, daß er alles Andere darüber vergaß, und als er nun vollends das kaum mehr erhoffte Glück hatte, einen Majoratserben in seinen Armen zu halten, da war die Herrschaft der schönen und klugen Frau vollständig gesichert.

Es war begreiflich, daß der jüngere Bruder diese vollständige Vernichtung seiner Aussichten sehr peinlich empfand, und ebenso begreiflich, daß er seiner Schwägerin keine besondere Freundschaft entgegenbrachte. Das ehemals herzliche Verhältniß zwischen den Brüdern machte der Kälte und Entfremdung Platz, die bis zum Tode des jüngeren andauerte. Er und seine Gattin starben rasch hinter einander, und der verwaiste Knabe kam in das Haus des Oheims, wo er gemeinschaftlich mit dem jungen Majoratserben erzogen wurde.

Aber auch der alte Graf Ettersberg überlebte den Bruder nicht lange. In seinem Testamente hatte er Sohn und Neffen der Vormundschaft seines Schwagers, des Bruders seiner Gemahlin übergeben, welcher der Schwester denn auch überall zur Seite stand, wo eine männliche Vertretung nothwendig war.

Im Uebrigen aber sicherte jenes Testament der Gräfin die vollste Freiheit und Selbstständigkeit aller Verfügungen, und sie leitete auch selbst die Verwaltung der Familiengüter und die Erziehung der beiden Knaben.

Jetzt war die letztere vollendet; Graf Edmund hatte während des Winters, in Begleitung seines Vetters, eine längere Reise nach Frankreich und Italien unternommen und war nunmehr zurückgekehrt, um sich mit der Verwaltung seiner Güter vertraut zu machen, die er bei seiner bevorstehenden Mündigkeit selbst übernehmen sollte, während Oswald sich darauf vorbereitete, in den Staatsdienst zu treten. – –

Es war am Morgen nach der Ankunft der beiden jungen Männer. Das Wetter hatte sich aufgehellt, aber die Landschaft bot noch einen völlig winterlichen Anblick. In ihrem Wohnzimmer befand sich die Gräfin allein mit ihrem Sohne. Die Dame hatte sich, obgleich sie bereits in der Mitte der Vierzig stand, doch ihre einst so blendende Schönheit noch größtentheils zu bewahren gewußt. Man hätte in dieser imposanten, aber noch beinahe jugendlichen Erscheinung schwerlich die Mutter eines vierundzwanzigjährigen Sohnes vermuthet, um so weniger, als kein einziger Zug auf eine Aehnlichkeit zwischen ihnen hindeutete. Edmund mit seinen dunklen Haaren und Augen, mit dem sprudelnden, feurigen Uebermuth, der sich in jedem Worte, in jeder Bewegung kundgab, war der directe Gegensatz zu seiner schönen ernsten Mutter, deren hellblondes Haar und blaue Augen mit der kühlen Ruhe harmonirten, die ihr gewöhnlich eigen war und die nur dem Lieblinge gegenüber einem wärmeren Ausdruck Platz machte.

Der junge Graf schien soeben eine Beichte abgelegt zu haben über das, was Oswald seine „Tollheiten“ nannte, aber es mußte ihm wohl nicht allzu schwer geworden sein, Verzeihung zu erlangen; denn die Mutter schüttelte zwar den Kopf, aber der Ton klang weit mehr zärtlich, als vorwurfsvoll, in dem sie sagte:

„Du Wildfang! Es ist Zeit, daß ich Dich wieder in meine Obhut nehme. Du scheinst in der schrankenlosen Freiheit da draußen den mütterliche Zügel arg gelockert zu haben. Wirst Du ihn denn jetzt wieder ertragen?“

„Von Deiner Hand – immer!“ versicherte Edmund, ihre Hand innig an die Lippen drückend, dann aber, sofort wieder in seinen alten übermüthigen Ton fallend, setzte er hinzu: „Ich habe es dem Oswald vorhergesagt, daß mein Urtheil auf Gnade lauten würde. Ich kenne meine Mama.“

Das Gesicht der Gräfin verfinsterte sich.

„Oswald scheint seiner Pflicht sehr wenig nachgekommen zu sein,“ entgegnete sie, „das ersah ich schon aus Deinen Briefen. Als der Aeltere und Besonnenere sollte er Dir zur Seite stehen; statt dessen ließ er Dich überall allein, wo er nicht unbedingt folgen mußte. Wenn Deine eigene Natur Dich nicht davor bewahrt hätte, mehr als bloße Thorheiten zu begehen, er hätte es sicher nicht gethan.“

„Nun, gepredigt hat er genug,“ sagte Edmund. „Es war schließlich meine Schuld, wenn ich nicht darauf hörte. Aber jetzt vor allen Dingen eine Frage, Mama! Weshalb ist Oswald in den Seitenflügel verbannt worden?“

„Verbannt? Welch ein Ausdruck! Du hast ja die Aenderungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_318.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)