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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Strecke Zerbst-Leipzig bewirken, während durch die neue Route Wittenberg-Falkenberg ein Anschluß nach Kohlfurt ermöglicht wurde.

Die wirthschaftliche Bedeutung der Bahn wuchs stetig im Verhältniß zu dieser Ausdehnung: aus Oesterreich, Ungarn und Italien, aus Sachsen, Süddeutschland und Frankreich werden auf ihren Achsen Kohlen, Rohstoffe für die Industrie sowie Lebens- und Genußmittel verschiedener Art dem Consum der deutschen Reichshauptstadt zugeführt. Der Getreideverkehr wird durch mächtige Lieferungen aus Oesterreich und durch den Transport der ostpreußischen und russischen Waare nach Sachsen, Baiern und Thüringen repräsentirt. Eine nicht geringere Bedeutung hat die Anhaltische Bahn für den Personenverkehr. Und dieser glücklichen Conjunctur entsprechend, wuchs die Dividende der Actionäre zwischen 1842 und 1871 von viereinhalb auf achtzehneinhalb Procent, wogegen sie für das Jahr 1878 wieder nur fünf Procent ergab.


Der neue Anhalter Bahnhof in Berlin: Außenansicht.
Originalzeichnung von Neubauer.[WS 1]


Wie die Verwaltung der Anhaltischen Bahn seit über fünfundzwanzig Jahren mit der Geschäftsführung des großen, alle deutschen, österreichischen, ungarischen und holländischen, sowie viele belgische und russische Bahnen umfassenden „Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen“ betraut ist, so führt der an ihrer Spitze stehende Geheime Regierungsrath Fournier in dessen Generalversammlungen seit der gleichen Zeit in allgemein anerkannter Weise den Vorsitz. Da eine Verstaatlichung der Anhaltischen Bahn gegen eine vierprocentige Rente Ende 1879 abgelehnt und der Bahnerwerb seitens des Reiches überhaupt inzwischen vorläufig sistirt worden ist, so wird die bisherige Leitung noch auf längere Zeit in Thätigkeit verbleiben.

Nach dem Jahre 1870 waren die Einrichtungen der Anhaltischen Bahn dem ungeheuren Verkehrsaufschwung nicht gewachsen. Der Berliner Spott fiel mit seiner ganzen ätzenden Schärfe über die Betriebsstockungen, vor Allem aber über die klägliche Räumlichkeit des Empfangsgebäudes her. Die Praxis des Dividendensparens mußte endlich für eine Weile aufgegeben werden, und die Bahn hat ihren Ruf in glänzender Weise wiederhergestellt. Nachdem die Betriebs-Einrichtungen den Anforderungen entsprechend hergestellt waren, sollte die Vortrefflichkeit der inneren Ausstattung sich in der äußeren Pracht der Verkehrsräume spiegeln. Am Askanischen Platz, im südwestlichen Theile Berlins, nahe dem Hafen des Schifffahrtscanals, wo das verhöhnte arme und winklige Bahnhofsgebäude sich verschämt in der Ecke barg, steigt nunmehr in monumentalen Linien der mächtige Ziegelbau empor, erhebt sich stolz das neue Empfangsgebäude in seiner warmen tiefgelben Tönung.

Es war ein seltenes Glück, daß die Verwaltung einen hochbegabten Architekten, der seine junge, volle Kraft mit dem edelsten Eifer an die große Aufgabe setzte, in der Person des Baumeisters Franz Schwechten für ihre Zwecke zu gewinnen vermochte. Unter seiner künstlerischen Oberleitung, unter der Mitarbeiterschaft der Baumeister Sillich und Lantzendorf, sowie des Ingenieurs Seidel wurde ein Werk vollendet, das, trotz strenger baulicher Kennzeichnung des Zweckes, allen Anforderungen der Schönheit in bewundernswürdiger Weise gerecht geworden ist.

Die gegen Norden gewendete und dem Askanischen Platze zugekehrte Hauptfront des Bauwerkes ist, wie die übrigen Façaden, aus den gelben Verblendsteinen und Terracotten der Greppiner Werke hergestellt, welche nur an den Theilen, die dem Schlagregen ausgesetzt sind, durch Sandsteine, meist aus den Velpker Brüchen, ersetzt werden. Die Façade des mit einem flachbogigen Dach geschlossenen Hallenbaues, gekrönt von einer Statuengruppe „Der Weltverkehr“ des Bildhauers Hundtriefer, überragt die übrigen Baumassen dieser Front, und zwar gliedern diese Hallenfaçade neun schmale, nach den Seiten zu in ihrer Höhe regelmäßig abnehmende Rundbogenfenster, von zwei niedrigen Eckthürmen eingeschlossen, an denen je ein kreisrundes Relief des Bildhauers Litke, eines den Mercur, das andere die Ceres darstellend, die Façade ziert. Unter ihr aber lagert, vor der riesigen Halle, der eigentliche Frontbau des Bahnhofes mit einer Höhe von sechszehn Meter bei hundert Meter Breite. Auf granitenem Sockel lastet das Erdgeschoß in 4,6 Meter Höhe, über welchem sich das Hauptgeschoß, von vierzehn Rundbogenfenstern durchbrochen, erhebt. Die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_296.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)