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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


und befindet sich bei weiterem Verdünnen der Luft in Lebensgefahr.

In diesem Augenblicke öffnen wir den Hahn und lassen reines Sauerstoffgas in die Glasglocke einströmen. Der Vogel erholt sich sofort und erhebt sich wieder ganz munter. Nach mehrmaliger Wiederholung dieser Manipulation haben wir unter der Glasglocke reinen Sauerstoff. Verdünnen wir jetzt das Gas in unserem Apparate nochmals, so können wir getrost die früher so gefährliche Grenze zwischen 30 bis 40 Centimeter überschreiten. Selbst bei 15 und 12 Centimeter Druck befindet sich unser Versuchsthier noch ganz wohl.

Damit war die Vermuthung de Saussure's als richtig erwiesen. Die atmosphärische Luft ist bekanntlich ein Gasgemenge, das nur zu seinem fünften Theile aus Sauerstoff besteht. Ein Cubikmeter Luft unter 760 Centimeter Druck wiegt rund 1250 Gramm und enthält etwa 250 Gramm Sauerstoff. Aber in einer Höhe von über einer halben Meile unter 40 Centimeter Druck wiegt ein Cubikmeter der bereits viel dünneren Luft nur die Hälfte, das heißt 625 Gramm, und enthält deshalb nur 125 Gramm Sauerstoff.

Zum Unterhalten des Lebensprocesses braucht jedes Thier in jedem Augenblicke eine bestimmte Menge Sauerstoff, z. B. in der Stunde 250 Gramm, wobei es einen Cubikmeter Luft verbraucht. Kommt es nun in eine Atmosphäre, in der unter geringerem Druck auf denselben Rauminhalt nur 150 oder 100 Gramm Sauerstoff vorhanden sind, so wird es in derselben, da es seinen Bedarf an Sauerstoff durch gewöhnliche Athmung nicht decken kann, anfangs Versuche machen, diesem Mangel durch beschleunigte Athmung abzuhelfen, schließlich aber absterben – ersticken müssen. Da aber der nöthige Bedarf an diesem Gase nicht nur bei jeder Art, sondern sogar bei jedem Individuum ein verschiedener ist und selbst bei diesem durch zahlreiche andere Einflüsse, wie Kälte, Hunger, Schlaf, Arbeit etc. verändert wird, so muß auch die Bergkrankheit bei dem einen Menschen früher, bei dem andern dagegen später auftreten, was auch von Bert in seinen später mit Menschen angestellten Versuchen nachgewiesen wurde.

Er ließ einen großen Luftverdünnungsapparat bauen in den er zuerst sich selbst eingeschlossen hatte. Bei 43 Centimeter Druck zeigten sich die ersten Symptome der Bergkrankheit zu ebener Erde. Sein Athem wurde beschleunigt; sein Puls stieg von 60 Schlägen in der Minute auf 82; Ohrensausen und eine merkliche Abschwächung der geistigen Functionen stellten sich ein. Der Professor konnte nicht mehr die Zahl seiner Pulsschläge mit Drei multipliciren und schrieb auf den Papierzettel nieder: „Zu schwierig!“ Er hatte aber in jenen Apparat einen mit Sauerstoff gefüllten Ballon mitgenommen, setzte ihn an seinen Mund, athmete das belebende Gas ein, und siehe da! alle jene Zufälle verschwanden wie mit einem Schlage.

Auf diese Weise verweilte er, ohne irgend welche Beschwerden zu fühlen, halbe Stunden und länger unter einem Drucke von zwanzig Centimeter, in einer Luft, die gleich jener war, welche die nackten Felsenspitzen des Everest, des höchsten Berges der Erde, umweht. Aehnliche Versuche wurden unter Bert's Aufsicht noch von den drei bekannten Luftschiffern Sivel, Crocé-Spinelli und Gaston Tissandier vorgenommen. Sivel zeigte sich selbst gegen bedeutende Luftverdünnung unempfindlich. Crocé-Spinelli dagegen befand sich bald in Erstickungsgefahr, aber auch bei ihm wurden alle Beschwerden, selbst das Schwarzwerden der Lippen und Ohren, durch die Sauerstoffeinathmung aufgehoben. Nachdem sie nun nach dieser Probe ein sicheres Mittel gegen die Beschwerden der Bergkrankheit gefunden zu haben glaubten, stiegen sie bald darauf mit einem Ballon in die Höhe und fanden in der That, daß bei „jedem Schlucke“ Sauerstoff die Schwäche von ihren Gliedern wich und alle anderen Zufälle verschwanden. Ermuthigt durch diesen Erfolg traten sie am 15. August 1875 ihre zweite verhängnißvolle Reise an. Bert war damals von Paris abwesend; er würde, wie er selbst in der „Gazette des Hôpitaux“ erklärte, ihnen entschieden gerathen haben, größere Mengen Sauerstoffs mitzunehmen. Da sie aber nur über geringe Quantitäten dieses Rettungsmittels verfügten, so mußten sie mit seinem Gebrauche sparsam umgehen, und als während der Reise der Ballon nach dem Wegwerfen des Ballastes plötzlich rasch in die Höhe stieg, wurden ihre Arme gelähmt, ehe sie die Schläuche mit Sauerstoff ergreifen konnten. Sivel hatte noch die Kraft, die Klappe zu öffnen. Aber diese Anstrengung brachte seiner starken Natur wahrscheinlich den Tod. In tiefern Regionen erwachte nur Gaston Tissandier, als kummervoller Zeuge des Todes seiner Gefährten, die im Kampfe für die Wissenschaft in der noch nie erreichten Höhe von über 8600 Meter ruhmvoll gefallen waren. Die französische Nation ehrte ihr Andenken durch eine reiche Geldsammlung für die Hinterbliebenen.

So hat die rauhe Wirklichkeit unserer Phantasie, die schon bis zur eigentlichen Region der Schnee- und Hagelbildung vorzudringen hoffte, wieder einmal die Flügel beschnitten. Nur an ein enges Gebiet des unermeßlichen Weltalls ist der menschliche Körper gebannt. Unüberwindbare Grenzen findet er sowohl in den feurigen Tiefen der Erde, wie auch in den stillen Regionen des Luftmeeres.

Das umgekehrte Verhältniß, eine merklich verdichtete Luft, tritt uns in der Natur kaum irgendwo entgegen, wohl aber hat man bei gewissen industriellen Unternehmungen ihre Anwendung vortheilhaft gefunden.

Experimente, welche Bert mit Ratten vorgenommen hat, belehren uns, daß Thiere selbst einen Druck von zehn Atmosphären ertragen können. Erst wenn der Hahn der Glasglocke geöffnet, und dadurch der hohe Luftdruck plötzlich in den normalen verwandelt wurde, starben sie sofort. Die Section dieser Thiere ergab, daß ihre Blutgefäße mit Luftbläschen angefüllt waren, die aus Kohlensäure und Sauerstoff bestanden. Daß aber der Eintritt freier Luft in das Blut den augenblicklichen Tod nach sich ziehen kann, ist den Aerzten schon lange bekannt.

Durch den Blutstrom werden nämlich die Luftbläschen in die Arterien getrieben, bis sie, in den feinsten Verzweigungen der Blutgefäße sich einkeilend, hier die Gerinnung der sie umgebenden Blutflüssigkeit und die Hemmung der Circulation hervorrufen. Tritt nun dieselbe im Gehirne ein, so ist im günstigsten Falle Lähmung, gewöhnlich aber der Tod ihre augenblickliche Folge.

Die Entstehungsursache der Gasbläschen im Blute unserer Versuchsthiere ist aber leicht zu erklären. Unter stärkerem Druck lösen sich die Gase in Flüssigkeiten in größeren Mengen auf, als unter dem normalen. Das Blut unserer Versuchsthiere wurde daher unter dem Druck von mehreren Atmosphären mit Kohlensäure und Sauerstoff übersättigt. Bei plötzlichem Verschwinden des starken Druckes wurden die Gase auf einmal frei und bildeten überall im Blute Luftbläschen, ähnlich der stürmischen Gasentwickelung in einer frisch geöffneten Mineralwasserflasche.

Wenn wir aber durch vorsichtiges Oeffnen den Druck allmählich verringern, dann können wir die Flasche ganz öffnen, ohne das Aufbrausen des Wassers hervorzurufen. Diese Erklärung paßt vortrefflich auf die inneren Vorgänge in unseren Versuchsthieren. Ihre Gesundheit bleibt unbeschädigt, wenn wir stufenweise den erhöhten Druck auf den normalen herabsetzen. Bei der Beobachtung dieser Maßregel wird der Ueberschuß an Gasen allmählich durch die Lungen ausgeschieden.

Diese Entdeckung, welche zum Aerger der Gegner der Vivisection mit dem Leben einiger Ratten bezahlt werden mußte, hat bereits segensreiche Früchte getragen.

Mit immer zunehmender Kühnheit drang der Mensch bis in den tiefsten Schooß des Oceans vor, um ihm Perlen und Korallen und die Schätze gesunkener Schiffe zu entreißen. Aber nach seiner Naturanlage kann er nur zwei bis höchstens drei Minuten unter dem Wasserspiegel bleiben. Heute setzt er sich einen mit gläsernen Augen versehenen Helm auf den Kopf, einen Helm, welcher durch eine lange Röhre mit einer auf dem Schiffsdeck aufgestellten Luftpumpe verbunden ist. Durch diese Röhre wird nun die Luft unter einem Drucke von vier bis fünf Atmosphären in den Helm hineingetrieben. Hier verdrängt sie durch kleine Oeffnungen das Wasser und, indem sie durch diese selbst entweicht, verhütet sie sein wiederholtes Eindringen. Mit solchem Helme ausgerüstet und comprimirte Luft einathmend, kann der Taucher eine halbe oder sogar eine ganze Stunde auf dem Meeresgrunde verweilen.

Dasselbe Princip wurde auch seit 1841 von dem Ingenieur Triger zum Bau der Brückenpfeiler benutzt. Der Grundgedanke des Apparates ist höchst einfach. In ein Gefäß mit Wasser tauchen wir eine Röhre ein, sodaß ihr unteres Ende auf dem Gefäßboden ruht, ihr oberes dagegen über der Wasseroberfläche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_291.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)