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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Ich weiß nicht mehr, wie ich die drei Stiegen im Hôtel hinaufgekommen bin. Jedenfalls muß ich sehr einfältig und sehr ängstlich ausgesehen haben; denn der Portier lächelte mir mit einer wahren Gönnermiene zu, als wollte er sagen: Nur Muth, mein Junge! Der Alte brummt zwar, aber er beißt nicht. Noch heute aber danke ich dem guten Manne für sein freundliches Gesicht – wehe mir, wenn er mir die übliche vornehme Hausknechtsmiene aufgesteckt hätte!

Außer Athem und mit klopfender Brust stand ich endlich im dritten Stock vor der Nr. 27. Es war eine goldene Ziffer auf grünem Grunde, die mir vorkam wie ein mystisches Räthsel; ich zählte noch: sieben und zwei macht neun, also drei mal drei – das ist eine gute Vorbedeutung – und klopfte schüchtern an. Drinnen und draußen blieb Alles ruhig; nur eine melancholische Bremse summte am Saalfenster auf und ab und stieß mit dem Kopfe gegen die Scheiben. Ich klopfte stärker und stärker; es rührte sich nichts. Schon wollte ich wieder gehen – da wurde innen eine Thür zugeworfen; eine tiefe Stimme raisonnirte etwas von „niederträchtiger Wirthschaft“ und „verfluchtem Gelaufe“; dann rief es mürrisch: Herein!

Der Alte stand vor mir, musterte mich mit prüfendem Blicke, der allmählich freundlicher wurde, und schnitt meine mühsam hervorgestotterten Entschuldigungen damit ab, daß er mich an den Schultern ergriff, auf ein Sopha niederdrückte und fragte:

„Mensch, rauchen Sie?“

„Noch nicht,“ erwiderte ich, „aber ich werde mir wohl auch diese Untugend angewöhnen müssen, vorläufig mache ich nur Gedichte.“

„Um Gotteswillen, wer sind Sie und was wollen Sie? Gesehen hab’ ich Sie schon irgendwo. Sie dichten? Mein aufrichtiges Beileid! Sie wollen mir doch nicht etwa Ihre Verse vorlesen?“

„Das nicht, aber wenn Sie vielleicht selbst die Güte hätten – ich habe Alles auf gutes Papier abgeschrieben; eine ziemlich leserliche Handschrift – es sind nur Ghaselen,“ setzte ich begütigend hinzu.

„Auch das noch! Nun, rücken Sie heraus damit! Sie sind der Erste nicht. Stecken Sie Ihre ‚Früchte aus dem Gartenhain von Schiras‘ dort in jenes Fach, wo meine unbeantworteten Briefe liegen! Ihr Wille geschehe! Nur verlangen Sie nicht mein Urtheil! Ich habe keins.“

Nach und nach wurde er gemüthlicher und aufgeräumter; er erkundigte sich nach meinen Verhältnissen, meinen Plänen für die Zukunft, erzählte auf meinen Bescheid, daß mein Vater mich zum Mediciner bestimmt habe, gleich eine Anzahl lustiger Geschichten von Aerzten und Kranken und lachte laut auf, als ich ihm sagte, wir, das heißt unsere literarisch gebildete Prima, bemitleideten ihn, weil er immer an Zahnschmerzen zu leiden scheine.

Er trug nämlich, auch im Sommer, stets ein schwarzseidenes Tuch um den Kopf.

„Hier sehen Sie – das sind meine Zahnschmerzen.“

Er strich die langen weißen Haare zurück und brachte eine starke Blutgeschwulst unter dem linken Ohre zum Vorschein.

„Wegen dieses jugendlichen Uebermuths meines alten Körpers muß ich mir die Locken so lang wachsen lassen, daß ich aussehe wie Kutschers Affenpinscher oder der leibhaftige Rübezahl. Und damit mir der Wind nicht die Haare herunterbläst, halte ich die ganze Geschichte mit dem Tuche zusammen. Mein Freund und Menschenzerschneider M. möchte mir das Anhängsel gern abnehmen, aber mich kriegt er nicht vor’s Messer. Es lohnt sich ja so nicht; ob ein halbes Pfund Fleisch mehr oder weniger mit mir zusammenfault – was thut’s! Na, adje, mein Sohn! Kommen Sie hübsch wieder! Jetzt muß ich ausgehen. Am Nachmittag treffen Sie mich immer daheeme. B’hüt Ihne Gott!“

Die ersehnte Bekanntschaft war also gemacht; aus ihr sollte sich mit der Zeit ein fortdauernder freundschaftlicher Verkehr entwickeln, welchem ich die Richtung meines Lebens und Förderung und Anregung in jeder Weise zu verdanken habe. Vorerst mußten jedoch noch einige Steine fortgeräumt werden, die ich mir selbst vor die Füße geworfen hatte; denn gleich in den ersten acht Tagen drohten unsere kaum angesponnenen Beziehungen ziemlich kläglich abzureißen. Jene unglücklichen Ghaselen, respective die Eitelkeit ihres grünen Verfassers, waren schuld daran. Denn, als ich wieder zu ihm kam und großes Lob einzuernten hoffte, gab mir der Alte das Manuscript mit vielsagendem Lächeln zurück und wollte nicht mit der Sprache heraus. Endlich nahm er eines der Gedichte – es reimte durchweg auf die bedeutsame Silbe „ocken“ und behandelte einen zwischen himmlischer und irdischer Liebe schwankenden Musensohn, der durch ein schönes Kind vom sonntäglichen Kirchgange zurückgehalten wird – und sagte mit dem gutmüthigsten Spotte: „Hier haben Sie sich eine ebenso naheliegende wie wirksame Pointe entgehen lassen. Sie schließen Ihr Gedicht:

Süß lockt ihre Stimme; dumpf läuten die Glocken;
Ihr Kuß ist zärtlich, die Predigt trocken.

Aendern Sie das lieber um:

Ihr Kuß ist saftig, die Predigt trocken.

Das giebt einen viel wirksameren, anschaulicheren Contrast.“

Ich war wie vom Donner gerührt und fühlte mich in tiefster Seele verletzt. Mit diesem garstigen Scherze sollten meine vom feinsten orientalischen Gewürz triefenden Ghaselen, der Stolz und die Zierde der Unter-Prima, abgethan werden? Aber es kam noch schlimmer. Holtei schenkte mir ein Exemplar seiner hochdeutschen Gedichte, und mein gekränktes Autorgemüth wäre durch dieses Geschenk jedenfalls wieder ausgesöhnt worden, hätte ich nicht die darin befindlichen Zeilen von seiner Hand auf mich bezogen und mich noch schmerzlicher enttäuscht gesehen. Auf der ersten Seite des Buches stand in den wohlbekannten energischen Zügen des Altmeisters geschrieben:

„Lenzesfrisch im Jugendtraum
     Scheinen uns unsere Lieder,
Säuseln wie hoch vom schattigen Baum
     Blüthenduftig hernieder.

Ach, wir bergen sie an der Brust,
     Wollen zum Kranze sie winden
Und erschrecken dann – – einen Wust
     Welker Blätter zu finden.“

Wie klar und hübsch ist diese allgemeine Wahrheit gesagt, und wie bescheiden trat der Dichter mit dieser Widmung für seine eigenen Jugendgedichte ein! Ich aber, mit dem Dünkel eines siebenzehnjährigen Poeten, meinte in den beiden Strophen eine abweisende Kritik meiner unreifen Versuche sehen zu müssen und zog sehr verstimmt mit dem vermeintlichen Danaergeschenk ab, zeigte es auch Niemandem, sondern verschloß es in meinem Schreibtische.

Ein halbes Jahr lang ließ ich, trotz wiederholter Erkundigungen und Grüße Holtei’s, mich nicht mehr bei ihm sehen und ging erst wieder an seinem Geburtstage, am 24. Januar, zu ihm, nachdem ich mich endlich eines Bessern besonnen hatte. Ich beichtete ihm meinen schnöden Verdacht und ließ mich weidlich auslachen. Auf meines Kritikers theilnehmende Frage nach dem Befinden meiner Muse konnte ich wieder etwas aus der Tasche ziehen, diesmal allerdings keine wohlgesetzten, zierlichen Plateniana, sondern etwas Eigenes, das, wenn auch keinen anderen Vorzug, so doch den der Wahrheit und Treue des Selbstempfundenen hatte. Es war das erste verlegene und unbeholfene Stammeln einer tiefen Leidenschaft, und ich las es ihm mit halb erstickter Stimme und unendlichem Räuspern vor. Er rückte ungeduldig auf dem Stuhle hin und her, sprang dann mit jugendlicher Leichtigkeit in die Höhe, riß mir die Blätter aus den Fingern und rief:

„Und das haben Sie gemacht, Sie Silbenzähler, Wortklauber, Versedrechsler? Da brate mir Einer einen Storch! Das ist mir noch nicht vorgekommen.“

Und nun erging er sich in einem Strome liebenswürdiger Schmeicheleien, die ich nicht wiederholen will, und prophezeite mir Dinge, die leider bis zum heutigen Tage noch nicht eingetroffen sind. Der gute, theilnahmevolle, herzige Mensch! Er war immer maßlos in Lob und Tadel, in Geringschätzung und Bewunderung, eine unmittelbare, ehrliche und warmblütige Natur, voller Antipathien und Sympathien, die, wo sie Verwandtes traf, widerstandslos sich dahingab, wo sie auf Fremdes stieß, mit Händen und Füßen Alles von sich abwehrte.

Mein Schicksal war entschieden. Der Vorsatz, Dichter zu werden, stand in mir fest. Holtei war fortan eifrig hinter Allem her, was ich begann, und schürte das heilige Feuer der Kunst in meinem Herzen durch Wort und That. Er verschaffte mir die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_262.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)