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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


stand Witold an seinem Waschtische und hielt seine Rechte in das Becken, in welchem sich das soeben frisch nachgefüllte Wasser schon wieder roth zu färben begann von seinem Blute, das in einem zerfließenden Faden von dem Ballen seiner Hand aussickerte.

Und gerade diese Hand mußte es sein! Gerade die Rechte!

Wozu hatte er es auch nöthig gehabt, jetzt noch, in dieser Nacht, die Kiste zu öffnen, in welcher er das Bild Lisa's seit Wochen wohl geborgen gewußt?

Als er es bei einem berühmten Maler der Residenz bestellte, der es mit Hülfe einer Photographie aus dem Gedächtnisse zu malen unternommen, da war er noch der Meinung gewesen, Alles könnte trotz alle und alledem eine bessere Wendung nehmen – ihr ruhiges Dahinleben erfüllte ihn mit leise wachsendem Vertrauen.

Als dann aber das vollendete Werk eintraf, kam es in eine Zeit, wo seine ganze Stimmung schon eine schwere Wandlung erlitten hatte. An der getroffenen Entscheidung war nun nicht mehr zu zweifeln, der Mann, der in seine Rechte treten sollte, ging bereits ein und aus in seinem Hause, als wenn ihn nichts mehr behindern könne, den Schatz desselben davon zu tragen, sobald es ihm beliebe. Da war denn die rohe Holzhütte des Meisterwerks in einen Winkel des Gemaches geräumt worden und dort uneröffnet stehen geblieben, bis heute – ja, bis zu dieser mitternächtigen Stunde.

Nachdem die Tante geschieden, war er nicht zu Bette gegangen, wie sie meinte, er hatte sich nicht einmal entkleidet; das Blut in seinen Adern verlangte nicht nach Ruhe. Bald in seinen Lehnstuhl hingeworfen, bald in unablässigem Auf- und Niederschreiten, bald an seinem Schreibtische hatte er die Zeit vollbracht. Er achtete nicht auf die verrinnenden Minuten. In ihm war ein Brand, der Raum und Zeit verschlang.

Wo war die kühle Ruhe der Entsagung? Wo auch nur der Muth und Wille zum Verzicht, die er noch heute Morgen festzuhalten vermeinte? Wo der edle Wunsch, ihrem Glücke das eigene zum Opfer zu bringen? Alles dahin, wie der verwehende Rauch einer Brandstätte! Es hatte nur eines Blickes auf die Beiden bedurft, wie sie in offenbar gestörter Verabredung einander gegenüberstanden, um all seine ernsten, fest gefaßten Vorsätze in Nichts zu verflüchtigen.

Einst hatte er gesagt, daß es ein Unrecht sei, ihr nicht auch sein Herz schenken zu können. Er hatte jahrelang gemeint, die Strafe für die Immoralität einer solchen Verbindung zu erleiden. Wie irrig! Jetzt erst erlitt er sie. Er liebte Lisa – jetzt liebte er sie, wo er sich sagen mußte, daß es ein Wahnsinn sei, und dennoch sich wehrlos fand gegen das titanenhafte in seiner ganzen Raserei entfesselte Gefühl.

Sie jetzt von sich zu lassen, schien ihm eine Unmöglichkeit, und in dieser Ueberzeugung hatte er seinem Rivalen den Besuch für morgen angekündigt. Nach demselben konnte nur einer von Beiden nach Riefling zurückkehren, und die Kugel mußte entscheiden, wen die Entsagung traf.

Inzwischen aber war jener Sturz in den Fluß erfolgt, und als er sich wieder in's Boot schwang, war der Gegner zu – seinem Lebensretter geworden.

Sollte ihm das die schußbereite Waffe aus der Hand reißen? Lebensretter? – Ein Griff mit dem Haken, wie vielleicht nach einem vom Winde entführten Hute, einem Fächer der Comtesse – was war die ganze That mehr? Wäre er denn ohne sie ganz zweifellos dem Tode verfallen gewesen? Und wenn es das Leben war, das ihm bewahrt worden, was galt diese elende Formel ohne Inhalt? Warum mußte ihm jener Mann auch noch die Last der Dankbarkeit aufbürden? Er war ihm darum nur doppelt verhaßt.

Dennoch bäumte sich in ihm etwas gegen den Gedanken auf, die Pistole auf den zu richten, der die rettende Hand nach ihm ausgestreckt. – Wenn es aber von seiner Seite nur zum Scheine geschah – wenn er dem Anderen die Blutschuld überließ, mit dem einen Schusse alles Weh und alles Begehren in diesem brennenden Herzen zu tilgen, das dann zur Ruhe kam? –

Er schrieb; er ordnete; er beschloß und verwarf wieder; ruhelos ging er dazwischen auf und ab. Leise verrannen die Stunden.

Zuletzt, als manches Papier zerrissen und manches versiegelt war, stand er vor der Kiste und es erwachte der Wunsch in ihm, wenigstens das Bild des so heiß geliebten Weibes noch einmal zu sehen. Dort hing das Portrait seiner ersten Frau. Nein, er hatte sie nie geliebt, wie diese. Ein gutes treues Auge blickte aus den ein wenig breiten und reizlosen Zügen, in welchen nur verblendete Mutterliebe eine Aehnlichkeit mit denen Lora's entdecken konnte. Es war auch nur die herzlich warme Neigung der Jugendfreundschaft, die ihn zu jener ersten Verbindung geführt. Wie anders konnte hier dieses dunkle Auge blicken, dessen kalter abwehrender Strahl schon einen Brand in seiner Brust zu entfachen vermocht hatte! Welch ein Pfuscher mußte doch jener berühmte Meister sein, daß dieser Strahl, wenn auch nur gemalt, die erbärmliche Holzdecke nicht von innen heraus durchsengte!

Heraus aus dem Grabe! Laß doch wenigstens sehen, was der Stümper geschaffen!

Und nun splitterte das Holz. Die verrosteten Nägel leisteten Widerstand, die kraftvolle Hand aber, die auch unter dem Wasser das Tau nicht losgelassen, wurde seiner Herr; da rollte der Sargdeckel hinab und fiel polternd auf die Erde.

Ja, sie war erlöst, aber nur indem sein Blut floß.

Wie das Alles für die erregten Sinne Bedeutung gewann zu solch später Stunde der Nacht, die den Ahnungen günstig ist wie den Gespenstern! Auch selbst diese Wunde, die ihm der Nagel gerissen, auch der dunkle Purpurtropfen, der auf das Bild geflossen und nun an dieser weißen Stirn haftete wie ein Schuldmal, das doch wieder seine eigene Hand verwischte, die Linke, die ja nicht wissen soll, was die Rechte thut.

Diese aber hielt er in's Wasser, das er in seinem Schlafzimmer suchen mußte. Ja, wenn hier sein ganzes Herzblut bis auf den letzten Tropfen den Ausweg hätte nehmen wollen, wie einfach und leicht wäre da die letzte Frage gelöst gewesen! Aber so war's ihm nicht vergönnt. Und nun war es diese Hand, die der Unfall betroffen, gerade diese, welche die Waffe – doch zum Scheine wenigstens – führen mußte!

Die Blutung hatte nachgelassen, sodaß er daran gehen konnte, einen Verband anzulegen. Da horchte er, den einen Zipfel des Tuches noch zwischen den Zähnen, plötzlich auf.

Welch seltsamer Laut?

Und jetzt wieder! Das war das Winseln eines Hündchens, und es kam aus seinem Wohnzimmer.

War das Frip? Wie hatte der seinen Weg dahinein gefunden? Mit einem Schritte war Witold vor der Thür. War auch das ein Vorzeichen? Hunde winseln ja, sagt man, wo ein Sterbender im Hause ist.

Er riß die Thür auf.

Vom Mond beschienen lag inmitten des Zimmers eine weiße Gestalt am Boden, und Frip kroch ängstlich um dieselbe her und leckte die ausgestreckte Hand, die noch den kleinen Leuchter mit der gebrochenen Kerze hielt.

War sie ohnmächtig? War sie –?

Ein wildes Heer von Fragen durchkreuzte sein Hirn. Ueberraschung, Freude, Zweifel, Entsetzen, all die Empfindungen sprangen fast gleichzeitig im wirren Durcheinanderklange in seiner Brust auf. Ehe er sie gesondert, lag er auf den Knieen neben Lisa.

Gottlob, sie lebte!

Er sah in das schöne bleiche Gesicht; er sah den wunderbaren weißen Hals zwischen den halbgeöffneten gestickten Kanten des Nachtkleides und drückte die Hände gegen die Stirn.

Seine Frau bei ihm – bei ihm! Aber was hatte sie hierher geführt? War sie gekommen, ihm eine Mittheilung zu machen? Die längst erwartete, längst gefürchtete? Und hatte der Beschluß den Schlaf von ihren Lidern gescheucht? Seine Stirn runzelte sich drohend, und sein Auge begann zu glühen.

Nur wie ein Blitz war der Gedanke ihm durch den Kopf gezuckt; denn schon hatte er die schlanke Gestalt auf seine Arme genommen und eilte mit ihr fort.

Flüchtigen Schrittes trug er die leichte Last die Treppe empor. Auf seiner Schulter ruhte der Kopf; an seiner Wange fühlte er das sich aus dem Häubchen drängende Haar, an seiner Brust den jungfräulichen Busen. Ein süßer Duft ging von der lieblichen Gestalt aus, den er mit tiefem wonnigem Athemzuge in sich sog. Er drückte sie innig an sich.

Sie war ja sein, sein!

Und jetzt sollte er sie lassen, jetzt wo er sie liebte mit aller wilden Gluth der Leidenschaft? Jetzt, wo er sie an seiner Brust hielt, die Widerstandslose? Hier war das Gemach, das er selbst

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_256.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)