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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

No. 16.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Alle Rechte vorbehalten.
Der Weg zum Herzen.
Erzählung von Robert Byr.
(Fortsetzung.)


Die unruhigen Pferde hatten den Kutscher, der sie nur mit Mühe bändigte, zur Seite gedrängt, aber auch die Fährleute verhindert, ihren Haken zu gebrauchen; statt an der Landungsbrücke sachte stehen zu bleiben, war das Fährboot mit hartem Stoß gegen dieselbe gefahren und wieder zurück geprallt. Nun hätte es, da die Steuerung noch nicht umgestellt war, wohl nach einer Weile abermals angelegt, aber durch die Macht des Anpralles und die Stauung des Wassers war endlich eingetreten, was man schon seit einiger Zeit befürchtet, ohne daß sich die Indolenz der dortigen Bauern zu einer vorbeugenden Maßregel aufgerafft hätte. Der Ankergrund hatte sich durch die Anschwellung des Flusses in der letzten Zeit gelockert, und der große Grundanker schon wiederholt um ein Weniges nachgegeben, worauf man sich jedoch mit der bequemeren Kürzung des Seiles begnügt hatte. Diesmal wich aber der Anker nicht mehr um Zolle und Meter, sondern ganz und gar. Das Fährboot mit allem, was darauf war, nahm, vorläufig noch langsam, den Weg stromab; kam es in die volle Strömung, dann hielt die stürmische Fahrt wohl nichts mehr auf, und an dem ersten aufragenden Felsen mußte das morsche Wrack seinen Untergang finden.

Die Bauerweiber, die zufällig mit darauf waren, rangen jammernd die Hände und riefen die Heiligen an, während ein paar von den Männern dem Kutscher zu Hülfe gekommen waren und wenigstens die Pferde fest hielten, daß diese in ihrem ersten Schreck nicht Alles zerschlugen und zertrümmerten. Die Bootsleute winkten inzwischen zum Ufer hin und forderten schreiend die wenigen dort befindlichen Leute auf, ein schnell bereit gemachtes Tau zu fangen. Dazu war es jedoch zu spät; schon trieben sie weit abwärts, als die langsam zum Entschluß Gekommenen im Nebenherlaufen ihre Hülfsbereitschaft kund gaben.

Noch war es jener Kahn weiter unten, der das Unheil abwenden konnte, und in der That, er stieß soeben vom Lande ab.

Ohne darauf zu achten, daß Steinweg im Begriff stand, auszusteigen, war Witold, sobald er die Gefahr erkannt hatte, mit einem Satze hinabgesprungen, welcher das Boot derart in's Schwanken brachte, daß Steinweg, statt an's Land zu steigen, schleunigst niedersitzen mußte. Im Nu hatte jener sein Ruder wieder zur Hand genommen und mit demselben abgestoßen. Unter Peter's Beihülfe trieb er das leichte Fahrzeug blitzschnell durch die hastigen Wellen, und es gelang, dasselbe so nahe an das treibende Fährboot heranzuarbeiten, daß das geschleuderte Tau voraussichtlich herüberreichte.

Witold war aufgestanden, und während Peter allein weiterruderte, hatte er mit scharfem Auge und gespannt dem Wurfe entgegengesehen.

Jetzt flog der Ring durch die Luft; schwirrend senkte er sich nieder; Witold hielt ihn in der Hand, und ein Jubelruf aus fast einem Dutzend Kehlen begrüßte das Gelingen.

Aber das Jauchzen der Freude war urplötzlich in ein jähes Jammergekreisch verwandelt. All die Stimmen jedoch übertönte ein schriller Aufschrei, der vom andern Ufer herüberscholl.

So schnell und kräftig sich Witold des Taues bemächtigt hatte, vermochte er doch nicht, es ebenso schnell um eine Bank oder Rudergabel zu schlingen und so am Boot zu befestigen, denn es hatte sich in dem Bootshaken verfangen, mit welchem sich Steinweg instinctiv bewaffnet hatte. Während Witold aber hastig bestrebt war, es zu lösen, that es einen mächtigen Ruck und nahm ihn, da er es nicht fahren lassen wollte, kurzweg über Bord.

Wie ein geschleuderter schwerer Stein war die große Gestalt in den aufspringenden Wellen verschwunden.

Doch es waren nur Secunden des athemlosen lähmenden Schrecks. Da erschien auch schon wieder der Kopf und das breite Schulterpaar aus den grüngelblichen Fluthen, auf denen der Hut flüchtig dahintrieb.

„Ich hab's, ich hab's,“ war Witold's erster Ruf. Im nächsten Augenblicke rief er Denen auf dem Fährboote abwehrend zu: „Nicht aufwinden! Dann ist alles verloren. Peter – her mit dem Kahn!“

Und in der That: wurde er auf das Fährboot gewunden, so war zwar sein Leben vorläufig außer Gefahr, die letzte Aussicht auf Rettung aber für Alle dahingegeben. Das sah man hier und dort ein. Peter that auch das Möglichste, seinen Herrn einzuholen, und nun kam Steinweg's Bootshaken glanzvoll zur Geltung: mit einem Male faßte derselbe, so sacht es ging, den Schwimmenden unter die Schulter, und im Nu war die Entfernung, welche diesen vom Kahn getrennt, verschwunden.

Steinweg hielt fest; Witold konnte die Bootswand erfassen. Aber auch jetzt noch dachte er an das unternommene Rettungswerk, ehe er sich selbst in Sicherheit brachte. Er glitt bis an das Steuer und schlang das Tau mit einem raschen Knoten in den Ring am Stern. Erst als das vollbracht war, schwang er sich mit Steinweg's Hülfe in das Boot zurück.

Bis jetzt hatte dieses mit der Fähre getrieben; nun begann die schwere Arbeit, mit dem kleinen Fahrzeug die Last des großen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_253.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)