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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


etwas vom Tische nieder. Es war der Brief, den Anna dorthin gelegt. Joseph hob ihn auf und reichte ihn mir. Ehe mein Licht erlosch, hatte ich erfahren, daß Berthold Klein nach der Rheinprovinz versetzt war und seine Anfrage um Anna’s Hand wiederholte.

Tags darauf sollte ich reisen; es war ein Sonntag. Frau Brunner kam zur Frühstückszeit in’s Schlößchen und brachte mir einen Strauß Orangeblüthen.

‚Das schickt Ihnen die Anna,‘ sagte sie, ‚und ich soll einen schönen Gruß bestellen und glückliche Reise wünschen. Sie ist eben abgefahren zum Hochamt, in’s Klösterchen. Nehmen Sie’s ihr nicht übel, daß sie nicht gewartet hat! Ich glaub’, sie hat sich nur fort gemacht, weil ihr der Abschied zu nahe geht. Die Blüthen sind von dem Bäumchen, das sie sich in ihrer Stube selbst gezogen hat.‘

Ich ließ mich zum Fenster rollen und blickte hinaus in den Sommertag. Sonntagsglocken hallten über den See; das Schiffchen war schon weit vom Lande und wurde immer kleiner. Fern flatterte ein Tuch. Ich drückte meine heiße Augen in die duftenden Blüthen. Ade, ade! –

Eine Woche mochte seit meiner Ankunft in Wiesbaden vergangen sein, als ich durch einen Brief von Klein überrascht wurde. Er theilte mir mit, daß Anna Brunner ihm ihr Jawort gegeben und eingewilligt habe, ihm sogleich nach dem neuen Wohnorte zu folgen. Unverhohlen sprach er aus, daß Anna wohl mehr dem Wunsch ihrer Eltern nachgegeben, als ihrem eigenen, daß er aber fest überzeugt sei, ihre wärmere Zuneigung zu gewinnen. Nun auch ich geschieden, passe Anna nicht mehr in die dortigen Verhältnisse – das habe ihn bestimmt, keinem allzu ängstlichen Bedenken Raum zu geben; er glaube sicher, Glück bieten und erwarten zu können.

Als ich vernahm, wie rasch sich erfüllte, was ich als noch fernes Zukunftsbild betrachtet hatte, war ich anfangs sehr betroffen. Im nächsten Moment begriff ich Anna’s Entschluß. Sie wußte, daß mir die Insel zur Heimath geworden war; ich hatte das manches Mal ausgesprochen; sie wußte auch, daß ich um sie bangte. So ging sie, damit ich wiederkehre, gab sich hin, damit ich ruhig sei. Zuerst erschien mir dieses Opfer unnatürlich, überspannt; dann ergab ich mich in den Gedanken. Vielleicht wäre später nie geschehen, was jetzt einer hochgespannten Empfindung entsprungen war. Ich kannte die Beiden, deren Loos sich vereinte – es mußte zum Guten führen.“

Isen hielt inne.

Etwa eine Stunde mochte verflossen sein, seit er zu sprechen begonnen. Der Abend dämmerte herein; ein Windstoß ging über die Höhe. Joseph tauchte hinter dem Säulentempel auf, vor welchem wir saßen, und legte schweigend den Plaid um die Schultern seines Herrn.

„Ich weiß schon,“ nickte Isen und sah den Alten freundlich an. „Gleich geht’s nach Hause.“

„Wir sind bald zu Ende,“ sagte er, als wir wieder allein waren. „Von mir – was ließe sich da berichten? Ich blieb bis zum Spätherbst in Wiesbaden und siedelte dann nach Frankfurt über. Klein gab zuweilen Nachricht; jeder Brief pries sein wolkenloses Glück. Anna füllte sein Haus mit Lieblichkeit und Freundlichkeit, wie sie die kleine Welt ihrer Heimath gefüllt. Im Frühjahr schrieb er besorgt, seine Frau sähe nicht frisch aus, obgleich sie sich immer heiter und thätig zeige. Der Arzt erkläre den Zustand für Heimweh, und er habe vor, Urlaub zu nehmen und sie zur Rosenzeit nach der Insel zu bringen. Daß ihm gestattet würde, die von mir bewohnten Zimmer im Schlößchen benutzen zu dürfen, hoffe er zu erreichen.

Nachdem ich lange ohne Nachricht geblieben war, erhielt ich im zweiten Sommer einen schwarzgesiegelten Brief, dessen Adresse die mir durch ihre Rechnungen wohlbekannte Schrift der Frau Brunner zeigte. Das Frühlingsblümchen war vergangen und schlief im Schooß seiner heimathlichen Erde.

‚Wir meinten immer, sie hätte Heimweh,‘ schrieb die Mutter, ‚das muß es aber doch nicht gewesen sein; denn es ist auch hier nicht besser mit ihr geworden. Ach, wenn die Kinder in so einem feuchten Hause aufwachsen müssen! Der Herr Schwiegersohn wird später selbst einmal schreiben. Jetzt ist er wie von sich. Die Anna hat ihm aber auch Alles gethan, was sie ihm nur an den Augen absehen konnte. Wir dachten nicht, daß es Gefahr mit ihr hätte, freilich sah sie gar schmächtig aus, im Uebrigen aber war sie ganz wie sonst, nur singen mochte sie nicht mehr. Wie ein Licht ist sie ausgelöscht – drüben im Gartensaal. Am letzten Tag hat sie mir noch einen Gruß an Herrn Isen aufgetragen.‘“

Er klopfte an die Innenwand seines Wagens. Der Alte kann herbei, rückte sorglich die Kissen zurecht, welche den gebrechlichen Körper stützten, und schickte sich an, das Fuhrwerk in Bewegung zu setzen. Isen wendete den schönen Kopf zu mir auf. „Viele betrachten den Tod als etwas Dunkles und Schweres,“ sagte er, „und doch ist er das vornehmste Geschäft unter allen Geschäften des Lebens. Wir alle sind zum Vergessen geneigt; keiner vergißt aber seine Todten.“




Blätter und Blüthen.

Zwei Opernscenen. (Abbildungen auf Seite 248 und 249.) Der eifrige Theatergast erkennt die Bedeutung der beiden Bilder auf den ersten Blick. Aus Rossini’s Oper „Der Barbier von Sevilla“ stellt uns Hermann Kaulbach, des großen Wilhelm Sohn, die Scene des zweiten Actes dar, in welcher Graf Almaviva, als Musikmeister verkleidet, am Clavier mit seiner Geliebten, Rosine, über deren Flucht und Rettung aus den Klauen ihres Vormundes, Doctor Bartolo, verhandelt, während dieser von dem Barbier Figaro unter dem Scheermesser festgehalten wird. – Das andere Bild führt uns vor die letzte Scene in Mozart’s „Don Juan“, doch nicht streng nach den Textesworten der Oper. Nach diesen scheidet Elvira von Don Juan, nachdem sie ihn vergeblich um Reue und Besserung angefleht, mit der Verwünschung: „So bleib’ ein Sclave all Deiner Lüste! Wahrlich der Strafe wirst Du nicht entgehn,“ sieht dann, die Thür öffnend, den heranschreitenden Comthur und entflieht wehklagend auf der andern Seite der Bühne. Jetzt gebietet Don Juan dem Leporello: „Was war der Närrin? Geh doch hin und sieh hinaus!“ und da dieser aus Furcht sich weigert, so öffnet er selbst dem draußen Pochenden; der Gouverneur tritt ein, und Leporello kriecht unter den Tisch. Hermann Kaulbach hat im Bilde die getrennten Auftritte vereinigt, indem er Elvira dem unverbesserlichen Sünder den zu Roß herankommenden „steinernen Gast“ zeigen und Leporello vor diesem Anblick sein Versteck suchen läßt.

Hermann Kaulbach, jetzt ein Mann von vierunddreißig Jahren, war erst Mediciner, ehe er für die Kunst gewonnen und gebildet wurde, und zwar geschah dies nicht durch den Vater, sondern durch Piloty, dessen Schule er 1874 verließ. Von seiner reichen productiven Ader legen bereits eine große Zahl gefälliger Compositionen Zeugniß ab; die beiden Bilder, welche wir diesmal den Lesern vorführen, sind dem jüngst durch Photographie verbreiteten „Opern-Cyclus“ (Berlin, Carl Brack. 8 Blätter) des jugendlichen Meisters entnommen.




In Deutschland verschollen. Am 11. Februar dieses Jahres hat sich der Gymnasiallehrer Dr. Wilhelm Kobus aus Braunschweig (Alter siebenundzwanzig Jahre, Statur mittelgroß, kräftig, Haar und Vollbart braun, Gesichtsfarbe gesund, Nase gebogen, goldene Brille) in einem Anfalle von Schwermuth aus der Dr. Müller’schen Heilanstalt für Nervenleidende zu Blankenburg am Harz heimlich entfernt. Am Abend desselben Tages gab er die letzte telegraphische Nachricht aus Halle an der Saale. Seitdem sind alle Bemühungen auf privatem und polizeilichem Wege, Kunde über sein weiteres Verbleiben zu erhalten, erfolglos gewesen. Die unglückliche Mutter, deren einziger hoffnungsvoller Sohn er war, versucht nun dieses letzte Mittel, eine Spur des Verschollenen aufzufinden, und bittet Alle, die irgend etwas, auch das Geringste, zur Aufklärung beizubringen vermögen, davon Mittheilung an die Redaction der „Gartenlaube“ gelangen zu lassen.




Ein Landwehr-Officier, der durch den Feldzug von 1870 bis 1871 aus seiner Ingenieur-Carrière gerissen worden ist und in Folge der erlittenen Strapazen lange an harter Krankheit gelitten hat, sucht jetzt wieder Stellung in seinem Berufsfache. Auf einem Realgymnasium und einem ausgezeichneten Polytechnikum gebildet und in praktischer Thätigkeit, nach vorliegenden trefflichen Zeugnissen, erprobt, würde derselbe sich besonders eignen zu einer Stellung bei einem Bodencreditinstitute, in der Generaldirection einer Mobiliarfeuerversicherungsanstalt, eventuell als Culturingenieur eines großen herrschaftlichen Complexes, aber ebenso zur Leitung des Baues von Straßen, Wasserleitungen u. dergl. Wir erbitten dringend für diesen Mann, der durch seinen Dienst für das Vaterland um seine feste Lebensstellung gekommen ist, möglichste Beachtung. Die Adresse desselben steht jeden Augenblick zu Gebote.

D. Red.

Kleiner Briefkasten.

Ernst Victor Hfm. in Fr. Allerdings! Die „Gartenlaube“ wird die Pflicht nicht verabsäumen, die hohen Verdienste des vor einigen Wochen heimgegangenen J. J. Weber, des Begründers der „Illustrirten Zeitung“ in Leipzig, seiner Zeit in einem größeren Artikel gebührend zu würdigen.

O. P. In Nr. 38 von 1875.

Danzig. Nein.


Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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