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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


hatte und dabei nach seiner Gewohnheit eingenickt war, erschien erst wieder zum Kaffee. Auch die Tante und Lisa hatten sich auf ein Weilchen beiseite geschlichen, während die beiden Mädchen mit dem Rittmeister Gretchen's Criquetreifen auf dem Rasen ausgesteckt hatten und munter ihre Bälle hindurch trieben.

Es war der Comtesse Lieblingsspiel. Sie konnte dabei ihren schlanken kleinen Fuß zeigen, so ziemlich die einzige Schönheit, die sie besaß, und that dies auch mit einer so naiven Koketterie, daß Steinweg, wenn er nur im Entferntesten eine „plastische Ader“ gehabt hätte, schließlich aus dem Gedächtnisse ein auf Millimeter genaues Modell hätte anfertigen können, das jedem Schuhmacher zum Entzücken gereicht haben würde.

Er war überhaupt stark im Anspruch genommen, und es mochte kein Leichtes sein, die Aeußerungen seiner Galanterie so geschickt zu vertheilen, daß sich keinerlei Bevorzugung errathen ließ. Und als gar Lisa und die Tante die Spielenden verlassen hatten, wurde seine Stellung noch um Vieles schwieriger. Doch fand er auch hier den geeignetsten Ausweg, indem er sich nun vorzugsweise der jüngsten der „drei Grazien“, dem kleinen Gretchen widmete, das heute vor Lust und Entzücken ganz außer sich war und sich glücklich von dem sonst streng verordneten Nachmittagsschläfchen losgebettelt hatte.

Nur in einer Pause des Spieles, während welcher die Mädchen zum Flusse hinabgingen, um sich ein wenig im Kahne zu schaukeln, war es Steinweg gelungen, sich Lisa zu nähern. In der Absicht, Feuer für seine Cigarre zu holen, ehe er sich den Damen als Ruderer zur Disposition stellte, war er durch den Speisesaal geeilt, als sie eben wieder in demselben erschien und den für den Nachmittagskaffee gedeckten Tisch überblickte. Sie hatte sich so viel äußerliche Ruhe erkämpft, wie sie für die nächsten Stunden des Beisammenseins noch bedurfte. Was weiter dann geschah, lag wie ein wirres Nebeltreiben vor ihr. Daß ihres Bleibens auf Riefling nicht länger war, das allein empfand sie mit voller überwältigender Deutlichkeit. Hier nahm ihr Schicksal eine Wendung. Wohin?

Wie wenn ihr dasselbe ein Zeichen geben wolle, stand Steinweg vor ihr.

Zusammenschreckend trat sie einen Schritt zurück, und ihre Hand erhob sich wie gegen ein auftauchendes Gespenst; er dagegen, im raschen Umblick den günstigen Moment des Alleinseins erfassend, glitt auf sie zu und machte einen, freilich vergeblichen, Versuch, ihre Hand zu erhaschen.

„Warum tritt die schöne Hausfrau mir aus dem Wege?“ fragte er scherzhaft und doch mit einer gewissen Verlegenheit, die nicht im geringsten an seine sonstige zuversichtliche Dreistigkeit erinnerte. „Habe ich nicht einen gewissen Anspruch auf Freundlichkeit, da ich denn doch nun einmal Gast des Hauses bin?“

„Nicht auf mein Verlangen,“ unterbrach ihn Lisa in einem Tone, der keinen Zweifel an dem Ernste ihrer Ablehnung aufkommen ließ.

Steinweg kaute einigermaßen befangen an seinem Schnurrbarte. Er war diesmal gar nicht wie früher. Es fehlte ihm die heitere, selbstbewußte Nonchalance, mit der er sich sonst die Dinge möglichst nach seinem Geschmacke zurecht legte und wohl auch die Situation sich dienstbar machte. In seinem Wesen wie in seiner Stimme war vielmehr eine fast kindliche Schüchternheit, die ihn um Vieles liebenswürdiger erscheinen ließ; nur mißtraute ihm Lisa und hielt diese Unsicherheit für erheuchelt; als er deshalb den Wunsch ausdrückte, sie einen Augenblick ungestört zu sprechen, da entgegnete sie gleichsam in Wehr und Waffen gegen jedweden Angriff:

„Um mir eine neue Beleidigung zuzufügen.“

„Nein, um als Reuiger Vergebung zu erbitten.“

„Die werden Sie haben, wenn Sie nie mehr hierher zurückkehren.“

Kopfschüttelnd und mit verlegenem Lächeln legte er betheuernd die Hand auf seine goldverschnürte Brust.

„Das kann ich nicht,“ sagte er. „Die Strafe wäre zu grausam. Hören Sie doch!“

Aber Lisa fiel ihm rasch und bestimmt in's Wort:

„So haben wir beide mit einander keine Silbe mehr zu wechseln.“

Sie wandte sich um, das Zimmer zu verlassen, während er ihr bittend folgte und sie beschwor, ihm Gehör zu geben. Da ließ sich plötzlich eine helle Stimme von der offenen Glasthür her vernehmen:

„Ja, was treiben Sie denn, lieber Rittmeister, statt uns zu helfen? Das Boot ist angekettet, und wir brauchen den Schlüssel.“

Der also Ueberraschte wendete sich schnell gegen Comtesse Anna um, die leicht auf die Schwelle gehüpft war, und versicherte mit der aufrichtigsten Miene von der Welt, er sei eben daran, die Baronin um diesen Schlüssel zu bitten, den sie aber nicht zu haben vorgebe.

„Da hätten Sie sich doch besser an den Herrn vom Hause gewendet.“

„Gewiß!“ fiel hier Witold mit tiefer und seltsam gepreßt klingender Stimme ein. „Der Herr Rittmeister kann versichert sein, daß ich jeder Forderung zu Diensten stehe.“

Erst jetzt wurden Steinweg und Lisa den Sprechenden gewahr, der mit dem Grafen ungefähr in demselben Augenblicke durch die Bibliothek eingetreten war, als die Comtesse auf der Treppe vom Garten her erschien und das Alleinsein der Beiden störte. Seine Augen brannten in einem so düsteren Feuer, daß sich jeder Andere von minder leichtem Blute, als der Angeredete, das zweideutige Erbieten in drohendem Sinne ausgelegt hätte. Steinweg jedoch erwiderte die Versicherung mit der ganzen ihm zu Gebote stehenden Liebenswürdigkeit.

Von der Bootfahrt war aber für's Erste keine Rede mehr; denn der Kaffee ward aufgetragen, und die ganze Gesellschaft vereinigte sich wieder um den Tisch; sogar Gretchen durfte wie eine große Dame an demselben Platz nehmen und trug mit ihrem lebhaften Geplauder nicht wenig zu dem allgemeinen Sprachgeräusche – denn weiter war es nichts – bei.

Comtesse Anna kam nach einer Weile wieder auf die Wasserfahrt zurück. Zuerst wollte sie auf dem Wasser nur eine Scene aus „Lohengrin“ aufführen. Sie fragte Lisa allen Ernstes, ob sie keine Schwäne hätte. Der Rittmeister müsse den Ritter des heiligen Graal spielen und aufgerichtet im Boote daherkommen. Sie selbst wolle die Elsa darstellen; das verstand sich von selbst. Papa sollte Heinrich den Vogler, Baron Lomeda Telramund, Lisa Ortrud spielen etc. Dann wieder sollte eine Regatta arrangirt werden u. dergl. m. Aus all den Plänen wurde schließlich nur eine einfache Ueberfahrt. Zwar wandte Witold gegen dieselbe den hochangeschwollenen Stand des Flusses, die Sicherheit der Telzer Brücke gegenüber der bedrohlichen Dorffähre und dies und jenes ein. Doch mußte er schließlich, um nicht unfreundlich zu erscheinen, nachgeben, da selbst Graf Baumbach seinem Töchterchen zustimmte und es bequemer fand, die directe Straße, statt des Umweges über Telz einzuschlagen; auf der Fähre, meinte derselbe, seien ja doch nur Pferde und Wagen überzusetzen.

Der Abend dämmerte schon herein, als die Gäste zum Aufbruche rüsteten. Die vorgefahrene Equipage wurde nach dem Dorfe gesandt, während sich die ganze Gesellschaft durch den Garten an den Fluß begab. Peter erwartete sie bereits in dem Kahne, den er losgekettet und ausgeschöpft hatte. Da derselbe nicht hinlänglichen Raum für Alle bot, das zweite, kleinere Schiffchen jedoch nicht genügend im Stande war, so hatte man sich nach einigem Hin- und Herreden dahin geeinigt, daß nur der Hausherr den Scheidenden das Geleit geben solle. Die beiden Schwestern, von denen ohnehin blos Lora ein wenig Lust gezeigt, die Partie mitzumachen, blieben, nachdem man allerseits Abschied genommen, am Ufer zurück.

Mit Mühe hielt Lisa Gretchen an der Hand fest, welches durchaus wie die Großen längs der Böschung nach blühenden Vergißmeinnichts suchen wollte. Die Comtesse, der Rittmeister und auch Lora hatten solche gefunden und allerlei Scherzreden damit verknüpft, deren Beziehungen nicht klar genug waren, um eine Deutung zuzulassen; nur so viel hatte Lisa dem Neckspiel entnommen, daß, während sich Steinweg-Lohengrin von Comtesse Elsa ein kleines Sträußchen an die Brust stecken ließ, Lora des Fährmanns Hut in gleicher Weise schmückte; der Fährmann war aber kein anderer als Witold, welcher sich mit Peter in die Arbeit theilte. Es that ihr wehe, den Scherz, hinter dem sich so bedeutsamer Ernst barg, mit anzusehen, und sie schritt daher an der lebenden Hecke, welche hier die Grenze gegen den Fluß bildete, weiter, bis zu einer vorspringenden eingegitterten Terrasse, die hauptsächlich zum Angeln hergerichtet war. Von hier aus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_239.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)