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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

ohne welche die Lehre Liebig’s auf unfruchtbaren Boden gefallen wäre. Thaer mußte zuerst durch moralische Hebung des landwirthschaftlichen Berufs demselben eine große Zahl geistig hervorragender Männer zuführen, welche die Lehre des großen Naturforschers verstehen und sich zu seinen Mitarbeiten emporschwingen konnten.

Thaer hat die Herrschaft der Dreifelderwirthschaft gebrochen. Nach seinen eigenen Beobachtungen und nach den Erfahrungen, welche man in England gemacht hatte, mußte der Anbau von Blattpflanzen, welche bei der Dreifelderwirthschaft eine so untergeordnete Rolle spielen, ja bei dem reinen System ganz fortfallen, für die Fruchtbarkeit des Ackers bedeutungsvoll sein. Sie führen dem Boden durch die gute Beschattung, welche sie ihm zu Theil werden lassen, die Gase der Luft in reicherem Maße zu; sie bereichern ihn durch eine größere Menge von Wurzelrückständen und geben ihm die zur Erhaltung der Fruchtbarkeit so nöthige Mürbung und Lockerung. Thaer’s Ideal war demgemäß die sogenannte Fruchtwechselwirthschaft, wie er sie in England und dort besonders in Norfolk gesehen, das heißt der stets zwischen Halm- und Blattfrüchten wechselnde Anbau. Das durch die ersteren angegriffene Bodencapital sollte durch die letzteren bald wieder Ersatz oder wenigstens Schonung erhalten, je nachdem sie grün abgemäht und zur Fütterung verwendet wurden oder auf dem Felde zur Reife gelangten. Wiesen und Weiden zu belassen ist nach Thaer nicht unbedingt nöthig, da auch der Acker quantitativ und qualitativ sehr ergiebiges Futter liefern kann, weshalb Grasflächen, wenn es sonst wünschenswerth erscheint, umgebrochen und eventuell in gutes Ackerland verwandelt werden können. Gute Wiesen geben allerdings sichere Ernten und einen hohen Reinertrag und liefern gleichzeitig einen willkommenen Zuschuß für die Krafterhaltung des Ackers. Der Futterbau auf dem Acker verringert zwar den Anbau von Körnern und anderen direct marktfähigen Früchten, aber er gestattet, das Vieh auf dem Stalle zu füttern, es rationell und reichlich zu ernähren und ebensowohl bessere und mehr Marktproducte, wie auch besseren und mehr Dünger davon zu gewinnen. Die Erträge aus der Viehhaltung steigen in solcher Weise direct, und es wird auch der besser gedüngte Acker trotz der reducirten Fläche größere Erträge an Körnern liefern; der Gewinn ist somit ein doppelter.

Das Vorstehende giebt den eigentlichen Kern der Thaer’schen Lehre wieder. Thaer versuchte auch bereits, bestimmte Zahlen für die Entnahme aus dem Bodencapital durch die Ernten und für den Ersatz aufzustellen, doch war der Ausbau der Lehre von der „Statik“, von der Gleichgewichts-Wiederherstellung, seinen Schülern vorbehalten, welche die Culturpflanzen in stark angreifende, angreifende, schonende und bereichernde theilten und die Minderung und Mehrung der Bodenkraft durch den jeweiligen Anbau entweder nach Centnern Stalldünger oder nach Procenten der ursprünglichen Bodenkraft berechneten.

Der wirkliche Werth dieser Thaer’schen Ideen bestand in der durch sie gegebenen Anregung zu selbstständigem Denken, zu freier Haltung gegenüber der hergebrachten Schablone, unter deren Joch bisher Alles sich blind gefügt hatte. Um dauernd praktisch einzugreifen, ermangelten sie, wie sich bald zeigen sollte, der rechten wissenschaftlichen Erkenntnißgrundlage. In der Agriculturchemie führte nämlich damals die Humustheorie das Scepter, das heißt die Theorie, nach welcher der Humus, die Ackererde, die eigentliche Pflanzennahrung bilden sollte. Das Irrige dieser Ansicht nachzuweisen, war Liebig vorbehalten.

Der Humus, sagt Liebig, ist überhaupt kein Nährstoff der höher organisirten Pflanzen. Sie leben nur von anorganischen Stoffen, welche sie zum Theil der Luft, zum Theil dem Boden entnehmen. An und für sich sind alle nothwendigen Nährstoffe – Kali, Kalk, Magnesia, Eisen, Phosphorsäure, Salpetersäure (oder Ammoniak), Schwefelsäure, Kohlensäure und Wasser – gleichwerthig. Fehlt einer derselben, so kann die Pflanze nicht gedeihen. Da aber Kohlensäure, Salpetersäure (beziehungsweise Ammoniak) und Wasser aus dem stets sich erneuernden Luftmagazin zugeführt werden können, so sind es nur die anderen, die bodenbeständigen oder Aschenbestandtheile der Pflanze, welche bei der Düngung die besondere Aufmerksamkeit des Landwirths verdienen. Die absolute Menge der in den Ernten entzogenen Aschenbestandtheile ist zwar nicht groß gegenüber dem Gehalte daran, den uns fruchtbare Ackererden bieten, es kommen jedoch für die Ernährung der Pflanzen nur die lösungsfähigen Stoffe in Betracht; nur solche vermögen in die Pflanze einzudringen, und deren Menge im Boden älterer Culturländer ist niemals sehr groß. Die Lehre von der Statik ist eine Irrlehre; denn Pflanzen, welche den Boden an ihm eigentümlichen Nährstoffen bereichern, giebt es nicht. Je größer die Ernte, um so größer die Entnahme und um so dringender die Nothwendigkeit des Ersatzes durch die Düngung, wenn die Fruchtbarkeit auf gleicher Höhe erhalten werden soll. Der Stalldünger, welcher aus den gewonnenen Pflanzen herrührt, kann keinen vollen Ersatz liefern, weil die Stoffe fehlen, welche in der Form von Körnern, Milch, Fleisch etc. ausgeführt wurden.

Mit dieser Lehre, deren Thesen nicht nur experimentell bewiesen, sondern auch durch die Erfahrung erprobt waren, stellte Liebig vor Allem das Vertrauen zu der Wissenschaft her. Seitdem ist die Chemie die tägliche und unentbehrliche Beratherin des Landwirths geworden; in ihrem Gefolge wurden Physik, Mineralogie und Geognosie, Botanik, Zoologie und Physiologie herangezogen. Das Bewußtsein, daß man, um ein tüchtiger Landwirth zu sein, nicht nur über eine reiche Erfahrung, sondern auch über ein reiches Wissen müsse verfügen können, ist nunmehr bei den jungen Landwirthen, welchen die Fortentwickelung ihres Gewerbes anvertraut ist, zur vollen Geltung gekommen.

Da sieht es im Betriebe der deutschen Landwirthschaft jetzt freilich anders aus, als zu jener Zeit, wo die bahnbrechende Thätigkeit Thaer’s begann. Der Boden, die eigentliche Grundlage aller landwirthschaftlichen Thätigkeit, wird sorgfältig untersucht, geognostisch bestimmt, in seine gröberen und feinen Bestandtheile zerlegt; seine Absorptionskraft, seine Wärme und Wasser leitende, anziehende und zurückhaltende Kraft wird erwogen, seine Mängel werden durch Meliorationen, durch Drainage, durch Bodenmischung beseitigt. Die Bodenbearbeitung wird nicht mehr nach der Schablone ausgeführt, sondern mit Rücksicht auf Luft, Wärme, Feuchtigkeit vorgenommen. Man ist darauf bedacht, durch rechtzeitige und passende Arbeit die Kräfte der Natur zur günstigen Wirkung zu bringen, und bedient sich dabei nicht nur der menschlichen Hand und der Muskelkraft der Gespannthiere, sondern auch der gewaltigen Dampfkraft. Die Düngung erfolgt keineswegs allein mit dem Dünger der Hausthiere, alle Abfälle aus der Wirthschaft werden je nach ihrem stofflichen Werthe zu diesem Zwecke zu Rathe gehalten; die Latrinen der Städte und so manche künstliche Dünger, mit deren Herstellung sich ein besonderer Industriezweig beschäftigt, werden herangezogen. Phosphorsäure und Kali, an denen der Boden am leichtesten Mangel hat, werden als Bestandtheile derselben besonders geschätzt; daneben ist auch der gebundene Stickstoff, Salpetersäure und Ammoniak, wieder in seine Rechte eingesetzt, da man inzwischen erkannt hat, daß er nicht direct aus der Luft, sondern nur durch die Vermittelung des Bodens den Pflanzen zu Gute kommen kann. Immer werden der Vorrath des Bodens einerseits und der Bedarf der anzubauenden Pflanzen andererseits in Betracht gezogen. Bei der Saat wird sorglicher als vordem die Beschaffenheit des Saatguts überwacht, und ebenso die gleichmäßige Unterbringung desselben zu der Tiefe, wie sie dem gegebenen Boden und der Natur der Pflanze am besten entspricht. Maschinen reguliren Stärke und Tiefe der Aussaat; indem sie die Früchte in Reihen aussäen, beugen sie auf reichem Boden der Schwächung der Pflanzen durch Lagern vor, denn das in die Reihen besser eindringende Licht kräftigt den pflanzlichen Organismus und giebt insbesondere dem Halme festeren Halt.

Die Ernte in der Hauptfrucht, in Roggen, die 1878 bei ziemlich sechs Millionen Hectaren Anbau auf durchschnittlich dreiundzwanzig Centner pro Hectare sich belief, war sicherlich um fünfzig Procent höher, als man von gleicher Fläche zur Zeit der herrschenden Dreifelderwirthschaft zu ernten pflegte, und doch hatte der anspruchslose Roggen sehr viele der besseren Aecker, welche ihm früher zufielen, an Weizen und andere werthvolle Früchte abtreten müssen, die früher nur in viel beschränkterer Ausdehnung gebaut wurden. Auch ist es nicht zu übersehen, daß die bessere Cultur Mißernten jetzt viel seltener eintreten läßt und daß man bei der Production nicht mehr lediglich auf die Quantität der Ernte, sondern auch auf die Gewinnung einer besseren Qualität abzielt. Und wie die Pflege-Arbeiten, mit welchen wir selbst zwischen Bestellung und Ernte Frucht und Feld überwachen, Gelegenheit geben, manche feinere Kenntnisse bezüglich der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_208.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)