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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


beinahe, wären wir nicht freiwillig gegangen, hätte Hilma Rattengift gestreut. O Witold, nicht wahr, Du behältst mich doch, bis ich irgendwo ein Unterkommen gefunden? Ich werde mich unterdeß hier schon als Gouvernante betrachten, um mich nützlich zu machen,“ und sich umwendend drohte sie mit komischer Würde: „Gretchen, nimm Dich in Acht – ich werde sehr strenge sein!“

Lachend kauerte sie sich nieder, mit der Kleinen in aller Eile Freundschaft zu schließen.

Witold aber ließ jetzt, ohne Druck, still und kalt zurücktretend, die Hand seiner Frau los.

Nur für die Schwester nahm sie die Heimath in Anspruch, nicht für sich. Darum also war sie noch einmal zurückgekommen – nur darum! – Auf wie lange?




7.

Wieder begann der Abend zu sinken, diesmal aber war es die schon länger verweilende Sonne der Tag- und Nachtgleiche, welche sich dem Höhenzuge auf der andern Seite des Flusses und den fernen blauduftigen Bergen zuneigte. Die letzten Strahlen, die noch über den First des Herrenhauses hinweg glitten, zogen einen goldenen Streifen an dem langen Stallgebäude hin, und ein kleines Bündel fand sogar noch Eingang durch die offene Thür, in welcher jetzt Lisa wie in einem Bilderrahmen erschien.

Die schlanke zierliche Gestalt in dem einfachen hausmütterlichen Kleide, die mit solcher Vorsicht die volle Milchschüssel in den Händen trug, über welche sich das feine Köpfchen mit den schlicht umgeschlungenen dunklen Flechten in großer Achtsamkeit neigte, hätte wirklich ein reizendes Motiv für einen Genremaler gegeben. Einen interessanten Contrast zu Lisa's Erscheinung bildete das hinter ihr eben auftauchende hagere, gelbliche Matronenantlitz mit einer seltsamen Mischung von Mißtrauen und Billigung im Blicke, welcher der Voranschreitenden beobachtend folgte.

„Es sind nur ein paar Schritte bis in die Kühlkammer,“ sagte Lisa im Heraustreten entschuldigend, „den kleinen Gang kann ich ja auch selbst machen Tante.“

„Wer Alles selbst machen will, verliert die Uebersicht über die Wirthschaft. Den Mägden aber gefällt die Erleichterung; sie lernen sich auf fremde Hülfe verlassen, und keine nimmt's mehr mit der Pflicht genau. Der Frau Arbeit ist Befehlen und Ueberwachen; sie ist nicht leichter als die der Magd.“

So sprach die Gräfin und als sie ihre Zurechtweisung beendet hatte, setzte sie bei sich hinzu:

„Sie hat wirklich Lust und Willen zur Wirthschaft. Ich hätte es nicht gedacht.“

Nicht wie man sich in eine Beschränkung, in eine Verbannung mit stumpfer Ergebung fügt, war Lisa in Riefling aufgetreten, sondern mit einem sich in ihren Mienen, in ihrem ganzen ein wenig aufgeregten Wesen deutlich aussprechenden Gefühle heiterer Zuversicht.

Während ihre Schwester bei Gretchen auf dem Gute geblieben, hatte sie schon am Morgen nach ihrem Einzuge in Riefling den Gatten auf einige Tage nach der Stadt zurückbegleitet. Sie hatte die Zeit in der Stadt mit einer ihrem zarten Körper kaum zuzutrauenden Unermüdlichkeit zum Ordnen und Einpacken und zu den unerläßlichen Abschiedsbesuchen verwendet, sodaß Witold, welcher einige Tage länger in der Stadt blieb, ungehindert sämmtliche Geschäfte abwickeln konnte.

Und von dem Tage ihrer Rückkehr an hatte sie begonnen, sich in Haus und Hof umzusehen und nützlich zu machen. Witold's Tante hatte darauf bestanden, ihr sofort mit den Schlüsseln auch die Herrschaft abzutreten, wogegen sich jedoch Lisa sanft, aber mit Bestimmtheit gesträubt. Da sie nichts von der Wirthschaft verstehe, hatte sie entgegnet, wäre sie, wenn man sie zwänge, dieselbe zu übernehmen, genöthigt, eine Haushälterin und Oberaufseherin zu ihrem Beistand herbeizuziehen, welche neue und im Grunde überflüssige Ausgabe in der gegenwärtigen Lage kaum räthlich sei. Die bisherige Herrin, unter deren Führung Alles so wohl gediehen, möge sich auch weiterhin als solche betrachten, so lange wenigstens, bis es die Schülerin dahin gebracht, sie mit einigem Erfolg ersetzen zu können. Und als Schülerin erbat sich Lisa die Erlaubniß, die erfahrene Leiterin des ganze Hauswesens überallhin begleiten zu dürfen, um so allmählich sich in den künftigen Beruf hineinzuleben.

Die Tante verwunderte sich zwar, aber da ihr alles Vorgebrachte doch ganz verständig erschien, gab sie endlich ihre Zustimmung, während Witold, als er von den getroffenen Abmachungen verständigt wurde, Lisa's Weigerung, in die Rechte der Hausfrau einzutreten, im Sinne eines ihm nur zu klaren Vorbehalts deutete. –

Eben kam Lisa mit leeren Händen wieder aus der Kühlkammer zurück und gab nun ihrer Lehrmeisterin auch die früher zurückbehaltene Antwort, die trotz des Lächelns bewies, daß sie bei aller Unterordnung unter einen fremden Willen nicht auf die eigene Selbstständigkeit verzichtete:

„Wer befehlen und überwachen will, muß doch erst selbst wissen, wie's gemacht wird. Und auch das Kleinste ist oft nicht so leicht, wie man sich vorstellt. Ich selbst hätte heute Schelte verdient.“

Sie deutete dabei auf einen großen feuchten Fleck auf ihrer weißen Wirthschaftsschürze.

Die Selbstanklage entlockte der Tante einen Schein von Lächeln, doch war sie sofort wieder ernst und nickte nur.

„Die Treppe ist schlecht und dunkel. Die Mägde verschütten immer die Milch; man darf darum die Schüsseln nicht so voll nehmen.“

„Dann hat man aber kein Maß,“ wendete Lisa ein.

Einen Augenblick sah die Tante ihr sinnend in's Gesicht. Dann sagte sie mit sichtlichem Widerstreben:

„Nun ja, der Eingang muß geändert werden. Ich will morgen mit Witold reden, oder auch sofort. Er muß ja schon zurück sein; da führt Peter sein Pferd.“

„Er ist heute nicht geritten, sondern zu Fuß fort, und das Pferd ist nicht 'Ralf', Tante; sein Braun ist ein viel helleres. Es wird doch kein Besuch –“

Sie sprach den Satz nicht zu Ende; ein aufsteigender Gedanke machte, daß ihre Wangen die Farbe wechselten.

Die beiden Frauen gingen neben einander durch den Hof, an Harro vorüber, der sich von Frip geduldig an der wolligen Brustkrause zausen ließ, den kleinen Necker nur dann und wann mit gutmüthigem Schlag der derben Pfote in den Sand kugelnd, und der nun seine Schnauze abwechselnd einmal in die herunterhängende Hand seiner älteren und die der rasch lieb gewonnenen jüngeren Herrin schob, welche ihm den possierlichen kleinen Spielgefährten mitgebracht hatte. Sie traten geradewegs auf Peter zu, der ein schlankes englisches Reitpferd von edlem Blute im Schatten des Hauses auf und ab führte.

„Ein Herr Officier,“ meinte er kopfschüttelnd auf die Frage, ob der Herr zurück sei und ob vielleicht Graf Baumbach mit ihm gekommen. „Ich denke, es wird wohl einer von den Husaren in Moorstädtel sein. Er sagte, ich brauchte das Pferd nicht einzustellen, und fragte, ob die gnädige Frau zu Hause sei. 'Natürlich,' sagte ich; darauf ging er in's Haus. Der Herr Baron aber wird später erst heimkommen. Er ist in's Dorf zum Vorsteher, wegen der schadhaften Fähre. Wir hätten heute genug gearbeitet, sagte er, und es ist wahr, die Dreiäcker sind ganz umgebrochen, und da hat er uns mit den Pflügen heimgeschickt.“

Lisa hatte über die lange Auskunft Zeit gehabt, sich zu fassen. Ihre Ahnung war mit den ersten Worten bestätigt worden. Der Besucher konnte nur Gustav sein. Sein Urlaub war nun wohl zu Ende, und er machte Ernst mit seiner Drohung, hier in Riefling die Belagerung aufzunehmen, nachdem jener erste Ansturm so unbefriedigend ausgefallen war. Daß sein wiederholter Besuch während jener Tage des Räumens und Packens nicht angenommen worden war, hatte ihn offenbar nicht abgeschreckt. Von Richard mußte er ja ungefähr über die Lage der Familie und die Ursachen der plötzlichen Uebersiedlung Lomeda's auf das Land unterrichtet worden sein. In der erfahrenen Abweisung sah er nur eine Maßregel, die wohl alle Bekannte des Hauses traf und die bei der Auflösung desselben eigentlich selbstverständlich war. Er hatte seine Pläne also vertagt, so mußte sie annehmen. Wenn er sich aber jetzt mit der Hoffnung schmeichelte, an jene unterbrochene Zwiesprache anknüpfen zu dürfen, so mußte ihm diese Hoffnung gleich jetzt, wo er zum ersten Male seinen Fuß über die Schwelle von Riefling setzte, für immer benommen werden. Der Zauber jener Stunde war gebrochen, und in Lisa's Seele lebte nicht einmal mehr der zur Duldung verwandelte Rest jener einstigen schwärmerischen Sehnsucht.

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