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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


hernieder, der rechte Hintergrund für die phantastischen Trümmer der jetzt hoch droben erscheinenden, durch ihre Entstehungsgeschichte so merkwürdigen Gräfinnenburg.

Auf dem schon schroffen Berggrat nämlich, der das reizende Moselthal von Trarbach bis Enkirch umkränzt, saß seit grauer Vorzeit ein Hauptstamm der Grafen von Sponheim, der sich nach der hier erbauten, jetzt in kaum bemerkbaren Resten noch übrigen Veste Starkenburg, die Sponheim-Starkenburger Linie nannte. 1324 herrschte hier die Gräfin Lauretta, geborne von Salm, deren frühzeitig verstorbener Gemahl ihr seine reichen Besitzungen und drei unmündige Kinder hinterlassen hatte. Da beschloß Erzbischof Balduin, einer der kriegerischsten und mächtigsten Kirchenfürsten auf Triers Thron, Bruder Kaiser Heinrich's des Siebenten und Onkel des Königs Johann von Böhmen, das Erzstift auf Kosten der schutzlosen Wittwe zu bereichern. Er baute auf Sponheimischem Boden an einer Burg, besetzte sie mit seinen Mannen und begann die Besitzungen der Gräfin auszuplündern. Aber Lauretta sammelte ihre Vasallen und trieb die Trierer mit blutigen Köpfen zurück. Ergrimmt schritt jetzt der Bischof zu einer Belagerung der Starkenburg.

Die Gräfin, ebenso klug wie muthig, erkannte, daß sie auf die Dauer dem übermächtigen Gegner schwerlich gewachsen sei, verschob ihre Rache auf gelegenere Zeit und trat im Waffenstillstand einen Theil ihres Gebietes an Trier ab. Sorglos fuhr darauf Balduin eines Tages mit geringem Gefolge die Mosel hinab gen Coblenz. Aber die Gräfin hatte Kunde davon erhalten und kaum bog die Barke Balduins bei Starkenburg um ein mit Buschwerk bewachsenes Vorland, da schnellte vor derselben eine mächtige Kette aus den Tiefen des Wassers, aus dem Ufergestrüpp aber brachen Kähne mit Bewaffneten hervor, machten den Bischof zum Gefangenen und führten ihn hinauf nach der Starkenburg.

Die gesammte hohe und niedere Geistlichkeit rief umsonst Fluch und Verdammniß über die Kecke herab; Kaiser Ludwig und König Johann drohten vergeblich; sogar der große Kirchenbann, der vom Papste feierlich über sie verhängt wurde, vermochte Lauretta nicht zu beugen, und als sie den Gefangenen entließ, hatte er geschworen, das von ihm zu bauen begonnene Schloß Birkenfeld unvollendet liegen zu lassen und ein Lösegeld von 11,000 Pfund Hellern zu bezahlen. Balduin's mehrwöchentliche Haft war eine ehrenvolle gewesen, und er hatte während derselben seine Feindin kennen und achten gelernt. So kam es, daß er nach seiner Freilassung selbst die Aufhebung des Kirchenbannes vom Papste erbat und ein Schutz- und Trutzbündniß mit Lauretta einging. Nur gering waren die Kirchenstrafen, welche die sponheimischen Vasallen zu büßen hatten. Das Lösegeld Balduin's aber verwandte Lauretta zum Aufbau der Trarbach krönenden Gräfinnenburg, die nach ihrer Vollendung für eine der stärksten Burgen des Mittelalters und als uneinnehmbar galt. Besonders blutige Kämpfe um den Besitz derselben, als des wichtigsten Punktes der Mosel, spielten sich im dreißigjährigen und spanischen Erbfolgekriege bei Trarbach ab, und am wildesten ging es her im Jahre 1734, wo 250 Deutsche mehrere Wochen hindurch sich mit Erfolg gegen ein großes, unter dem Befehle des Marschalls Belle-Isle stehendes Heer Franzosen vertheidigten. Erst nachdem die Belagerer 2634 Bomben, jede zu 500 bis 600 Pfund, in die Burg geschleudert und mehrere ungeheure Breschen geschossen, capitulirte die tapfere Besatzung und zog unter ihrem Commandeur, Freiherrn von Hohenfeld, mit Fahnen und Geschütz frei ab nach Ehrenbreitstein.

Trarbach gegenüber lagert sich langgestreckt auf schmalem Ufersaume das gartenumkränzte Traben, hinter dessen alten Häusern die herrlichen Formen des Plateaus sich erheben, welches vor zweihundert Jahren die berüchtigte Moselzwingburg Ludwig's des Vierzehnten, den Montroyal, trug. Nach dem Plane des genialen Vauban erbaut, bildete die gewaltige Festung in Verbindung mit der Gräfinnenburg ein ungeheures Thor, das den Eingang nach Deutschland sichern mußte.

Erst das Jahr 1698 brachte dieser Zwingburg den Untergang, die wie ein eherner Fuß den Nacken der unglücklichen Rheinländer niedergezwungen hatte. Traben, der alte, weinberühmte Ort, ist dem Maler besonders noch lieb und werth. Nicht allzu viel verändert hat das letzte Jahrhundert in dem Thun und Treiben des Volkes. Auch die Bauart muthet uns noch recht feudal und mittelalterlich an. Neugierig springt ein Stockwerk über das andere hervor; das Holzwerk ist künstlich geschnitzt und zeigt namentlich an den Balkenknöpfen und Fensterleisten prächtige Arbeit, von der in der Illustration Proben als Mittelstab angebracht sind. Vom Mittelpunkte des Ortes aber, dem Marktplatze, wo alle Gassen zusammenlaufen und Abends die ehrsamen Bürger auf den Treppen hocken, um zu kannegießern, da winkte noch vor kurzer Zeit vom altersgrauen Rathhause das Glöckchen, um zu jeder Stunde der Gefahr, wie auch zum Rathe, die Bürger mit schrillem Tone zusammen zu rufen. Seit dem 2. November des vorigen Jahres, wo eine große Feuersbrunst 60 der ältesten Wohnhäuser verzehrte, liegt dies Alles, Haus und Thürmchen in Schutt und Asche und mit ihm ein Denkmal weit zurückreichender geschichtlicher Erinnerungen. Namentlich konnte man im Rathhaussaal noch die alte, derbe Bauart erkennen, wie sie damals in Deutschland gang und gäbe war: altersbraune, mächtige Pfeiler stützten die Decke; gegen die Straße hin öffnete sich ein Erker mit kleinen, bleigefaßten Fenstern; in uralten, mit schweren Schlössern versehenen Truhen lagen die Documente und Urkunden des Ortes, und ein gewaltiger Eckschrank barg des Ortes Zinngeschirr, das zum Gebrauche armer Bürger bei festlichen Gelegenheiten angeschafft worden war: radgroße Teller, Käseschüsseln, Trinkgefäße und vor Allem die merkwürdige „Strafkann', ein Monstrum ihrer Art. Den interessantesten Theil aber bildeten Glasgemälde, die, von holländischen Kaufleuten vor zwei Jahrhunderten gestiftet, meist Scenen aus der biblischen Geschichte zum Gegenstande ihrer Darstellung hatten und auf denen man einen David im Costüm der Pappenheimer, einen Holofernes in Landsknechtshosen bewundern konnte, während bei der Belagerung von Jericho ganze Reihen von Kanonen Feuer und Flammen spieen.

Geht man auf dem wunderbar romantischen Wege hin, den der kleine Rautenbach durch düstere Felsen und lachende Wiesen gebrochen, so eröffnet sich eine halbe Stunde von Trarbach eine wilde, einsame Gebirgslandschaft, deren höchster Punkt, auf einer kahlen Koppe, weithin sichtbar die cyklopischen Ueberreste des Wellsteines trug. Wie eine düstere Mythe ragt das seltsame Monument aus dem wüsten Chaos der viele Centner schweren Steinblöcke hervor, deren kolossale Größe bezeugt, daß die Erbauer des räthselhaften Bauwerkes dem heutigen Menschengeschlecht an Körperkräften weit überlegen gewesen sein müssen.

Vor zwei Jahrhunderten stand der Wellstein (den man, wie auf unserer Illustration, auch als Wildstein bezeichnet findet) noch in seiner ganzen trotzigen Gestalt. Acht gewaltige Blöcke waren zusammengefugt, ohne Mörtel und nur mit Hülfe kleinerer Steine zu höchster Festigkeit verbunden. Drei Steine erhoben sich nach oben zu in einem Punkte sich zusammenneigend, sodaß zwischen diesen drei Steinfüßen ein fünf Fuß hoher und neun Fuß langer leerer Raum blieb. Auf diesem ungeheuren Dreifuße lagen vier viereckige gleich große Steine übereinander, von Weitem anzusehen wie eine viereckige Säule, auf der Säule aber eine ungeheure Steinplatte, über alle Seiten weit hinausragend. Unser Gewährsmann, der hochgelahrte weiland Rector Hoffmann vom Trarbacher Gymnasium, versichert in seiner „Ehrensäul“, daß diese Steinplatte trotz der heftigsten Windstürme unverrückt liegen geblieben, obgleich dieselben sie so bewegt, daß man das Getöse in Trarbach habe hören können. Eines Tages aber – es war im Jahre 1730 – kam es einem Gymnasiasten von Trarbach in den Sinn, die eben in der Schule vernommene Lehre von der Gewalt des Hebels an dem Kopfe des Wellsteins zu versuchen, und nach kurzer Zeit fiel der Stein mit donnerndem Gekrache hinab, Alles zerschlagend und selbst zerberstend.

Die Wissenschaft unserer Tage ist noch nicht herangetreten an den einsamen Stein, im Volke aber munkeln halbvergessene Sagen, daß unter ihm ein mächtiger Heidenkönig die ewige Ruhe halte, und daß man vor langer, langer Zeit beim Graben Spuren von Baugefüge und sonderbare Geräthe gefunden, deren Zweck Niemand zu deuten gewußt.

Wir hatten in Trarbach übernachtet und rüsteten uns zur letzten Tagereise. Der Tag begann zu grauen, und wir wählten den Weg, der „über den Berg“ gen Berncastel führt, um der gewaltigen Krümmung zu entgehen, welche die Mosel zwischen beiden Orten beschreibt. Auf der Höhe, wo in der Nähe alter verfallener Schwedenschanzen einige dürre Eichbäume ihre blätterlosen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_195.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)