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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


„Frau und Kind!“ warf Richard's frühere Gegnerin, jetzt seine Partei ergreifend, ein. Dafür aber dankte er schlecht.

„Bah! Frau und Kind gehören zu ihm,“ fuhr er, ohne Lisa's Mahnruf zu beachten, im gleichen heftigen Tone fort. „Das ist seine Sache – ob er sich selbst zum Habenichts macht in seiner Eigenschaft als Familienvater, das geht mich im Grunde nichts an, aber seine Geschwister um das Ihrige bringen – pfui! Da sieh das arme Ding an,“ sagte er, auf Lora zeigend, „das mit einer überfeinerten Erziehung, mit allen Ansprüchen an die Welt, jetzt hinaustritt in's Leben, welches für die Arme ein Complex von getäuschten Hoffnungen, Demüthigungen und Elend ist. Verstehst Du, um was Du sie gebracht hast? Um ihr Glück.“

„Nein, Richard!“ fiel Lora eifrig ein. „Ich dulde es nicht, daß Du in meinem Namen Heinrich schiltst. Ich verlange nichts; ich wünsche nichts; ich verzichte auf Alles – es soll nur endlich Ruhe werden.“

Ihr Antlitz hatte sich geröthet, und aus ihren blauen Augen leuchtete ein entschlossener Wille, den man in dem frohmüthigen Geschöpfe gar nicht gesucht hätte. Sie trat nun auch an Heinrich's Seite, der, an der Lippe nagend, ihr einen bittend dankbaren Blick zuwarf, und ergriff, wie zum Zeichen ihres Entschlusses, seine Hand.

„Eben deshalb,“ fuhr Richard fort, ohne sich beirren zu lassen, „eben deshalb, weil Du in kindischer Einfalt nicht weißt, was Du thust, brauchst Du Jemand, der für Dich spricht. Er darf Deinen Verzicht gar nicht annehmen, wenn er sein Gewissen nicht noch mehr belasten will. Gottlob, unsere Erbtheile sind alle verhypothecirt, und für die Jüngste mit pupillarischer Sicherheit; wenn unsere Frau Stiefmama, wie sie eben durch ihren Herrn Rechtsvertreter vermelden ließ, auf Subhastation anträgt, im Falle sie ihre gekündete Hypothek nicht binnen einer Woche ausbezahlt erhält, so läufst Du ihr doch noch mit Deinem vorhergehenden Posten den Rang ab.“

„Aber ich will nicht, ich will nicht,“ rief Lora mit dem Fuße aufstampfend, daß man den Hacken ihres Stiefelchens auf dem Parquet klappen hörte.

„So schenke doch Dein Geld diesem rücksichtslosen, habgierigen Weibe!“ schloß Richard zornig den Streit.

Nun aber trat Lisa unmittelbar an ihn heran; sie legte ihre Hand auf seinen Arm, und unter dem Blitze ihres Auges hielt er mitten in seiner Wendung, die er auf dem Absatze zu machen gewillt war, unwillkürlich an.

„Es ist ein trauriges Drama, zu dem ich hierher gekommen bin,“ sagte sie ernst und unwillig, „und Du, Richard, hast Dir keine schöne Rolle darin gewählt. Meine Meinung habe ich Dir schon vorgestern gesagt, daß Du aber mit jener Frau – mit unserer Stiefmutter concurriren willst, das nimmt mich Wunder; dann hast Du wahrlich kein Recht, sie zu verabscheuen.“

„Wer will concurriren?“

„Du – so muß ich wenigstens annehmen. Freilich, wenn ich es verhindern kann, geschieht es nicht. Ich weiß von Lomeda, daß wir Alle, Du, Lora und ich, Grund haben, zu verzichten, und wenn Du nicht schon abgereist gewesen wärst, als er mir Alles auseinander setzte, wärst auch Du von der Rücksicht unterrichtet, die uns zur Verzichtleistung zwingt. Es darf zu keinem Concurse kommen. Er muß um jeden Preis vermieden werden – auch um den höchsten! Und Du, Heinrich, schaffe das Geld für diese eine Drängerin! Wirf ihr das erschlichene Vermögen hin, damit sie schweige! O, wenn der Vater sie jetzt sehen könnte!“

„Ihr Theil wäre zu beschaffen ...“ meinte Heinrich kleinlaut.

„Sieh!“ ließ sich hier seine Frau vernehmen. „Da scheinen ja noch Geheimnisse vorzuliegen. Baron Lomeda und Gemahlin glauben mich wohl ganz als Nebenperson betrachten zu dürfen, auf die bei den von ihnen getroffenen Abmachungen keine Rücksicht genommen zu werden braucht. Für Andere wird gesorgt, daß aber in erster Linie Rücksicht auf Frau und Kinder genommen würde, liegt natürlich außerhalb der Erwägungen.“

Alles schwieg. Selbst Lisa kämpfte, die Verbitterung des Unglücks nachsichtiger beurtheilend, ihre Unmuth nieder. Den Blick noch immer auf Richard geheftet, fragte sie ihn mit dem feierlichen Tone tiefer Ergriffenheit, ob er ihren Bitten folgen wolle.

Finster, grämlich hatte er dagestanden. Jetzt warf er sich, als ob Lisa's Bitten die Erstarrung seiner Glieder gelöst, mürrisch in den nächsten Stuhl.

„Je nun, warum schelte ich denn,“ brummte er, „als weil ich mich in diese traurige Nothwendigkeit ergeben habe und verzichte? Thäte ich's nicht, hätte ich den Mund zu halten, es träfe mich ja nicht; so aber meine ich mir wenigstens das Recht erkauft zu haben, mir die Galle von der Leber zu reden.“

„Ist's Dein Ernst?“ fragte Lisa freudig.

„Na, es versteht sich wohl von selbst.“

„Bruder ...!“ Mehr brachte Heinrich nicht heraus, er legte die Hand über die Augen.

Nur so rascher ging Lora's Zünglein. Voll Entzücken sprang sie auf Richard zu und fiel ihm um den Hals, daß er Noth hatte, sich der Liebkosungen zu erwehren.

„Du bist mein Ideal, Richard,“ betheuerte sie. „Ich schwärme für Dich. Der schönste, eleganteste, nobelste Ulanenlieutenant der ganzen Armee!“

„Damit wird's nun wohl vorüber sein,“ erwiderte er seufzend. „Ich werde um meine Versetzung in ein Infanterieregiment einkommen, oder nein, lieber Jäger – die Uniform ist doch immer aparter. Und dann heißt's Pferde verkaufen, sich einschränken, von der Gage leben. Hm! man kann sich auch an Virginia-Cigarren gewöhnen – es müssen just nicht Regalia sein.“

„Und ich will Gouvernante werden,“ sagte Lora trotz aller Lebhaftigkeit mit großem Ernste. „O, ich habe die schönsten Zeugnisse; Französisch, Englisch und Musik: Vorzugsclasse. Ich werde an die Damen schreiben, daß sie mir eine Stelle verschaffen, recht weit weg, wo man nichts weiß von uns, in Rußland oder Indien.“

„Nein,“ fiel da Heinrich, der sich ermannt hatte, mit Bestimmtheit ein, „das sollst Du nicht, arme Kleine. So lange ich lebe, sollst Du bei mir Deinen Platz finden. Ihr habt so ungeheure Opfer gebracht, meine Geschwister, so edelmüthige; es sollen nicht noch größere – ich wäre ein Schuft, wenn ich sie annähme! – – Unehrlich war ich nicht, nur träge und gedankenlos. Aber ich will arbeiten, und müßte ich mit diesen Armen – sie sind stark genug – und wenn es als Holzhauer sein müßte!“

„Vielleicht eignest Du Dich dazu am allerbesten,“ warf, während alle Anderen die Bewegung in dieser fast athemlosen mächtigen Brust mit empfanden, Frau Hilma schneidend hin. „Ich begreife nur nicht, wie Du mit dieser keineswegs sehr lucrativen Beschäftigung ein solches Einkommen verdienen willst, um damit auch noch Gastfreundschaft zu üben. Meines Erachtens bist Du gar nicht in der Lage, Dir noch weitere Kostgänger aufzuladen; sieh zu, daß erst die Deinen satt werden!“

„O Lisa, nimm mich mit Dir! Ich möchte keine Nacht mehr unter diesem Dache bleiben,“ bat Lora hastig ihre Schwester. Diese trat im Augenblick näher an Hilma heran.

„Frau Schwägerin,“ sagte sie eindringlich und ruhig, „wer einem Armen in seine Suppe ein bitteres, ekelhaftes Kraut wirft, der begeht eben keine schöne Handlung. Eine Frau, die ihrem Manne geschworen, in allen Lagen treu bei ihm auszuharren, sollte dieses Eides zumal im Unglück tröstend und erwärmend eingedenk bleiben. Damit schafft sie Glück um sich und sich selber innere Befriedigung.“

„Wie Du zum Beispiel,“ setzte Frau Hilma, mit der hohnvollsten Grimasse sich auf ihrem Sitze verneigend, hinzu.

Der Pfeil saß, und Lisa wechselte verstummend die Farbe. Kein einziges Wort hatte sie zur Verfügung. Ihr war, als hätte man ihr einen Spiegel vorgehalten, aus dem ihr das eigene versteinerte Medusenhaupt entgegenstarrte.

Lora, welche den grinsenden Spott ihrer Schwägerin und das jähe Verstummen ihrer Schwester nicht verstand, wollte eben deren Vertheidigung übernehmen, als der Diener in seiner anspruchsvollen Livree, die so wenig zu dem wankenden Hause paßte, unter die Thür trat und zu Tische rief.

„Ihr werdet mit Wenigem vorlieb nehmen müssen,“ sagte die Hausfrau mit der säuerlichsten Entschuldigung; „doch dürfte uns ja allen der Appetit ohnedem vergangen sein.“

„Durch das bittere Kräutlein in der Suppe,“ sagte Lora ergänzend hinzu, indem sie Richard, der in schweres Nachsinnen versunken war, aufmunternd am Bärtchen zupfte.

Es war ein Aufbruch wie zu einem Leichenmahle.


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