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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Natürlich hat diese systematische Täuschung und Prellerei des Publicums in der wohlmeinenden Presse stets die entschiedenste Gegnerschaft gefunden, und die „Gartenlaube“ darf sich wohl das Zeugniß geben, ihrerseits seit langen Jahren das Mögliche gethan zu haben, das Publicum vor solcher gewissenlosen Ausbeutung zu warnen. Sie will aber auch ihrer Mitstreiter auf diesem Gebiete nicht vergessen und nennt dabei in erster Reihe den verstorbenen Professor Bock, den Professor der Medicin Dr. H. E. Richter, den Vertrauensmann der Dresdener Aerzte beim sächsischen Landesmedicinal-Collegium, der eine besondere Schrift gegen das Geheimmittelunwesen (Leipzig, 1872 bis 1875) herausgegeben hat, und Dr. Emil Jacobsen in Berlin, der in seiner mit Dr. E. Hager begründeten Zeitschrift „Industrieblätter“ seit einem Jahrzehnt tapfer zur Unterdrückung dieser am Volkswohle nagenden Krebsgeschwüre gekämpft hat. Es kann wohl kaum ein beredteres Zeugniß für den großen Umfang des Unwesens und der durch dasselbe geschädigten Interessen geben, als daß ein hauptsächlich gegen die Geheimmittelkrämerei gerichtetes Preßorgan als Bedürfniß erschienen ist und im gebildeten Publicum Boden finden konnte. Es wäre freilich zu wünschen, daß diese Zeitschrift eine noch weitere Leserschaft an solchen Personen fände, die in ihrem Kreise auf Unterdrückung der großen Calamität hinwirken wollen und können.

Naturgemäß hat sich dieser Kampf der wohlmeinenden Presse nicht blos gegen die Geheimmittelfabrikanten, sondern und mit erhöhter Energie gegen die Helfershelfer gewendet, bei denen sie als sicher voraussetzen kann, daß sie sich nicht aus bloßer Fahrlässigkeit an dem kostbaren Gute ihrer Mitmenschen versündigen. Und dieser Kampf ist kein ganz dornenloser; denn die Angegriffenen, welche an kolossale Geschäftsunkosten gewöhnt sind, strengen in der Hoffnung, doch einmal zu triumphiren, selbst in den aussichtslosesten Fällen Injurienprocesse an, um den Gegner einzuschüchtern und ihrem Geschäfte freie Bahn zu schaffen. Die Richter sind nicht immer unbefangen genug, zu erwägen, daß es sich hierbei um Kämpfe für das Volkswohl handelt, daß die Angriffe nicht den Personen an sich, sondern ihrem unsaubern Treiben gelten, daß keinerlei egoistische Motive, sondern rein ethische denselben zu Grunde liegen und statt einer schlechten Absicht (dolus) vielmehr die allerbeste vorhanden ist. Trotz alledem hat auch die „Gartenlaube“ manche bittere Erfahrungen auf diesem Gebiete sammeln müssen, aber sie will hier nicht von sich selber reden, sondern an einem andern Beispiele zeigen, wie auch die selbstlosesten Streiter im Kampfe gegen den Geheimmittelschwindel nicht selten die Zeche bezahlen müssen.

Nachdem Dr. E. Jacobsen die hervorragendsten Geheimmittel-Väter und -Beschützer schon lange Jahre hindurch mit den Waffen der wissenschaftlichen Kritik bekämpft hatte, indem er ihnen an der Hand der chemischen Analyse Schlag auf Schlag nachwies, welch werthloses Zeug sie fortwährend in die Welt setzten respective empfahlen, fiel es ihm vor nicht langer Zeit eines Tages bei, einmal die Waffen zu wechseln und die Satire gegen sie in's Feld zu schicken. Er veröffentlichte im Briefkasten seiner „Industrieblätter“ folgende köstliche Persiflage, die wohl ein Seitenstück zu dem berühmten Theaterzettel Lichtenberg's contra Philadelphia genannt zu werden verdient:

„... Vor einigen Jahren hat Professor A. in J., der berühmte Erfinder der Glycerin-Glanzwichse, bei Experimenten mit einer Deleuil'schen Quecksilberluftpumpe sich die Frage vorgelegt: was wird daraus, wenn man nach Erreichung vollständigster Luftleere weiterpumpt? Gedacht, gethan! Zu seinem Erstaunen entwickelte sich ein blauer Dunst, den der Professor durch eine U-förmige Röhre leitete und genügend abkühlte, wobei eine Condensation des Dampfes stattfand, sich schöne blaue, goniometrisch noch nicht bestimmte Krystalle bildeten. Die Untersuchung ergab, daß man es mit krystallisirtem Raum zu thun hatte. Die Tragweite dieser Erfindung ist natürlich eminent: kein Mangel an Raum mehr! Der Erfinder hat seine Erfindung nicht verwerthen wollen, weil er von der preußischen Patent-Commission mit der Behauptung abgewiesen wurde, die Luftpumpe wäre nicht neu und das Pumpen nichts Eigenthümliches. Ein Versuch Professor A.'s, den krystallisirten Raum als Geheimmittel gegen Magerkeit zu verwerthen, scheiterte, trotzdem die Herren Medicinalrath X., Dr. Y., Dr. Z. und Director W. die besten Atteste ausstellten.“

X., Y., Z., oder vielmehr des inzwischen verstorbenen Z. Wittwe, verklagten den Satiriker, erstere wegen Beleidigung, Herabsetzung ihres „wissenschaftlichen Ansehens“ und Schädigung ihres Geschäftsbetriebs als Geheimmittel-Empfehler, letztere unter Bezeichnung des Angriffs als eine Art Leichenschändung. Die pietätvolle Wittwe wurde mit ihrer Anklage abgewiesen, X. und Y. aber gewannen ihren Proceß in zwei Instanzen, da sie mit Bestimmtheit nachweisen konnten, den sicherlich ganz unschädlichen krystallisirten Raum niemals als bestes Mittel gegen Magerkeit empfohlen zu haben.

Man ersieht hieraus, daß, wer im Kampfe gegen solche Gebrechen des öffentlichen Lebens, die im Strafgesetzbuche nicht vorgesehen sind, siegreich bestehen will, sich gar oft gegen Arglist mit List wappnen muß, wie es laut unserer neulichen gelegentlichen Mittheilung in dem Artikel „Ein Preßproceß der 'Gartenlaube'“ (Nr. 7, „Blätter und Blüthen“) der Karlsruher Ortsgesundheitsrath gethan hat.

Und das Heilmittel gegen jenes Bündniß von Geldgier und Gewissenlosigkeit? Wir wissen vorläufig kein anderes Universalmittel, als die Aufklärung des Publicums über dergleichen Schwindel, denn das Radicalmittel eines Verbots aller öffentlichen Anpreisungen von Heilmitteln unbekannten Inhalts scheint trotz seiner Einfachheit von den gesetzgebenden Factoren aller Länder für undurchführbar gehalten zu werden. Vergeblich fragen wir: warum?




Karpathen-Menschen.
2. Paulu, der Vergeßliche.
Von F. Sch.
(Fortsetzung.)

„Was ist's, Junge? Hat's ein Unglück gegeben?“ sprach ich.

Paulu schüttelte verneinend den Kopf mit den langen Haarlocken, welche wie die Zweige eines vom Sturme zerzausten Baumes umherhingen.

„Ist der Wurf mißglückt?“

Abermaliges Kopfschütteln folgte; erst als der sichtlich Erschöpfte ein Glas Rum, das ich ihm reichen ließ, in hastigen Zügen getrunken, lösten sich gleichsam die Worte von der schwer athmenden Brust.

„Es ist nichts, Herr – nur ein Narr, und ein altes schlechtes Weib – aber glaubt mir, das Geschwätz der Elster oder das Knarren der Windfahne ist verläßlicher, das Gekrächz des Todtenvogels glückbringender als –“

Armer Junge! Er lachte auf wie geistesverwirrt, und in der Einfalt seines Gesichtsausdruckes lag nun ein Zug von Wildheit, der mich fast erschreckte.

„Wohl, Paulu, aber was kann ich für Dich thun?“ meinte ich begütigend.

„O Herr!“ rief er plötzlich, um im nächsten Augenblicke wieder mit stier auf einen Punkt gerichtetem Blicke hinzuzufügen: „Nichts, Herr – ich kam nur, weil – ja weil ich hörte, Ihr wolltet nach Rimnik heimreiten, und ich dachte –“

„Nun, was dachtest Du?“

„Ja seht, Herr, es ist ein weiter Weg für Fremde; darum nehmt mich mit! Und ich will des Teufels sein, wenn –“ Und wieder hielt er inne mit wirrem Blicke.

Sein Geist glich einem Uhrwerk, dessen beschädigte Räder nur noch stoßweise fungiren, doch war dies nach dem Fehlschlagen jahrelang gehegter Hoffnung leicht erklärlich und die Anhänglichkeit des armen Burschen um so rührender, der bei alledem so weit hergelaufen war, um mir als Führer zu dienen.

Es wäre thöricht und grausam zugleich gewesen, das Anerbieten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_179.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)