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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


welche unaufhaltsam fortschreiten, Perioden anscheinender Besserung darbieten, die dann dem angewendeten Geheimmittel gutgeschrieben werden, und daß sich unter den Tausenden, die solche Mittel gebrauchen, immer einige Hunderte befinden, die entweder gar nicht schwer erkrankt waren, oder deren gute Natur den Sieg davon trug.

Alle die „wunderbar Geheilten“ glauben nun, ihrer Dankbarkeit für die vermeintliche Hülfe in überschwänglichen Ausdrücken Luft machen zu müssen; das Beispiel Anderer, die Eitelkeit, auch einmal ein paar Zeilen von sich gedruckt zu sehen, wirken ansteckend, und Niemand von ihnen bedenkt, wie geradezu unsittlich es ist, Zeugnisse für die Güte von Arzneimitteln abzulegen, deren Wirkungsweise man nicht im Entferntesten beurtheilen kann, von denen man höchstens bezeugen könnte, daß man zur Zeit ihres Gebrauches gesund geworden ist, daß sie die Genesung vielleicht nicht auffallend verzögert haben. Niemand aber bedenkt, daß er durch solche Zeugnisse seinen Mitmenschen den größten Schaden zufügen kann und sich zum unfreiwilligen Helfershelfer einer schlechten Sache hergiebt.

Da sich Diejenigen nur vereinzelt melden, denen ein Geheimmittel nichts nützt, und Diejenigen, die daran zu Grunde gehen, den Mund schon gezwungen halten müssen, so wächst natürlich in allen Fällen bald ein Schatz günstiger Zeugnisse an, mit dem man Broschüren füllen kann; der Erfinder des Mittels wird, wenn er nicht ein großer Menschenkenner ist, von seinen eigenen Erfolgen überrascht und lebt sich immer tiefer in seinen einträglichen Wohlthätigkeitsdrang hinein. Wir setzen hier den günstigsten Fall, den Glauben des Verkäufers an seine Mittel und die authentischen Zeugnisse Solcher voraus, die sich durch den Gebrauch derselben geheilt wähnen. Aber wir können noch einen Schritt weiter gehen und sogar eine Unschädlichkeit der Mittel für viele Fälle, eine zufällige Wirksamkeit für einzelne zugeben, und würden doch mit Entschiedenheit behaupten müssen, daß die besten Geheimmittel zehnmal so viel Schaden als Nutzen stiften, sei es auch einzig dadurch, daß sie den Leidenden verhindern, bei Zeiten vor die richtige Schmiede zu gehen.

Konnten wir auf diese Weise einzelne Geheimmittelverkäufer – denn die meisten sind echte Industrieritter – und auch einzelne Personen, die solche Mittel weiter empfehlen, bis zu einem gewissen Grade entschuldigen, nämlich mit ihrer möglicher Weise vorhandenen Unwissenheit, so können wir eine gleiche milde Beurtheilung keineswegs Denjenigen zu Gute kommen lassen, die ein Geschäft daraus machen, Geheimmittel aller Art gegen Entgelt und unter dem Vorgeben eines amtlichen Charakters oder einer speciellen Befugniß zu empfehlen.

So ausgedehnt hat sich der Krebsschaden des Geheimmittelschwindels in unsern Tagen, daß sich ein förmliches Geschäft auf die natürlich unabänderlich günstige Begutachtung von Geheimmitteln begründen ließ. Fast in jeder unserer Großstädte giebt es eine oder einige solcher „Autoritäten“, die gegen bestimmte Vergütung jede neu auftauchende Schwindelwaare unter den Schutz ihrer Titel nehmen, die Reinheit, Unschädlichkeit und Wirksamkeit solcher Waare bestätigen und ihr wie ein Amtssiegel gestaltetes Privatsiegel unter das Attest drücken.

Diese Personen sind in der Regel keine Aerzte, obwohl doch nur solche ein ärztliches Gutachten über Arzneiwirkungen abgeben könnten, sondern es sind meistens sogenannte verdorbene Apotheker, das heißt solche Apotheker, die durch das herrschende Concessionssystem verhindert sind, ihre Fähigkeiten besser zu verwerthen, eines der vielen Beispiele, wie mangelhafte staatliche Einrichtungen stets auch in weiteren Kreisen üble Folgen nach sich ziehen. Um das liebe Publicum nun gründlich zu täuschen, schmückt sich der betreffende Schutzgenius möglichst mit hochklingenden Titeln; er nennt sich zum Mindesten einen Apotheker erster Classe, obwohl es seit sehr langer Zeit keine Apotheker zweiter Classe bei uns mehr giebt, und legt sich den Director-Titel eines chemischen Laboratoriums bei, sollte auch dieses Laboratorium nur in einer gewöhnlichen Kochküche und sein chemisches Werkzeug in Dreifuß und Bratpfanne bestehen.

Ein ferneres sehr schätzbares Requisit ist der Titel eines Doctors der Philosophie, dessen ordnungsmäßige Erwerbung Apothekern, welche vorschriftsmäßige Universitätsstudien zu machen haben, keine nennenswerthen Schwierigkeiten bereitet. Gleichwohl haben sie sogar diesen Titel, der natürlich stets unter Weglassung der näheren Facultätsbezeichnung gebraucht wird, um dem verehrlichen Leser die Verwechselung mit einem Doctor der Medicin möglichst zu erleichtern, meistens auf Schleichwegen erworben, und es machte einen allgemein sehr erheiternden und belustigenden Eindruck, als eine der berühmtesten Autoritäten dieses Faches vor Jahr und Tag auf den peinlich dringenden Wunsch der zuständigen Polizeibehörde, seine Papiere zu sehen, ein Jenaer Doctordiplom zum Vorschein brachte, mit welchem er von einem der bekannten Doctor-Fabrikanten – auch ein moderner Industriezweig! – betrogen worden war, denn das zur Prüfung nach Jena gesandte Diplom erwies sich als eine plumpe Fälschung.

Jedenfalls noch bedeutend höher im Preise stehen die Atteste der sogenannten „Medicinalräthe“; denn Medicinalräthe sind ja in der Regel mit dem Vertrauen einer Regierung betraute Personen von Amt und Würden, deren Urtheil in solche Dingen ein großes Gewicht haben würde. Allein auch hier darf das Publicum getrost überzeugt sein, daß Medicinalräthe, die Geheimmittel attestiren, einem andern Stande angehören. Zur Zeit der deutschen Kleinstaaterei legte man nämlich in kleinen Ländern, die kaum einen Regierungs-Medicinalstab hätten besolden können, diesen Titel Apothekern bei, die zu Revisionen und dergleichen Geschäften herangezogen wurden.

Ein solcher Medicinalrath a. D. eines Ländchens von kaum 50,000 Einwohnern ist nun, da ihm offenbar dieser Wirkungskreis nicht groß genug war, nach der deutschen Reichshauptstadt verzogen und hat durch seine Atteste das liebe Publicum in den Glauben versetzt, er stelle eine preußische oder deutsche amtliche Autorität im Gesundheitswesen vor, eine Täuschung, die um so vollständiger gelingen mußte, als in Berlin sich ein wirklicher Medicinalrath gleichen Namens im Amte befand. Dieser dadurch in eine sehr schiefe Lage gelangende Beamte nahm dann freilich bald Gelegenheit, das Polizeipräsidium auf seinen Doppelgänger aufmerksam zu machen, und diese Behörde hat denn auch amtliche Warnungen vor dem Herrn Doppelgänger erlassen, ohne ihn indessen dadurch einzuschüchtern, denn auf seinen Geheimmittelattesten prangte nach wie vor der Medicinalrathstitel.

Eine zweite Kategorie von Helfershelfern, die man beinahe mit noch mehr Recht die Hehler des Diebstahls an der Volksgesundheit nennen könnte, rekrutirt sich, statt aus verdorbenen Apothekern, aus unfähigen Buchhändlern. Wir meinen hier diejenigen dunklen Ehrenmänner, welche Herstellung und Vertrieb einer Broschürenliteratur betreiben, deren Hauptzweck es ist, mit allen Künsten der Drohung und Ueberredung den Kranken zu veranlassen, sich in den alleinseligmachenden Schutz ihrer Universalmittel oder eines mit ihnen associirten heruntergekommenen Arztes zu werfen. Diese Broschürenliteratur speculirt mit ihren unübertrefflichen „Meisterwerken“ einerseits auf die verderbliche Sucht Halbgebildeter, an ihrem Körper herumzucuriren, andererseits auf junge Gimpel, denen sie einredet, sich durch schlechte Gewohnheiten einem unheilbaren Siechthum übergeben zu haben, wogegen sie nur bei ihnen Hülfe finden könnten. Schon im vorigen Jahrhundert mußte der berühmte englische Arzt John Hunter die Jugend vor jener elenden Literatur warnen, welche durch übertriebene Schreckensbilder die in dieser Richtung sehr folgsame Phantasie in Spannung versetzen und die Krankheit erst schaffen, die sie zu bekämpfen vorgeben. Es handelt sich hier um einen Industriezweig, dessen Nichtswürdigkeit gar nicht zu schildern ist und der geradezu darauf baut, daß sich die anständige Presse nicht gern mit ihm beschäftigt.

Man pflegte früher gern „Doctor und Apotheker“ als die natürlichen Verbündeten gegen den Geldbeutel der Leidenden hinzustellen, aber die Neuzeit hat gezeigt, daß Buchhändler und Arzt viel schlimmere Bundesgenossen sein können. Da hat sich z. B. in Leipzig eine besondere Verlagsanstalt aufgethan, die ihre eigene Druckerei besitzt, und sich berühmt (!), ihre Geheimmittelbücher binnen wenigen Jahren in – ich glaube – hundertzwanzig starken Auflagen verbreitet zu haben. Da diese durch ungeheuere Massen von Anerkennungen und Zeugnissen umfangreiche Bücher halb oder ganz verschenkt werden, so kann man daraus ermessen, mit welchem werthlosen Zeuge die Opfer solcher „Verlagsgeschäfte“ bedient werden müssen, um derartige Unkosten zu decken und die Veranstalter für die Verachtung der aufgeklärten Welt zu entschädigen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_178.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)