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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


und zweitens die im Jahre 1876 auf ganz ebenso rechtswidrige Weise ausgeführte Annexion der Transvaal-Republik, eines Staates, zweimal so groß wie das Königreich Sachsen der von allen Großmächten der Welt in optima forma anerkannt war. Die plötzliche Vernichtung dieses Staates gegen den Willen von neun Zehntheilen seiner Bevölkerung ist eine Gewaltthat, die an die vielgerügten Theilungen Polens erinnert. Für England freilich ist der Besitz des Transvaal-Landes äußerst wichtig, denn das jetzt die englischen Staatsmänner begeisternde glänzende Zukunfts-Programm: „Afrika englisch vom Tafelberg bis zum Nil!“ würde in seiner Ausführung sehr bedeutend behindert werden, wenn gerade in der wichtigen geographischen und mercantilen Position von Transvaal ein fremdartiger Staatsorganismus oder wohl gar der Keim zu einer zukünftigen nicht-englischen Staatenverbindung seinen Platz behalten hätte.

Was uns besonders interessiren muß, ist der Umstand, daß diese Boers von Transvaal die lebhafteste Sehnsucht hatten und noch haben, daß das deutsche Reich, welches sie mit sehr richtigem Gefühl als ihr Stamm- und Mutterland betrachten, sie unter seinen Schutz nehmen möchte. Als im Jahre 1873 die, leider falsche, Nachricht Südafrika durchlief, daß die preußische Regierung von der portugiesischen die Delagoa-Bai gekauft hätte, da wurde dieselbe von den holländischen Freistaaten mit dem größten Jubel aufgenommen. Für den Preis eines festen und sicheren Schutzes gegen die Annexionslust der ihnen verhaßten englischen Regierung würden die Bauern der beiden Freistaaten sich gern der deutschen Regierung untergeordnet haben in der Form zweier Schutzstaaten mit eigener und möglichst freier Selbstverwaltung.

Den Freiheitstrieb unserer afrikanischen Stammesgenossen müßten wir Deutschen unbedingt zu fördern suchen, sei es auch nur durch diplomatische Fürsprache; dann werden die Sympathien, welche die Boers für Deutschland hegen, für uns von größtem Werte sein und es uns erleichtern, in jenem reichen Lande Fuß zu fassen durch unsere Auswanderer, besonders vom norddeutschen Stamm. Es ließe sich so dort der Keim legen zu Dem, was unser an Zahl fortwährend so gewaltig zunehmendes Volk so dringend nothwendig braucht; zu einer hier zugleich den Vortheil unbeschränkter Ausdehnungsfähigkeit bietenden nationalen deutschen Colonie, die für die Zukunft zur regelmäßigen und dauernden Entlastung unseres Vaterlandes von seinen alljährlich bedenklicher und bedrohlicher anwachsenden Proletariermassen dienen und durch die verbleibende Zugehörigkeit derselben zum deutschen Wirthschaftsgebiete eine Erweiterung des deutschen Absatzmarktes und somit unseres Nationalreichthums herbeiführen würde, während die Millionen von bisher ausgewanderten Deutschen wegen des Mangels eigener Colonien wirthschaftlich und nationalökonomisch unserer Nation vollständig verloren gegangen sind. In einer vor wenigen Monaten erschienenen Schrift: „Die Erweiterung des deutschen Wirtschaftsgebietes und die Grundlegung zu überseeischen deutschen Staaten (Leipzig, bei Twietmeyer) habe ich dargelegt, wie dringend wünschenswerth es ist, daß die Grundlegung von Keimen zu neuen deutschen Töchterländern womöglich in Südamerika und Südafrika zugleich erfolgen sollte; denn beide Theile der südlichen Halbkugel bieten noch heute der Entwickelung deutscher Zukunftsstaaten die allergünstigsten und vielversprechendsten Aussichten.

Man setzt in England noch einige Hoffnung auf das Zustandekommen eines Compromisses mit den widerspenstigen Boers durch die Zusammenberufung einer Conferenz von Volksvertretern aller südafrikanischen Provinzen und Staaten, zum Zwecke der Bildung einer südafrikanischen Conföderation. Man schmeichelt sich, daß diese staatliche Form es doch noch ermöglichen werde, jene niederdeutschen Recken zu einer freiwilligen Unterordnung unter die englische Oberherrschaft zu veranlassen. Möglich, daß dieser Versuch noch gelingt, ehe der befürchtete allgemeine Aufstand der Boers ausbricht – für die gesammte Colonialbevölkerung von Südafrika selbst wäre ja eine solche Conföderation, die Bildung einer Art von „Vereinigten Staaten von Südafrika“, in der That wohl der günstigste Ausweg aus ihren gegenwärtigen Schwierigkeiten. Es wird nun freilich hauptsächlich darauf ankommen, ob die Boers ihren Anspruch aufgeben wollen, daß die Flagge dieser neuen Conföderation eine unabhängige, also nicht die englische sei. In jedem Falle verdienen unsere um ihre Freiheit und ihre nationale Selbstständigkeit ringenden Stammesverwandten im fernen Südafrika unsere lebhafteste Theilnahme.




Die Helfershelfer des Geheimmittelschwindels.
Ein Blick hinter die Coulissen der Curpfuscherei.

„Mit der Dummheit,“ sagt ein altes, gutes Wort, „kämpfen selbst Götter vergebens“, und „die Dummen werden nicht alle“ fügte der Menschenkenner Professor Bock hinzu. In der That ist Dummheit eines der schlimmsten und weitverbreitetsten Leiden der Menschheit, und Vieles, was, von Weitem gesehen, wie Schlechtigkeit aussieht, ist, näher betrachtet, nur geistige Beschränktheit. Selbst auf Seiten Derer, die mit der Gesundheit ihrer Mitmenschen ein frevelhaftes Spiel treiben, indem sie dem Leidenden ohne alle Wahl und Untersuchung angebliche Heilmittel anbieten, handelt es sich gewiß oftmals viel mehr um Unwissenheit, als um Bosheit. Sie wissen und glauben nicht, wie viel Unheil sie mit ihrer Marktschreierei anrichten können; sie erwägen nicht, daß ihre Annoncen einer Teufelssaat gleichen, welche, wie die Sporen der Schmarotzerpilze, die kranken Individuen befällt, von ihnen zehrt und sie vollends zu Grunde richtet. Ja, so weit geht die Dummheit, daß einzelne solcher Industrieller, deren Mehrere sich auf Kosten der leidenden Menschheit zu Millionären aufgeschwungen haben, mit vollster Ueberzeugung sich für Wohltäter der Menschheit halten. Suchen wir uns an einem Beispiele klar zu machen, wie ein solches Wunder der Dummheit möglich ist!

Da Süßigkeiten und schleimige Stoffe unter Umständen den Hustenreiz mildern, so glauben die Großmütter in der Regel, jene sogenannten lösenden Mittel seien nicht nur Linderungs-, sondern auch Heilmittel der betreffenden Uebel. Da hat sich nun, wie alle Welt zur Genüge gelesen, ein solches weltbeglückendes Großmütterchen vor einigen Monaten entschlossen, ihre vielbewährten „Brustcaramellen“ auch denjenigen Schutzbefohlenen des deutschen Michels, welche die Schlauheit nicht zu ihren Gebrechen zählen, zugänglich zu machen, und läßt sie, um besonders die Stubenhocker der höheren Stände für sich einzunehmen, wie einen Modeartikel in Correspondenzen aus Paris anpreisen. Wüßte diese Caramellen-Großmama, daß der erkrankte Kehlkopf nicht auf dem Wege zum Magen und die Lungen nicht in den Därmen liegen, also von ihren Mitteln, die einfach verdaut werden, gar nicht erreicht werden können, so würde sie möglicher Weise doch Bedenken tragen, die Krankheitsstoffe in diesen Organen mit ihren bestenfalls unschädlichen Caramellen curiren zu wollen. Mögen sie aber noch so unschädlich sein, die Sache hat doch eine allen Geheimmitteln und Curpfuschereien eigene, höchst bedenkliche Seite.

Die Leiden der Athmungsorgane würden nicht halb so verheerend sein, wenn sie nicht in der Regel erst mit Caramellen, Hustenbonbons, Katarrhbrödchen und dergleichen angenehmen Sächelchen groß gefüttert würden, während eine gesunde und vorsichtige – nicht verzärtelnde – Lebensweise und Anordnungen, die nur der Arzt nach genauer Feststellung der Natur des Uebels und der Individualität zu treffen vermag, dieselben im Keime ersticken oder wenigstens in Schranken halten könnten. Man kann wohl sagen daß die meisten Menschen langsame, unbewußte Selbstmörder sind, sofern sie durch allseitige Unbekanntschaft mit den Grundsätzen der gesunden Lebensweise ihren Lebensfaden verkürzen, diejenigen aber, welche bei den bereits beginnenden Folgen derselben, statt zu dem rechten Beichtvater des leiblichen Heiles zu wandern, zu einem Pfuscher ihre Zuflucht nehmen, gleichen Kindern, die mit Waffen und Explosionskörpern spielen.

Freilich kommt auch der Pfuscherei das psychische Heilmoment des Glaubens an die untrügliche Wirksamkeit ihrer Mittel zuvörderst mit seinem günstigen Einflusse zu Hülfe, aber man darf nicht vergessen, daß es darum doch ein mißleitetes Vertrauen bleibt, welches am rechten Orte viel größere Wunder wirken könnte. Dazu kommt, daß die meisten Krankheiten, auch solche,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_177.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)