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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

No. 11.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Alle Rechte vorbehalten.
Der Weg zum Herzen.
Erzählung von Robert Byr.
(Fortsetzung.)


Lisa starrte mit weitgeöffneten Augen ihren Gatten an.

„Der Ruin – der vollkommene Ruin ist also unvermeidlich?“ fragte sie beklommen.

„Das ist er.“

Wer das so kurz und trocken sagen konnte, wie kalt und herzensleer mußte der sein! Mit Widerwillen wendete sich Lisa ab.

„Und nichts zu retten?“ fragte sie nochmals.

Seine Antwort klang fast verwundert:

„Doch! Ich sagte Dir ja bereits: will's Gott, die Ehre.“

„Aber Du sprachst von Gerichten?“ entgegnete sie stockend. „Von einer Verantwortung Heinrich's – die Gesetzesübertretungen –“

„Sind bis jetzt nur ihm, mir – und Dir bekannt,“ fiel er mit feierlicher Mahnung ein.

Sie drückte die Hände vor die Augen.

„Armer Heinrich!“

Wieder zeigte sich ein Schimmer von Theilnahme in Witold's Blick, nur daß dieser jetzt noch viel weicher, viel freundlicher auf der Weinenden ruhte. Das Herz, das sich gestern noch so unschwesterlich und hart gezeigt, hatte heute doch Thränen, die auch einem andern als dem eigenen Schicksale galten, und jeder dieser heißen Tropfen wusch aus Witold's Seele einen Buchstaben des strengen Verdammungsurtheils, das er über dieses anscheinend so lieblose Gemüth gefällt, hinweg.

Er störte sie nicht in ihrem Schmerz und um die eingetretene Gesprächspause auszufüllen, nahm er einen Schluck des erkalteten Kaffees. Der Klang der wieder niedergestellten Tasse erregte Lisa peinlich.

Wie gleichgültig ihm das Alles war! Er konnte an Speise und Trank denken, während von dem Ruine ihrer Familie die Rede war. O die Selbstsucht, dieses häßlichste aller Laster!

Sie trocknete die Augen und fragte in herbem Tone:

„Kann etwas geschehen, um zu verhüten, daß diese – diese gefährlichen Dinge weiter bekannt werden?“

„Ich hoffe es.“

„O, wenn es durch ein Geldopfer zu erreichen ist, so muß Alles gethan werden. Ich bin bereit, auf mein Vermögen zu verzichten.“

„Das wolltest Du?“

Der Ausruf klang so seltsam, so froh.

„Du kannst noch fragen?“ Sie richtete sich stolz und entschlossen auf: „Meinst Du, daß ich so sehr an diesem elenden Mammon hänge, seinetwegen meines Bruders und unser Aller Ehre, seine und seiner Kinder Existenz hinzugeben? Ich könnte allenfalls gegen kleine Fatalitäten gleichgültig bleiben, könnte einigen Einschränkungen, die meine Schwägerin treffen möchten, mein Mitleid versagen, vor einem so großen Unglücke aber kann ich nicht kaltblütig auf meinem sicheren Platze stehen bleiben und schadenfroh sagen: 'Warum habt Ihr Euch nicht besser vorgesehen?' Wer das vermag, wenn es sein eigenes Blut betrifft, verdient ein Stein zu werden. Ich bin nie habsüchtig gewesen und will gern die Hälfte und mehr von dem hingeben, was ich besitze; möge das Geld wenigstens dort Segen stiften! Für mich war es ja doch nur – ein Fluch.“

Sie hatte sich in immer höhere Erregung hineingesprochen, ja sogar das leise Geräusch im anstoßenden Zimmer überhört, das Witold mit scharfem Ohre deutlich vernommen und dem er nun sofort nachging. Lisa, deren Redefluß durch sein Aufstehen unterbrochen ward, mußte annehmen, daß er ihr damit ein Zeichen geringschätziger Nichtbeachtung ihrer Worte zu geben gewillt sei, ihre Erbitterung schwand aber, als auf seine Frage, was sie da zu thun habe, Mina antwortete, daß sie nur anfragen wolle, ob die Frau Baronin später auszufahren beliebe und welche Toilette hierfür hergerichtet werden solle.

Er schickte die Kammerjungfer mit gemessenem Bescheide fort und ließ die Thür zum Schutze gegen jeden Horcher offen.

„Ich werde diese freche Spionin aus dem Dienste schicken,“ rief Lisa so laut, daß die sich Entfernende es auf der Schwelle noch hören mußte.

„Dazu wird sich Gelegenheit bieten,“ sagte Witold gelassen.

Er trat in die Fensternische, wo er mit dem Kinde gestanden. Seine Frau folgte ihm dahin; sie glaubte zu verstehen, was er meinte – man war dort vor Belauschung sicherer.

Beide lehnten an dem Fensterbrett, sodaß sie sich nur das Profil zuwandten.

„Ich hoffe,“ begann Lisa wieder, „Du hast auch ohne specielle Ermächtigung meine Bereitwilligkeit ausgesprochen, Alles zu thun, was zur Ordnung der Angelegenheit beitragen kann.“

„Das durfte ich nach Deinen gestrigen Worten denn doch nicht wagen. Mir steht kein Bestimmungsrecht über den Dir besonders vorbehaltenen Vermögensantheil zu; ich darf nur über jene Hälfte verfügen, die Du als Mitgift zur gemeinsamen Nutznießung in's Haus brachtest und welche in meine Verwaltung überging.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_169.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)