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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


ohne daß diesem die geringste Ahnung beikam, daß sein gelehrter vermeintlicher Freund eine Dame sei. Mademoiselle Germain erhielt auch am 8. Januar 1816 den Preis, den die französische Akademie 1809 für die beste mathematische Theorie der Chladni’schen Flächenschwingungen ausgesetzt hatte, nachdem die Aufgabe zweimal wegen ungenügender Lösung von anderen Gelehrten erneuert worden war. Der Name einer schönen Blume, die im Anfang unseres Jahrhunderts aus Japan und China bei uns eingeführt wurde, erinnert an die Astronomin[WS 1] Hortense Lepaut, deren wissenschaftliche Verdienste französische Artigkeit dadurch ehrte, daß sie ihren Vornamen auf jene Blume übertrug. Sie war die treue Gehülfin der berühmten Astronomen Clairaut und Lalande bei den schwierigsten Rechnungen derselben.

Auch deutschen Frauen ist das Studium der Astronomie nicht fremd geblieben. Wie Frau Hevelke in Danzig ihren Gatten, so unterstützte Frau Eimmart in Nürnberg ihren Vater bei seinen astronomischen Arbeiten. Am berühmtesten ist indeß die Hannoveranerin Karoline Lucretia Herschel. Sie war einunddreißig Jahre alt, als sie 1781 ihrem Bruder Wilhelm, dem großen Astronomen, nach England folgte, um seine Mitarbeiterin zu werden, was sie vierzig Jahre lang gewesen ist. Ihre Schriften sind Zeugnisse, mit welchem Eifer und Erfolg sie gearbeitet. Sie erwarb sich eine so genaue Kenntniß des Sternenhimmels, daß sie Flammstädt’s Atlas des gestirnten Himmels und den Sternkatalog nach eigenen Beobachtungen wesentlich vervollständigte. Sie entdeckte selbstständig neun Kometen, unter ihnen auch den, welcher nach seinem Berechner der Encke’sche Komet heißt. Nach dem Tode des Bruders kehrte sie 1822 nach Hannover zurück. Hier war es, wo Alexander von Humboldt im Jahre 1846, als er selbst schon im siebenundsiebenzigsten Altersjahre stand, die sechsundneunzigjährige Dame besuchte, die, noch bei voller Lebenslust, sich nur darüber beklagte, daß man aufgehört habe, sie astronomische Berechnungen machen zu lassen, da sie ohne Arbeit ungern ihre Pension beziehe. Erst zwei Jahre später, im Januar 1848, verschied sie im achtundneunzigsten Lebensjahre.

In neuerer Zeit, im Jahre 1847, haben zwei Frauen, Frau Rüncker in Hamburg und Mrs. Mary Mitchel in Nordamerika, gleichzeitig den hundertzweiundachtzigsten Kometen des Olbers’schen Verzeichnisses entdeckt. Aus unsern Tagen sei noch Signora Katharina Scarpellini erwähnt. Sie war Mitglied zahlreicher gelehrter Gesellschaften, auch des geologischen Reichsinstituts in Wien, und Vorsteherin des Observatoriums der Sternwarte auf dem Capitol in Rom.

In gleicher Weise zeichneten sich Frauen auch in den Naturwissenschaften und verschiedenen Zweigen der physikalischen Geographie aus. Weil es sich in diesen Zeilen nur um eine einleitende Uebersicht für die späteren Mittheilungen handelt, nennen wir in aller Kürze in der Botanik: Mrs. Elisabeth Blackwell, die mehrere Foliobände mit Abbildungen seltener Pflanzen herausgab, und die Französin Eulalia Delisle, welche die vorzüglichen Zeichnungen von Humboldt’s Gramineen gefertigt hat, Mrs. Huthins, Madame Greville, Fräulein Libert, Hermine von Reichenbach, Wilhelmine Fritsch, Frau Kublik, Gräfin Fiorino Mazzanti und Mrs. Johnston, die Meyen’s „Pflanzengeographie“ recht wacker übersetzt und ergänzt hat. In der Zoologie haben Mrs. Jeannette Power über Meeresthiere, Mrs. Mary Anning über Sepiathiere, Donna Anna Rizzi über die Seidenraupen geschrieben. Der Archäologie hat Fräulein Mestorf, die gegenwärtig das Amt eines Custos im Kieler Museum für nordische Alterthümer verwaltet, namentlich in der nordischen Alterthumskunde anerkannt Vortreffliches geleistet. Als Schriftstellerin nennen wir Mrs. Sabine, die Gattin des Generals und Präsidenten der „Royal Society“ in London, als die vortrefflichste Uebersetzerin verschiedener Werke Alexander von Humboldt’s, der „Ansichten der Natur“ und des „Kosmos“.

Mit besonderer Auszeichnung ist Mrs. Mary Somerville zu nennen. Sie war in den mathematischen Naturwissenschaften in hohem Maße bewandert, gut unterrichtet in der altclassischen wie in der modernen Literatur, eine geschickte Zeichnerin und Malerin, und wußte sich bis in’s höchste Greisenalter eine rege Theilnahme für alles Wissenschaftliche zu bewahren. Bereits 1811 erhielt sie in Edinburg eine Preismedaille für die Lösung verschiedener mathematischer Probleme und wurde auch von der „Geographischen Gesellschaft“ in London ausgezeichnet. Sodann veröffentlichte die „königliche Gesellschaft der Wissenschaften“ in London ihre Abhandlung über „die magnetisirende Kraft der Sonnenstrahlen“ und sie selbst ihre Bearbeitung von Laplace’s „Mécanique céleste“ und das Werk über „den Zusammenhang der physikalischen Wissenschaften“, das vielfach übersetzt worden ist. Am bekanntesten wurde ihre zweibändige „Physikalische Geographie“, die wiederholt neu aufgelegt und übersetzt worden ist (deutsch: Leipzig, J. J. Weber, 1851). Endlich veröffentlichte 1869 die Neunundachtzigjährige noch ein zweibändiges Werk über „die neuesten Resultate der Mikroskopie und Chemie“. Seit 1835 war sie Mitglied der „königlichen Gesellschaft der Wissenschaften“ in London und erhielt 1869 von der Londoner „Geographischen Gesellschaft“ für ihre „Physikalische Geographie“ die große goldene Victoria-Medaille. – Und Mary Somerville, die zweiundneunzig Jahre alt geworden, war nicht blos eine Zierde der wissenschaftlichen Frauenwelt, sondern auch eine vortreffliche Gattin und Mutter.

Wenden wir uns nunmehr zu den Frauen als eigentlichen Reisenden.

Eine wahrhaft heldenmüthige Reisende ist die Französin Madame Godin des Odonais. Sie begleitete ihren Gatten, den Astronomen Godin, der mit Bouguer und La Condamine von der französischen Akademie um die Mitte des vorigen Jahrhunderts nach Quito und Peru geschickt wurde, um Gradmessungen zu genauerer Bestimmung der Gestalt der Erde zu machen. Als nach fünfzehn Jahren die Heimkehr bevorstand, der Gatte aber in Cayenne an der Nordostküste Südamerikas noch Arbeiten zu vollenden hatte, wagte es die Frau, das ganze breite äquatoriale Südamerika mit seinen Cordilleren, Urwäldern, Wilden und Bestien zu durchwandern und den langen Amazonenstrom bis Oyapok hinunter zu fahren. Auf dieser sechshundert Meilen langen unwegsamen Wanderung, die, wohlbedacht! vor fast anderthalb Jahrhunderten zurückzulegen war, konnte sie nur in einigen wenigen weit aus einander liegenden Missionsansiedelungen Rast, Erholung und Hülfe hoffen. Erschöpft von Anstrengungen erreichte sie die erste Mission, das ersehnte Rendezvous zur Erholung, aber die Mission war durch die Pockenkrankheit fast ausgestorben, die noch lebenden Ansiedler waren versprengt, und die dreißig Indianer, welche Frau Godin von Peru zum Transport und Schutz begleitet hatten, verließen sie. Mit unsäglicher Mühe zimmert der kleine Rest der Begleitung ein schwaches Canoe; zwei Indianer werden gefunden, die den Weg zur nächsten, an achtzig Meilen entfernten Mission zu kennen vorgeben; sie werden gegen Vorausbezahlung als Führer gewonnen. Aber schon nach zwei Tagen verschwinden sie und lassen die Unglücklichen, verlassen in Rathlosigkeit, unter tausend Gefahren zurück. Und die wenigen Treuen erliegen, und die Noth wird stündlich größer. So streift die muthige Frau, bei dem Mangel an gewohnter Nahrung von Hunger geschwächt, kaum noch in Lumpen, welche die Walddickichte zerreißen, viele Wochen mit dem allein noch übrig gebliebenen Sohn in den Wäldern umher.

Endlich finden sich einige Indianer, welche die unglückliche, aber kühne, noch unerschütterte Frau zur Mission nach Andoas führen. Hier war sie endlich geborgen. Der Vorsteher empfing die Vielgeprüfte mit Theilnahme und Güte und stand ihr hülfreich bei. Nicht ohne neue Beschwerden, aber doch mit Beistand fuhr sie über Lagunas und Oyapok auf dem entgegengesandten Fahrzeug ihrem langersehnten Gatten zu, mit dem sie endlich glücklich heimkehrte. Auf dem schönen Landbesitze zu St. Amand in Berry beschrieb sie dann ihre Reise, die, eine Art Robinsonade, sich lange als Lieblingslectüre erhalten hat.

Ergiebiger für die Wissenschaft war der Aufenthalt der deutschen Künstlerin Sibylla Merian in dem ungesunden, übelberufenen Surinam. Geboren und unterrichtet in der deutschen berühmten Malerfamilie der Merian und in den reichen Natur- und Kunstsammlungen Hollands zu einer bewunderten Meisterschaft ausgebildet, gab sie einem unwiderstehlichen Drange nach, die buntfarbigen Blumen, Schmetterlinge und Käfer im Glanze des frischen Lebens zu studiren und nachzubilden. Im tropischen Surinam malte sie zwei volle Jahre, und ihre Blätter sind noch heute in den Cabineten Hollands, Petersburgs, im Britischen Museum hochgeschätzte Meisterwerke. Unter der großen Zahl ihrer hinterlassenen Werke, zu denen sie die Kupfer selbst gestochen hat,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Astonomin
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_164.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)