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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


meinen Befehl machte der Pseudo-X. der Frau Pseudo-M. eine graziöse Verbeugung als Herr, so regelrecht, wie sie die Tanzstunde nicht besser lehren kann, und seine Tänzerin erwiderte das Compliment durch einen nicht minder zierlichen Knix. Das Paar begann nach der Melodie zu tanzen, gerieth allerdings vorübergehend aus dem Takte, jedenfalls weil das Mädchen nicht gewöhnt war, als Herr zu tanzen, hielt deshalb auch einen Augenblick an, genau wie man das im Ballsaal oft genug sieht, walzte aber schließlich einige Male flott im Zimmer umher.

Ein gebieterisches „Halt!“ ließ plötzlich die Musik verstummen, und das Paar stand, wie zum Tanz verschlungen, eine reizende Gruppe bildend, gebannt im Zimmer.

Als ich nunmehr durch den Ruf: „Auf!“ und heftiges Anblasen und Anwedeln beide Mädchen weckte, hatte keine von ihnen die mindeste Ahnung von dem, was geschehen war.

Versicherte ich solchen Traumwachen, sie könnten von meiner Hand nicht los, so folgten sie mir, als ob sie angeheftet wären, durch alle Zimmer. Ja, bei Vielen genügt der bloße Blick und die durch Bewegung und Mienenspiel gegebene Andeutung, sie sollten dem Experimentator folgen, um sie aus großen Entfernungen herbei zu citiren. Machte ich hierauf eine entgegengesetzte Bewegung, welche die Absicht einer Zurückstoßung erkennen ließ, so wichen die Versuchsobjecte ebenso geduldig zurück.

Sind solche Experimente eine Zeit lang fortgesetzt oder öfter wiederholt worden, so gewinnen die den Versuchen unterworfen gewesenen Personen eine solche felsenfeste Ueberzeugung von der Gewalt des mit ihnen Operirenden über sie und von der Erfolglosigkeit jeden Widerstandes gegen dessen Einwirkung und Willen, daß der bloße Verdacht, es solle etwas mit ihnen geschehen, sie sofort aus dem Zustande bewußten und selbstgewollten Handelns in einen Zustand versetzt, in welchem sie in der That mehr lebenden Marionetten, als vernünftigen Menschen ähneln. Um den Leser nicht zu ermüden, will ich nur noch ein selbsterlebtes Beispiel erzählen.

Eine dienende Person eines mir befreundeten Hauses, welche sich überaus empfindlich erwiesen hatte, war schon mehrmals von mir zu derartigen Experimenten verwendet worden, weil sie sehr rasch vollständig erweckt werden konnte und hinterher nicht die mindesten Unannehmlichkeiten empfand. Im Salon des Hauses war eine Gesellschaft versammelt, um meinen Experimenten beizuwohnen; im Nebenzimmer befand sich das Mädchen an einem Nähtische beschäftigt. Bei meinem Eintritte in dieses Nebenzimmer sah die Person auf Warnung ihrer Herrin, mich nicht anzusehen, starr auf ihre Arbeit, und ich begab mich durch die offen stehenden Thüren in den Salon. Unmittelbar, nachdem ich eingetreten war, sanken die fleißigen Hände des Mädchens in den Schooß, ihre Augenaxen begannen, wie gewöhnlich bei ihr in solchem Traumzustande, nach der Nasenwurzel hin zu convergiren; sie hatte, ohne daß ich sie sehen konnte, sich erhoben und kam geisterhaft leise und schwankenden Schrittes, wie eine Trunkene, durch die geöffnete Thür mir nach in den Salon.

Ich hatte nicht zu erkennen gegeben, daß sie mir folgen solle, aber das allgemeine schweigende Erwarten, was wohl geschehen, was sie thun werde, hatte genügt, sie in diesen eigenthümlichen Zustand der Befangenheit zu versetzen; jedenfalls hatte sie gemeint, einem unausgesprochenen Befehle, mir folgen zu sollen, gehorchen zu müssen.

Als ich sie nunmehr im Salon durch Anrufen und Anblasen aufweckte, war sie unendlich verblüfft und verlegen, sich dort einer großen Zahl von Herren und Damen gegenüber zu finden, und kehrte eiligst zu ihrer Beschäftigung zurück. –

So viel mir bekannt geworden, hat in Deutschland zuerst Dr. Fritz Schultze, Professor der Philosophie am Polytechnicum in Dresden, gelegentlich einer Production Hansen’s im ärztlichen Verein zu Dresden, darauf aufmerksam gemacht, daß man es bei diesen und ähnlichen Versuchen ebenso wenig mit absichtlichen oder unabsichtlichen Täuschungen, wie mit einer besonderen von Person zu Person wirkenden Kraft, also durchaus nicht mit thierischem Magnetismus oder etwas Aehnlichem zu thun habe.

Gestützt auf die hierauf bezüglichen Capitel in Carpenter’s trefflichem Werke „Principles of Mental Physiology“, welches in Deutschland überraschend wenig gekannt zu sein scheint, hatte er mitgetheilt, daß diese Zustände und Versuche unter dem Namen „elektrobiologischer“ bereits vor dreißig Jahren in England bekannt gewesen und oft als Gegenstand öffentlicher und privater Schaustellungen benutzt worden sind. Der englische Wundarzt Braid hatte schon am Anfange der vierziger Jahre gezeigt, daß die Möglichkeit, solche Versuche anzustellen, lediglich vom Versuchsobjecte abhängig sei, und daß bei geeigneten Personen die Disposition dazu durch vorherige Concentration der Aufmerksamkeit, insbesondere durch Fixiren eines leuchtenden Gegenstandes, herbeigeführt werde. Braid nannte diese Zustände hypnotische und hat schon darauf aufmerksam gemacht, daß dieselben verwandt seien mit den längst bekannten Versuchen, daß man eine Henne, die man auf den Tisch niedergedrückt hat, durch Ziehen eines Kreidestriches über ihrem Schnabel in einen Zustand der Starre versetzen kann, daß Krebse, auf Kopf und Scheere gestellt und in diesem Zustande längere Zeit erhalten, schließlich steif und regungslos werden und in diesem Zustande verharren, bis sie gewaltsam in eine andere Stellung gebracht werden, daß Kaninchen vor dem aufgesperrten Rachen der Riesenschlange starr werden und alle Versuche zu entrinnen aufgeben u. dergl. m.[1] Ich erinnere hier an den lesenswerthen Artikel über derartige Versuche mit Thieren, welchen der viel zu früh der Wissenschaft entrissene Physiolog Czermak früher einmal in der „Gartenlaube“ publicirt hat (Jahrgang 1873, Nr. 7 und 9).

In England waren fast genau die nämlichen Versuche, durch welche jetzt Herr Hansen das deutsche Publicum in Staunen setzt, durch zwei Amerikaner für Wirkungen des Mesmerismus oder thierischen Magnetismus ausgegeben worden, bis Braid die richtige Erklärung gab und seine hypnotischen Versuche größeren Kreisen vorführte.

Für Diejenigen, welche geneigt sind, an eine besondere vom Experimentator zur Versuchsperson wirkende Kraft, an einen sogenannten magnetischen Rapport zu glauben, will ich kurz aus vielen ähnlichen Versuchen einige auswählen, welche von Professor Dr. Weinhold und mir, zumeist in Anwesenheit des Herrn Dr. med. Fränkel und noch einiger jüngeren Physiker, in den Räumen angestellt worden sind, die mir für gewöhnlich zur Vorbereitung der physikalischen Versuche für den Unterricht dienen.

(Schluß folgt.)
  1. Professor Preyer in Jena hat dagegen in einer 1878 erschienenen Broschüre sehr wahrscheinlich gemacht, daß es der Schrecken ist, welcher die Thiere in diesen Zustand von Starrsucht versetzt, weshalb er diese auch bei Menschen durch starkes Erschrecken eintretende Erscheinung als Schrecklähmung (Kataplexie) bezeichnet.
    D. Red.


Mein Wunsch.

Wenn ich todt bin, setzt mir auf das Grab
      Einen Dornstrauch, Sinnbild meines Lebens!
Werfet keine Blumen mit hinab,
      Denn der Todten duften sie vergebens.

Daß Nichts störe die errungne Ruh’,
      Die mir Unverstand und Härte raubten,
Deckt das kalte Herz mit Erde zu,
      Weil sie nimmer an das warme glaubten!

Sei die Stätte ihrem Aug’ entrückt,
      Wo das stille heimlich liegt begraben,
Da das warme Liebe nicht beglückt,
      Will das kalte keine Thränen haben.

Stich, o Dornstrauch, Jeden, der es wagt,
      Diesen Wunsch der Todten nicht zu ehren,
Nur die wahre Reue, wenn sie klagt,
      Daß zu spät sie liebte, laß gewähren!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_130.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)