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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


herrliche Mann, der ihn für unsere Fahnen erkämpft hat, er liegt unter Todten und Verwundeten, neben seinem treuen Rosse, das unter ihm zusammengebrochen ist, und aus seinem Herzen noch sprießt die rothe Rose. Ueber ihn aber neigt sich eine Diakonissin, sie küßt seine bleiche Stirn und erhebt sich nicht mehr. Der Mond bricht aus den Wolken; leise gleitet er über dieses Blumengefilde, über das des Todes Sense hingemäht. Seite an Seite ruhen dort vereint, die das Leben getrennt und die rauhe Hand geknickt – die rothe und die weiße Rose.“ –

Die Baronin blickte von dem Tagebuch empor. So schwärmerisch, so phantastisch würde sie heute nicht mehr schreiben; aber das Gefühl, das aus diesen Zeilen sprach, war doch ein echtes, dauerndes gewesen – sagte sie sich; sie hatte es gestern empfunden, als ihr Bruder Richard ihr auf dem Balle unversehens denjenigen zugeführt, an den diese Zeilen einst gerichtet waren, ohne je in seine Hände zu gelangen. Welch heißen Schrecken hatte sie bei diesem Wiedersehen empfunden!

Die Jahre versanken, und sie stand wieder dem jungen feurigen Tänzer gegenüber, der ihr einst auf einem andern Balle, während er sie mit geschickter Wendung gegen die Anwesenden deckte, so stürmisch die Fingerspitzen geküßt, und der dann ein paar Tage später mit lächelndem Gruße und „den Tod im Herzen“ das Haus verlassen hatte, das er nimmermehr betreten sollte.

Wieviel Thränen hatte sie ihm nachgeweint, wieviel Seufzer ausgestoßen, um ihre junge gebrochene Liebe! Wie manche Stunde war sie vor diesem Buche gesessen und hatte ihre hochgespannten Empfindungen ausgeströmt! Da folgte noch Seite um Seite. Standhaft hatte sie ihr Wort gehalten, bei ihm Zuflucht zu suchen und von allen Verlockungen des Lebens in der Weltstadt sich fern zu halten, so standhaft, daß Heinrich und seine Frau zuletzt mit ihr sogar nach Italien gegangen waren, um sie auf andere Gedanken zu bringen und ihre schwankende Gesundheit wieder zu befestigen.

Und auch in den Tagebuchblättern aus dieser Zeit kamen inmitten scharfsinniger Beobachtungen und von erwachendem Kunstverständniß zeugender Schilderungen ähnliche Gefühlsergüsse vor. Aber die häufige Wiederkehr schien der Lesenden endlich peinlich zu werden. War ihr Empfinden doch verändert? Oder stand sie vielleicht nur unter dem Einfluß der Erinnerung an den Spott jener kalten Lippen, die sie so oft schon über „Phrasen“ aus ihrem Munde, wie er es nannte, hatte lächeln gesehen, und deren Sarkasmus sie vor wenigen Stunden erst so scharf getroffen hatte?

Rasch, wie mit einer Art Verlegenheit, glitt sie über diese Seiten des Buches hinweg.

Sternberg trat ihr vor Augen, wo ihr Gatte zur Stunde schon weilen mochte. Auch die Aufzeichnungen, welche nun folgten, datirten ja von dort, und merkwürdig war es, wie in denselben mit der Rückkehr aus dem Süden das bis dahin vorherrschende Gefühl verblaßte und ein anderes, weit nüchterneres und schärferes die Oberhand gewann. Nur ab und zu noch kehrte ein Gedanke zu dem zwischen den früheren Blättern eingesargten Bilde zurück, wie hier unter Anderem:

„25. April.

Das also ist es! Ich hatte gedacht, nur um mich nicht wieder mit G. zusammentreffen zu lassen, sei ich hierher nach Sternberg gebracht worden; aber ich habe heute von Richard erfahren, daß G.'s Regiment auf dem Marsche nach Galizien, er selbst als Lieutenant in ein anderes Regiment versetzt worden ist. Selikau wäre mir also wohl nicht mehr gefährlich. Aber Papa selbst hat seine Gründe, die Klatschzungen des Städtchens zu meiden. O meine liebe, gute Mutter, warum bist Du so früh von uns gegangen? Kann es sein, daß sich ein solches Geschöpf an Deine Stelle drängen darf? Und darum, darum also wird von nun an das stille einsame Sternberg zu unserer Residenz erkoren! Wie hat sich für mich der Eindruck des ganzen Hauses auf einmal damit verändert! Das hübsche Schloß, die Waldberge, der rasche Fluß, Alles hat seinen Reiz verloren. Die dicken schwarzen Rauchwolken aus den Schlöten ersticken mich.“

Der nächste Tag aber brachte eine längere Aufzeichnung, die sie langsam und prüfend überlas, während sich ihre Stirn in die Hand des aufgestützten Armes senkte.

„26. April.

Ich glaube, daß die Männer, wenn sie älter werden, nur noch für die Politik, die Jagd, das Spiel und Essen und Trinken Sinn haben. So ist es wenigstens bei denen der Fall, die zu uns kommen. Was war das heute für eine Gesellschaft!

Freilich hieß es schon von vornherein, es sei eine Zusammenkunft zu Wahlvorbereitungen. Aber ich sollte doch meinen, nach all den langen Debatten von Mittag bis zur Dinerstunde dürften sie alle möglichen Nüancen erschöpft haben und froh sein, ihre Besprechungen beenden zu können. Gott bewahre! Bei der Suppe herrscht das Schweigen des Hungers; beim Hors d'oeuvre werden noch einige Anläufe zu gewöhnlicher Tischconversation gemacht, die aber, noch ehe der Fisch erscheint, gescheitert sind; mit Roastbeef und Kartoffeln wird wieder Old England rege, und bei Entremet und Gemüse sitzt man bereits mitten in der Politik. Dann kommen die Toaste an die Reihe, und nun ist kein Halten mehr. Rechte, Linke, Majorität, Minorität, Antrag, Resolution, Opportunität, Indemnität, Parität und Calamität ohne Ende, daß uns armen Zuhörerinnen die Ohren schwirren.

Und nun gar, wo nur zwei Damen an der Tafel theilnehmen und unter so viel Bärten ganz verschwinden! Unter dem meines Nachbars wenigstens wäre das für mich etwas ganz Leichtes gewesen. Hilma hätte freilich ein wenig die Zügel ergreifen können; das läßt sie sich ja sonst in keiner Beziehung entgehen, diesmal wollte sie aber offenbar nicht die liebenswürdige Hauswirthin spielen. Sie saß da gleich einer ägyptischen Pharaonenstatue, und die Löckchen flossen ihr herab wie die Schlangen vom Gorgonenhaupte. Wenn sie hätten zischen können, wäre jeder Laut Mißbilligung gewesen. Sie hält, so viel ich davon verstehe, zu der andern Partei, und es ist auch Heinrich gar nicht wohl inmitten dieser Anhänger einer neuen Weltanschauung. Er wirft zuweilen Blicke nach ihr hinüber, als wollte er sie um Verzeihung anflehen, daß ein 'Ritter von Mildner' sich solchen Umsturzideen hingiebt. Wenigstens so lange, bis er sich gehörig Muth getrunken; dann brüllt der Löwe endlich auch mit. Sie aber schweigt – vielleicht fürchtet sie, durch einen Laut die schon über Papas Haupte schwebende Freiherrnkrone im ruhigen Niedersinken zu stören. So läßt sie denn die Wogen branden.

Ich aber, als Tochter vom Hause, als die jüngere, als Mädchen, kann doch nicht den Ton angeben! Mein bärtiger Nachbar hatte wenigstens Erbarmen mit mir und unterhielt mich. Und doch wäre er vielleicht mehr als die Uebrigen veranlaßt gewesen, seine politischen Ansichten zu äußern, denn so viel ich verstanden habe, will der Großgrundbesitz auch ihn zur Wahl in Vorschlag bringen, wenigstens sind sie von allen Seiten in ihn gedrungen, anzunehmen. Er lehnt jedoch ab; seine Verhältnisse erlauben es ihm nicht. Schade, ich glaube wirklich auch, daß keiner sich so gut zum Abgeordneten eignet, wie er. Eine alle andern weit überragende Intelligenz ist auf seiner Stirn zu lesen, man muß nur Baron Weifen mit ihm vergleichen oder Graf Baumbach, den ich zu meiner Rechten hatte und der mir zehnmal während des Essens die Versicherung gab, daß ich charmant aussähe, und darüber, wie über den besten Witz, in ein Kollern kam, daß ich meinte, unser alter Puter habe sich die Treppe herauf verirrt, auch an den violetten Nasen- und Kinnlappen fehlte es nicht.

Ja, da ist kein Vergleich, selbst Doctor Kalina, der sich doch, dank seinem juridischen Scharfsinn, ein hübsches Vermögen gesammelt hat und auch im Abgeordnetenhause eine Rolle spielt, macht nicht den Eindruck einer solch überlegenen Denkkraft wie Baron Lomeda, und auch seine Beredsamkeit ist nicht von derselben ruhigen, zum Verstand, aber auch zum Herzen sprechenden Art. Da mag wohl schon die tiefe wohllautende Stimme mitwirken, aber den Ausschlag giebt doch Inhalt und Auffassung. Ich will übrigens gar nicht leugnen, daß ich vielleicht etwas bestochen bin. Baron Lomeda brachte nämlich den einzigen nichtpolitischen Toast aus. Nicht eben einen neuen, aber einen, den wir uns immer wieder gern gefallen lassen – auf die Frauen nämlich.

Ich merkte wohl, wie es Hilma einen Stich gab, daß er nicht 'Damen' sagte, aber gerade das hat mich gefreut. Und wie er sprach, konnte er auch nicht recht die 'Damen' meinen. Es war kein Preisgesang, bei dem man sich immerfort schämen muß, in eine Reihe mit den Engeln gestellt und mit allerlei überirdischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_122.jpg&oldid=- (Version vom 12.6.2019)