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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

die jedoch blitzschnell beiseite huschte, ehe die Portière aus einander geschlagen ward.

An der nur ganz wenig geöffneten Thür stand die Kammerjungfer und parlamentirte mit dem außenstehenden Herrn des Hauses.

„Der Herr Baron hat eine wichtige Mittheilung und läßt fragen, ob Frau Baronin nicht einige Minuten für ihn übrig hätten,“ berichtete sie jetzt, zurück in's Zimmer gewandt. Die junge Frau hatte die leisen Worte ihres Gatten verstanden; dennoch bediente auch sie sich wieder der Vermittlerin an der Thür, als ob schon der directe mündliche Verkehr mit dem vom Zutritt Ausgeschlossenen eine Entweihung dieses Raumes wäre.

„Ich werde sogleich in den Salon kommen,“ sagte sie leise.

Sie hatte sich unterdeß in einen weichwattirten Schlafrock gehüllt, der ihre Gestalt in bauschigen Falten umfloß, und ließ, sobald die Thür wieder geschlossen war, das weit über den Rücken herabwallende Gelock von dem Mädchen aufrollen und in ein Netz thun.

Noch zögerte sie, warf einen Blick in den Spiegel und verlangte ein leichtes Tuch, das sie sich um den Hals schlang, unter dem Vorwande, daß es im Salon wohl kalt sein werde.

„Aber dann wäre es ja besser, hier nebenan im Boudoir, Frau Baronin,“ rieth das Mädchen. „Die Temperatur hat sich da ganz hübsch gehalten.“

„Verwahren Sie unterdeß den Schmuck; ich werde gleich wieder da sein,“ schnitt ihr die Herrin jedes weitere Wort ab.

Als sie durch das kleine trauliche Zwischenzimmer in den Salon trat, hatte ihre Erscheinung wieder all die Kälte und vornehme Ruhe einer Herrscherin in den Kreisen der eleganten Welt, denen sie angehörte. Mit jenem merkbaren Unbehagen, das einem unwillkommenen Besuche keinen Zweifel an der Unzeit seines Erscheinens übrig läßt, durchschritt sie das nur von zwei Kerzen nothdürftig erhellte große Gemach, bis sie ihrem hier mit großen Schritten auf- und abgehenden Gatten gegenüberstand. Den Pelz hatte er abgelegt, doch trug er noch immer den schwarzen Gesellschaftsanzug, und selbst in dieser einförmigen, unmalerischen Tracht machte er durchaus den Eindruck einer bedeutenden Erscheinung. Er war hoch und stattlich gewachsen; das regelmäßige, nur etwas schmal aus dem weichen krausen Vollbarte hervortretende Angesicht mit der breitgewölbten, von dunkelbraunem Haar umlockten Denkerstirn trug das Gepräge kraftvollen Ernstes.

Der erste Blick, den seine Frau zu ihm aufschlug, überzeugte sie, daß kein Grund zu der geheimen Unruhe, welche sie trotz ihrer gleichgültigen Miene mit seltsamem Beben erfüllte, vorhanden war; sonderbarer Weise steigerte das ihre Kälte, daß dieselbe wie ein eisiger Hauch auch auf ihren Gatten überging. Seine Hand, die sich einen Augenblick – einen flüchtigen Augenblick nur – erhoben, um sich ihr entgegenzustrecken, senkte sich in einer begrüßenden Geberde.

„Verzeih'!“ sagte er. „Ich hätte Dich durch Wilhelm bitten lassen, da er aber daran ist, meine Tasche zu packen und meine Kleider zu rüsten, so muß ich Dich selber stören.“

Die Baronin nickte stumm mit dem Kopfe, schritt auf das nächste Sopha zu und ließ sich darauf nieder. Was war ihr doch – warum schauderte sie? Hatte sie in dem auf ihr ruhenden braunen Auge ein wärmeres Gefühl gelesen, als bisher – etwas wie eine Regung von Theilnahme ober mitleidigem Wohlwollen? Es mußte wohl eine Täuschung sein. Was sollte aber diese ganze Veranstaltung?

„Du reisest also ab?“

Wie gleichgültig, apathisch das klang! Aus der Frage ließ sich all das Erstaunen heraushören über das von solch einem unwesentlichen Ereignisse gemachte Aufheben, und in seiner Erwiderung zeigte sich, wie gut er das erfaßt hatte.

„Ja, in einer Stunde geht der Zug. Ich war auch unschlüssig, ob ich Dich noch bemühen sollte; ein paar Zeilen konnte man Dir ja beim Erwachen übermitteln, aber es interessirt Dich vielleicht, mir besondere Aufträge mitzugeben.“

„Ich habe keine für Riefling,“ sagte sie achselzuckend und schob die schlanken Hände fröstelnd in die weiten Aermel ihres Schlafrocks, wie in einen Muff.

„Aber vielleicht für Sternberg?“

„Was hast Du in – ?“ Sie hielt in ihrer verwunderten Frage sofort wieder inne, als verschmähe sie es, irgend Neugierde zu verrathen. Die rasch gehobenen Blicke langsam wieder senkend, sagte sie dann: „So, Du willst zu meinem Bruder?“

„Auf dieses Telegramm hin.“

Er las:

„Unangenehme Ereignisse. Rainach hat sich erschossen. Bitte, komm womöglich! Heinrich.“

Dann reichte er ihr das Blatt über den zwischen ihnen befindlichen Tisch. Sie hatte sich unwillkürlich aufgerichtet; ihr Auge überlief die Zeilen noch einmal; nun wandte sich ihr Blick erschrocken auf den in ernster Ruhe dastehenden Gatten.

„Was soll das bedeuten?“ fragte sie unsicher.

„Es klingt wie ein Hülferuf.“

„Aber Rainach? warum hat er sich – –? Ach, es ist gräßlich. Ein so gesetzter, kräftiger Mann – was kann ihn veranlaßt haben? Er war schon zu Papa's Zeiten Director der Selikauer Mühle und hatte sein ganzes Vertrauen.“

„Um so schlimmer.“

„O, Du meinst doch nicht, daß er es mißbrauchte?“

„Nach diesen Worten Deines Bruders scheint nicht Alles in Ordnung zu sein.“

„Du fürchtest wohl Verluste?“

Das klang so überlegen, beinahe verächtlich, daß die mit einschneidendem Nachdrucke gegebene Erwiderung noch eine ganz andere Bedeutung gewann.

„Ich fürchte sie für die Deinen.“

Befangen wich sie dem unter gerunzelten Brauen scharf hervorblitzenden Auge aus. Doch das Unbehagen, von dem sie sich erfaßt fühlte, gewaltsam mit geringschätzigem Achselzucken abschüttelnd, fand sie auch ihre äußerliche Ruhe wieder.

In einem weniger spöttischen und verletzenden, dafür aber um so gleichgültigeren Tone sagte sie:

„Heinrich wird eben erschrocken sein. Er hat sich immer wenig um die Geschäfte bekümmert; dafür ist ja auch das Personal da. Rainach mußte Alles leiten; das war schon Alles so eingerichtet; nun wird man einigermaßen in Verlegenheit sein, sich ohne das Factotum zurecht zu finden.“

„Ich weiß nicht, ob das eine ausreichende Erklärung ist; daß man mir Mittheilung macht und mich herbeiruft, scheint mir mehr zu bedeuten. Da ich weder den Betrieb von Kunstmühlen verstehe, noch jemals Einblick in die Geschäftsgebahrung gehabt habe, wäre ich wohl der Letzte, den man zu Rathe zu ziehen hätte, wenn es sich um nichts weiter handelte. Schon der Umstand, daß Heinrich die Depesche um Mitternacht an mich abschickte – zwei Stunden hatte der Reitknecht wohl bis zur Station gebraucht und dann mag sie vielleicht noch eine Stunde liegen geblieben sein – schon das allein erscheint mir als ein Zeichen besonderer Aufregung. Ich glaubte mich darum auch nicht besinnen zu dürfen und werde mich in der Kammer entschuldigen lassen, wiewohl ich gerade für heute als Redner eingetragen bin. Der Antrag wird aber wohl auch ohne mich durchdringen, indeß ich draußen vielleicht behülflich sein kann, einen schweren Schlag abzuwenden.“

„Möglich. – Uns betrifft es ja übrigens nicht.“

Der Baron trat einen Schritt zurück, als müsse er einem drohenden Stoße ausweichen. Sprachlos sah er einen Moment lang dieses zierliche Wesen an, unter dessen reizender Hülle sich so viel Kälte und Selbstsucht barg. Dann aber begannen seine Augen zürnend zu funkeln und ein feindseliger Blitz zuckte aus denselben.

„Wenn das die ganze Summe Deiner Empfindungen ist,“ sagte er mit schneidendem Sarkasmus, „so hast Du allerdings ein noch weiteres Verarmen nicht zu befürchten. Ich meinestheils muß mir meine eigene Ansicht vorbehalten, und sie weicht insofern von der Deinigen ab, daß ich nicht gleichgültig hinwegzugehen vermag über das Schicksal jenes Hauses, aus welchem – mir meine Frau gefolgt ist. Es soll und muß aufrecht stehen.“

„Oder – sie kann wohl in dasselbe zurückkehren?“

Einen Augenblick kämpfte er mit sich selbst; er war sehr blaß geworden, doch schoß ihm gleich darauf eine heiße Blutwelle in die Schläfe, und seine kräftige Gestalt richtete sich stolz empor.

„Es ist Dein eigener Zusatz,“ sagte er, „und ich habe darauf nichts zu erwidern – auch wenn er einen Entschluß ausspräche.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_107.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)