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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


legte, da sie mit dem Zusammenhalten von Fächer, Kleidern, Bouquet viel zu sehr in Anspruch genommen war, um sich auch nur mit den Spitzen zweier Finger der dargebotenen Stütze bedienen zu können.

Auch bot er ihr nicht mehr den Arm, wie vorher beim Verlassen des Opernhauses, sondern folgte nur, durch die lange nachrauschende Schleppe von ihr getrennt, der Voranschreitenden, während der Diener droben bereits die Klingel an der Wohnungsthür des zweiten Stockwerkes zog.

Eine Kammerjungfer mit verschlafenen Augen und nur flüchtig übergeworfenem Kleide, an welchem sie noch nestelte, empfing die Herrschaft im Vorsaale. Der Diener hatte das Gas angezündet. Einen Augenblick blieben die beiden Gatten hier stehen. Mit ritterlicher Höflichkeit, wie vor einer fremden Dame, zog er, um sich zu verabschieden, den Hut, während sie, nur leise über die Schulter nickend, kaum hörbar sein ruhiges „Gute Nacht!“ erwiderte.

Sie reichten sich dabei nicht einmal die Hand; es war nichts von Zärtlichkeit in den beiden Stimmen, auch nicht der herzliche Ton, wie ihn doch selbst Geschwister und Freunde für einander haben. Ihr Auge suchte nicht das seine und sah darum auch nichts von dem tiefen und mit seltsamem Ausdrucke auf ihr ruhenden Blicke, der ihr noch mehrere Secunden folgte, ehe der Baron sich wendete und hinter dem voranleuchtenden Diener den Corridor entlang nach seinen Zimmern schritt.

Auf der entgegengesetzten Seite lag das Gemach, in welchem sich endlich die Baronin all ihrer Hüllen entledigen ließ. Eine Nachtlampe, die von der zeltartigen Decke hing, verbreitete nur ein sanftes rosiges Licht in dem durchwärmten Raume, dessen behaglich elegante Einrichtung zu voller Wirkung kam, nachdem die Kammerjungfer die Kerzen der Armleuchter vor dem Pfeilerspiegel angezündet hatte. Der hellgrau und rosenroth gestreifte Seidenstoff, der die zeltartige Deckenverkleidung, die Thür-, Fenster- und Bettvorhänge, sowie den Ueberzug der wenigen Sitzmöbel in Rococogeschmack geliefert, gab der ganzen Ausstattung einen wohlthuenden Anstrich von Helle und Heiterkeit. Die feine elastische Gestalt der Baronin schälte sich aus den warmen Ueberkleidern und stand jetzt im vollen Ballstaate vor dem deckenhohen Pfeilerspiegel. Die Falten des wasserblauen Atlaskleides, über welches ganze Schleierfälle kostbarer Spitzen hinrieselten, schimmerten gleich Wellen um eine auftauchende Nymphenerscheinung. Einzelne Tropfen blitzten noch in dem goldbraunen Haar, und eine schwere Perlenschnur schlang sich dreimal um den feingeformten Hals.

Nur ein Hauch von Frische röthete die Wangen der jungen Frau, aber die blühenden Lippen bewiesen hinlänglich, daß dieser blasse Teint kein Zeichen eines Leidens war.

„Der Wagen war zwar auf vier Uhr bestellt,“ entschuldigte sich die Kammerjungfer im Hinblick auf ihre mangelhafte Toilette, „aber ich glaubte doch, es werde wieder halb sechs werden, und so habe ich mich mit dem Aufstehen etwas verspätet.“

„Thut nichts. Ich habe ein wenig Kopfschmerz,“ ließ die Herrin beschwichtigend fallen. „Bringen Sie mir nur frisches Wasser, Minna!“

„Aber wollten Frau Baronin nicht lieber einige Tropfen Eau de Cologne? Ich will etwas darunter mischen.“

„Nein, frisches! ...“ unterbrach die Baronin mit einem leisen Nachdruck des Unwillens das Mädchen, welches im Begriffe stand, aus einer auf dem Tische stehenden Karaffe ein Glas mit Wasser zu füllen, doch setzte sie sogleich, wie um den scharfen Ton des Befehls zu verwischen, erläuternd hinzu: „auch für die Blumen ist das Wasser hier zu abgestanden.“

„Ich will sie mitnehmen und draußen einstellen; sie duften zu stark, und wenn Frau Baronin ohnehin schon an Kopfschmerzen leiden ...“

„Thun Sie, wie ich Ihnen gesagt habe!“ lautete diesmal die Entscheidung so bestimmt, daß das Mädchen, welches dienstfertig nach dem Strauße gelangt, den ausgestreckten Arm betroffen sinken ließ und, noch einen Blick der Verwunderung auf ihre Herrin zurückwerfend, mit der Karaffe stumm aus der Thür huschte. Diese hatte sich kaum geschlossen, als die Baronin rasch und mit sehr wenig Achtsamkeit für die eben erst mit solcher Sorgfalt bedachten Blumen über dieselben hinstrich und, mit leichten Fingern in den Camelien suchend, ein zusammengerolltes Blättchen aus dem Verstecke zog.

Wie wenn sie einen Dorn berührt hätte, zuckte sie auf, als sie so ihre Vermuthung bestätigt fand; der Strauß fiel jetzt ganz unbeachtet in den vor ihr stehenden Fauteuil und von da auf den Teppich herab. Einen Moment zögerte sie, und die fein geschwungenen Lippen preßten sich fest auf einander, dann aber lächelte sie bittertrotzig, und unmittelbar darauf hatte sie auch schon das Röllchen geöffnet und die wenigen, in sichtlicher Eile mit Bleistift hingeworfenen Worte überflogen:

„Soll das ein Wiedersehen sein, Elise? Nicht einen Tanz hatten Sie für mich, nicht ein herzliches Wort. Ist alles todt? – Aber nein, ich bin nicht ganz vergessen. Unsere Herzen hat man nicht aus einander gerissen. In Deinen Augen habe ich es gelesen und Deine Lippen sollen mir bestätigen, was mir der eine unbewachte Blick verrieth. Laß Dich vor mir verleugnen und verleugne Dich selbst, wenn Du es vermagst!“

Wie sie jetzt bleich und mit geschlossenen Augen dastand, sah sie in der That so krank und einer Ohnmacht nahe aus, daß die zurückkehrende Kammerjungfer erschrocken das Wasser bei Seite stellte und ihrer Herrin zu Hülfe eilte. An ihrem Arme ließ sich diese in den Fauteuil gleiten; aus ihrer Hand nahm sie fast willenlos das Glas und trank ein wenig. Die Befeuchtung der schönen glatten Stirn und der von feinen blauen Aederchen durchflochtenen Lider mußte denn auch wohlgethan haben, denn klar und ruhig schlug die junge Frau wieder die Augen auf, in deren schwarzen Sternen ein wunderbares Leuchten aufging, und liebkosend beugte sie sich zu dem schlanken braunen Hündchen nieder, das, schon vor der Thür ungeduldig winselnd, mit dem Mädchen hereingekommen war und mit lauten Freudenbezeigungen an seiner geliebte Gebieterin emporsprang.

„Frip wird die Spitzen zerreißen, Frau Baronin,“ erlaubte sich die Kammerjungfer zu erinnern[WS 1].

„Um so besser für Sie. Wenn sie Ihnen gehören, dürfen Sie sich bei ihm bedanken.“

„Ach mein Gott – die wunderbare Garnitur!“

Die Baronin achtete nicht auf den halb bestürzten, halb entzückten Ausruf ihrer Zofe; sie hatte sich erhoben, ließ sich entkleiden und entledigte sich langsam der schweren Goldreife und der fast bis zu den Grübchen der Ellbogen reichenden Handschuhe. Wie geschickt sie dabei das kleine zusammengedrückte Papier zwischen den feinen Fingern mit Taschenspielergewandtheit verbarg, wäre dem mit ihrer Bedienung beschäftigten Mädchen jedenfalls entgangen, wenn Frip in seiner naiven Spiellust dieses sorgsame Verstecken nicht für eine ihm geltende Neckerei genommen und es nun mit besonderer List darauf angelegt hätte, in Besitz der Papierkugel zu gelangen, die sein treues Gemüth für eben so unschuldig und nur dem einen Zweck gewidmet hielt, wie all jene anderen, die er tagsüber zu apportiren hatte. Die Heftigkeit, mit welcher ihm die erhaschte Beute wieder abverlangt, ja schließlich abgejagt wurde, erregte die Aufmerksamkeit der Zofe. Indeß bemerkte die Baronin den eigenthümlich verständnißvollen Blick derselben nicht, welcher das augenscheinlich so kostbare zerknüllte Blättchen mit dem noch immer zerzaust und theilweise entblättert am Boden liegenden Strauße in Zusammenhang brachte. Wie sie mit blitzenden Augen und gerötheten Wangen dem Hündchen wehrte, bot sie auf ein paar Secunden ein reizendes Bild jungfräulicher Mädchenhaftigkeit dar; aber im nächsten Augenblicke war sie wieder die ernste stolze Frau. Frip auf dem Schooße, saß sie im Fauteuil und ließ sich den Schmuck aus dem Haare lösen; die Kammerzofe nahm die prächtigen Strähnen sorgsam aus einander, um sie mit dem Kamme leicht noch einmal zu durchfahren.

Da pochte es leise an die Thür. Frip sprang als kampfbereiter Wächter kläffend von seinem Hochsitze, schwieg aber sofort, als sich die wohlbekannte Stimme seines Herrn von außen vernehmen ließ.

„Auf ein Wort, wenn Du noch auf bist!“ bat die Stimme, und die Wirkung auf die junge Frau hätte keine überwältigendere sein können, wenn ein Feuerruf aus dem nächsten Zimmer zu ihr herübergedrungen wäre.

Sie sprang erschrocken und tieferröthend empor, und mit einer unwillkürlichen Bewegung zog sie schamhaft die gestickte Krause des Pudermantels enger und höher. Im Schrecken vergaß sie selbst die Weisung, welche sie ihrem Mädchen zu ertheilen hatte.

„Ich werde den Herrn Baron fragen, was er wünscht,“ sagte dasselbe, und rath- und fassungslos nickte die junge Frau,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: errinnern
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_106.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)