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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Dennoch sollte bald noch mehr Denkwürdiges in derselben zu verzeichnen sein.

In den Verhältnissen des Kogelhofes lag der fruchtbarste Keim dazu; denn daß die Frage über Besitz und Erbschaft des Hofes nicht mit dem im ersten Augenblicke vom Landrichter abgegebenen Spruche zu Ende sein konnte, lag Jedermann vor Augen. Hätte Lenz in seiner Aufregung länger gezögert, so würde er noch mit angesehen haben, wie der vorsichtige Beamte, um ja Niemanden zu beeinträchtigen, es für gut befunden hatte, das ganze Besitzthum, ungeachtet des Widerspruches der Firma Rab und Geier, der einstweiligen Aufsicht und Verwaltung des Oberknechtes, eines alten, als treu und verlässig bekannten Mannes, zu übergeben und dann das Amtssiegel an alle hauptsächlichen Behältnisse, Kisten und Kasten anzulegen, in welchen Geld oder etwaige Aufschreibungen des Alten oder wohl gar ein von demselben hinterlassenes Testament enthalten sein konnten.

Auch schien dem klugen Manne nothwendig, über den schnellen Tod des Bauers und insbesondere über dessen Veranlassung Nachforschungen zu pflegen; stand doch fest, daß der Krämer, der jetzt als Erbschaftsprätendent auftrat, den Alten bedroht und daß die ihm in's Ohr geflüsterte Drohung wirklich eine so gewaltige Wirkung hervorgebracht hatte, daß man dahinter irgend ein bedeutsames Ereigniß vermuthen mußte.

Deshalb hatte der Landrichter auf die nächste Zeit eine eigene Tagfahrt auf den Kogelhof angesetzt, in welcher der Rücklaß selbst „festgestellt, inventirt, reserirt, extradirt“ und jede andere damit zusammenhängende Frage gelöst werden sollte; deshalb waren dazu auch alle Personen geladen, von welchen irgend ein Aufschluß zu hoffen war. Insbesondere war Lenz befohlen worden, trotz seines Unwillens und Widerwillens, sich dabei einzufinden, weil ja bei ihm, als dem vermeintlichen Sohne und Erben, die nächste Aufklärung gesucht werden mußte.

Auch Nannei war unter den Geladenen.

So kam es, daß am bestimmten Tage der Kogelhof der Sammelplatz einer ziemlich zahlreichen Gesellschaft war, deren Mitglieder dem Kommenden mit sehr verschiedenen Empfindungen entgegensahen.

In der unangenehmsten Stimmung war wohl der Krämer, Firma Rab und Geier, der im ersten Augenblicke den Kogelhof schon fest in seinen Krallen zu haben geglaubt hatte und jetzt den Aufschub peinlich empfand, wenn auch ein begründeter Zweifel über den endlichen, für ihn günstigen Ausgang, wie er meinte, vernünftiger Weise nicht denkbar war. Dennoch mußte er an sich halten und heiter erscheinen – lag es doch in seinem Vortheil, sich den Anschein zu geben, als ob auch er die möglichste Gründlichkeit der Verhandlung auf das Lebhafteste wünsche; man hätte sonst glauben können, er habe Ursache, ein genaueres Eindringen in die Verhältnisse zu fürchten.

Sein Aerger stammte übriges aus mehreren Wurzeln, und nicht die geringste unter diesen war es, daß er inzwischen daheim eine Entdeckung gemacht hatte, die seine Pläne, selbst wenn ihm die Durchführung gelungen wäre, von fremder Seite her über den Haufen zu werfen drohte.

Als er eben einmal in der Ladenthür unter der goldenen Firma gestanden und dort von einem Nachbar den Glückwunsch wegen der großen Erbschaft huldvoll in Empfang genommen, war seine freudige Stimmung durch ein Gepolter unterbrochen worden, das aus dem etwas dämmerigen Hintergrunde des Ladens kam und ihn zugleich mit dem neugierigen und glückwünschenden Nachbar auf den dunklen Schauplatz desselben rief. In dem anstoßenden Gewölbe, wo die verschiedenen Specereien und Flüssigkeiten in größeren Kisten und Fässern aufbewahrt waren, ward ihm ein Anblick, der ihn beinahe in eine Steinsäule verwandelt hätte, um so mehr als auch der nachbarliche Gratulant Zeuge derselben geworden war. Der Commis und seine Tochter waren dort beschäftigt gewesen, eine Partie aus einem Syrupfaß abzufüllen, und hatten den unbewachten Augenblick für günstig gehalten, sich über die Hoffnungslosigkeit ihrer Liebe zu trösten. Er, mit dem Trichter in der Hand, hatte sich von der Staffelei zu ihr herunter gebeugt und dabei übersehen, daß die braune Flüssigkeit nicht in das dafür bestimmte Geschirr, sondern durch den Trichter ihm auf die Brust floß; sein immer tieferes Herniederbeugen und ihr steigendes Emporstrecken hatte zuletzt zu Kuß und Umarmung geführt – darüber kam das Gestell, auf welchem Maxl stand, in's Schwanken; es fiel polternd um, und vor des keuchenden Krämers Blicken zeigte sich auf Philomena's weißer Ladenschürze das Brustbild Maxl's mit wahrhaft lithographischer Genauigkeit abgedrückt. –

Nicht minder erregt und befangen, wenn auch aus ganz anderen Gründen, war Lenz. Hatte er schon dem Befehle des Gerichtes mit Widerstreben gehorcht, so war die Peinlichkeit seiner Empfindung noch gewachsen, als er dadurch nicht nur genöthigt war, all den bekannten Leuten unter die Augen zu treten, sondern als ihm auch mit jedem Schritte die Neuigkeit von der mit Nannei vorgegangenen Aenderung begegnete. Die wenigen Tage des Unglücks und der Trennung hatten hingereicht, um ihn über seine Stellung zu Nannei und seine Gefühle für sie in einer Weise aufzuklären, daß keine Täuschung mehr möglich war. – Jetzt war ihm auf einmal klar, daß er sie lieb gehabt, so lange er sie gekannt – daß, wenn sie einmal mit einander gehadert, dieses von seiner Seite immer nur deswegen geschah, weil er zwar manchmal geglaubt, daß auch sie ihm gewogen sei, sie ihn aber meist so hochmüthig und von oben herab behandelt hatte, daß er an ihrer Gesinnung immer wieder irre geworden. Jetzt gestand er sich zu eigener Qual, daß, wenn er sich einmal im Stillen als Bauer auf dem Kogelhofe gedacht, die Bäuerin immer Nannei so ähnlich gesehen hatte, wie deren Spiegelbild, und daß er sich oft mit dem Gedanken geängstigt hatte, was wohl sein Vater sagen werde, wenn er mit einem solchen Heirathsplane angerückt käme.

Das war nun für immer vorbei.

Nicht genug, daß er nun arm geworden und in dieselbe Schmach verfallen war, die er ihr vorgeworfen, war sie noch obendrein reich und vornehm geworden und dadurch zwischen ihr und ihm eine Kluft entstanden, über die es keine Brücke gab. Es war kein Wunder, wenn sein Gemüth mit Bitterkeit überfüllt war und wenn er das Ende der Verhandlung, sollte sie noch so schlimm ausfallen, sehnlichst herbeiwünschte. Dann wollte er in der Caserne im Soldatenstande das Vorgefallene, Reichthum, Heimath und Liebe vergessen und, wenn dann einmal seine Zeit ausgedient sein würde, in die Welt gehen, um daheim ebenfalls vergessen zu werden.

Das Einzige, was aus dem stürmischen Meere seines Gemüths wie eine ruhig grünende Insel hervorragte, war das Begebniß mit dem Päckchen Geld, das, während er auf der Waldblöße gelegen, ihm in den Hut geworfen worden war.

Er haßte, er verachtete alle Leute seiner Bekanntschaft, die ganze Einwohnerschaft des Dorfes und der Gegend war ihm widerlich; er hatte die hämischen Bemerkungen über sein Schicksal nur zu wohl gehört; die lachenden Blicke der Vorübergehenden waren ihm nicht entgangen, und sein Groll hatte die Schadenfreude, wo sie vielleicht in Wirklichkeit nicht vorhanden war, hineingelesen. Jenes Geschenk aber bewies unwiderleglich, daß doch noch Jemand in der Nähe sein mußte, der sich um ihn kümmerte, der für ihn sorgte – ein reines Herz, das dies Alles ohne Eigennutz that; sonst würde dasselbe nicht auf seinen Dank verzichtet haben. Vergebens ging er alle Möglichkeiten in Gedanken durch, den Geber zu errathen, und wenn auch manchmal Nannei vor seine Seele trat, mußte er den Gedanken immer gleich als Thorheit zurückweisen. Hatte er sie doch so bitter gekränkt, daß er unmöglich denken durfte, sie habe sich dafür auf solche Weise gerächt! Der letzte Gedanke drückte noch den allerschärfsten Stachel in sein Herz; denn immer stieg dabei das Bild vor seiner Seele empor, auf welche unedle Art er selber, als sie seinen Uebermuth zurückgewiesen, an ihr Rache genommen.

Nannei war trotz des Außerordentlichen, das sie betroffen, ruhig und gefaßt; sie war es um so mehr, da sie von dem Vorgefallenen weitere Folgen weder wünschte noch erwartete. Sie hatte ihre Mutter gefunden; sie hatte nun einen Punkt, an den ihre Gedanken sich heften, einen Gegenstand, auf den sie ihre Sehnsucht richten konnte, und war zufrieden. Es war nicht in ihrem Sinne, einer besseren und höheren Standesclasse anzugehören; sie wollte ihr Leben lang bei dem Loose, das ihr zu Theil geworden, verbleiben, und wenn auch ihre Zufriedenheit mit demselben in den letzten Tagen einen Stoß erlitten hatte, war das völlig wieder ausgeglichen. Sie wollte keine Ansprüche an die neugefundenen Verwandten erheben; die feste und stolze Art ihres Wesens ließ es nicht zu; sie meinte, nicht an ihr läge es, sich bei denselben zu melden, sondern sie selbst müßten kommen, sie aufzusuchen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_091.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)