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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

No. 6.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Ledige Kinder.
Erzählung aus dem oberbairischen Gebirg.
Von Herman v. Schmid.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten, Uebersetzung und
Dramatisirung vorbehalten.


„Wer will was vom Pechler Kaspar?“ rief auf einmal der Alte, indem er zwischen den Grabkreuzen auftauchte, sodaß er zwischen Nannei und den Vorsteher zu halten kam. Beide waren überrascht von dem unvermutheten Anblick, um so mehr als das Aussehen des Rußigen ein ganz ungewöhnliches war. Seine Augen funkelten; seine Wangen und seine Glatze glühten, als ob er neben seinem Schweelofen säße, über sein Gesicht aber war trotz allen Rußes ein solcher Ausdruck von Lustigkeit ergossen, daß der Vorsteher, der seinen Mann kennen mochte, einen Schritt zurücktrat.

„Was hast?“ sagte er, indem er ihn bedenklich musterte. „Bist übergeschnappt oder hast einen Rausch?“

„Noch nicht,“ rief Kaspar, „aber es kann sich heute schon noch so etwas herauswachsen. Hast Du nach mir verlangt, Vorsteher? Mir ist es recht; ich habe auch gerade zu Dir gewollt. Ich bin gelaufen wie ein Wiesel; der Weg vom Wald her zum Dorfe muß heut' um die Hälfte kürzer sein, oder meine Füße sind um so viel länger geworden.“

Auch Nannei schien die Besorgniß des Vorstehers zu theilen.

„Was ist denn, Vater?“ sagte sie, indem sie ihren Arm unter den seinigen schob. „Ich wollte mich gerade auch auf den Weg machen zu Dir,“ sagte sie, „komm, gehen wir mit einander!“

„Das thun wir auch,“ rief der Pechler laut lachend, schlug sich aber sogleich wie abmahnend auf den Mund.

„Bst!“ fuhr er fort, „wer wird die armen Seelen beleidigen und auf dem Friedhofe so laut lachen! – Komm, Vorsteher, komm hinaus auf den Hof, auf die Gass'n! Ja, auf die Gass'n – da ist es mir am liebsten, und weil Du doch vom Gemeindediener geredet hast, laß es gleich ausläuten, damit fein gewiß das ganze Dorf zusammenläuft!“

Der Vorsteher hielt es für das Klügste, den offenbar sinnverwirrten Menschen bei Seite oder vor Allem aus dem Friedhof hinauszubringen, der zum Schauplatz solcher Auftritte wohl am allerwenigsten geeignet war. Er gab dem Pechler ein Zeichen, voranzugehen. Dieser schritt auch, Nannei fest am Arm führend, aufrecht und mit lachendem Gesicht durch die Menge auf die Straße, wo in nicht großer Entfernung das Pfarrhaus sich aus den grünen Wipfeln des Baumgartens erhob.

Nannei wollte unwillkürlich den Alten schnell in einen Seitenweg ziehen und so aus den Augen der Menge entfernen, er aber widerstrebte so entschieden, daß sie ihr Vorhaben aufgeben und zusehen mußte, wie er mitten auf der Straße stehen blieb und auch den Vorstand zum Stehenbleiben anhielt.

„So,“ rief er, „das ist gerade ein rechtes Platzl, wo Jedes Alles sehen und hören kann, und jetzt ist es an Dir, Vorsteher, daß Du den Anfang machst. Du bist neulich die Hauptperson gewesen, wie Ihr Alle zusammen geholfen habt, das Mädel da herunterzusetzen – Du hast gesagt, es wär' eine Schand' für den Kogelhof, wenn sie dem König den Buschen übergeben thät', weil sie ein lediges Kind ist – jetzt mach's wieder gut und bitt sie um Verzeihung!“

„Mach, daß Du nach Haus kommst, alter Fabelhans!“ entgegnete der Vorstand und versuchte den Ring von Menschen zu durchbrechen, der sich rasch um die Gruppe gebildet hatte und bereits immer dichter zusammenschloß.

„Bitt sie um Verzeihung, sag' ich!“ rief der Kaspar wieder, „denn das Nannei ist kein lediges Kind.“

Diese Worte wirkten so überraschend, wie eine bei Nacht auflodernde Flamme, welche plötzlich die ganze Umgebung erhellt und in ganz neuen Farben und Umrissen erscheinen läßt. Ausrufungen des Staunens, des Zweifels und des Spottes ertönten durch einander; auch der Vorsteher verweilte noch einen Augenblick und rief:

„Also ist sie kein lediges Kind?! Meinetwegen! Ich bin zu der Zeit, wo sie auf die Welt gekommen ist, auswärts im Dienst gewesen; ich weiß nichts von ihr, als was mein Vater mir erzählt hat. Du hast Dich schon damals um sie angenommen; ich vergönn' Dir's, wenn Du's herausgebracht hast, daß sie etwa gar eine verloren gegangene Prinzessin ist.“

„Lach nur! Du hast nicht so weit daneben geschossen,“ sagte der Pechler, indem er unter seiner Jacke ein dunkles, wollenes Umschlagtuch hervorzog, wie sie in manchen Gegenden von den Frauen über Brust und Schulter getragen und unter den Armen hindurch auf dem Rücken geknüpft zu werden pflegen. Zugleich hob er einen goldenen Fingerring in die Höhe und ließ ihn in der Sonne funkeln.

„Da, schaut her!“ rief er. „Das ist ein Trauring; den hat das fremde Weib, der Nannei ihre Mutter, gehabt. Sie ist also eine verheirathete Frau gewesen und die Nannei ist kein lediges Kind.“

Schnell hatte der Vorsteher den Ring erfaßt und betrachtete ihn, während Nannei, im höchsten Grade ergriffen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_089.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)