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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


will? Was untersteht sich das Leut, mir nichts, dir nichts, ohne aufzusagen, mitten unter der Zeit davonzulaufen und es noch obendrein selbst in den Kalender zu schreiben? Warum ist sie fort? Weißt Du was davon?“

Lenz war nicht minder überrascht; auch er war hastig aufgesprungen, als er den Vater den seltsamen Eintrag lesen hörte. Jetzt stand er am Tisch, hatte den Kalender aufgehoben und las selbst, als müsse er sich überzeugen, daß es wirklich so dastehe, wie der Vater gelesen. Schweigend legte er dann den Kalender wieder auf den Tisch und wendete sich der Thür zu.

„No, was ist's? Wohin willst?“ rief der Alte. „Warum giebst keine Antwort? Aber ich brauch' Deine Antwort nicht,“ fuhr er fort, „ich kann's Dir an der Nasen absehen, daß Du von der Geschichte weißt. Was hat's gegeben? Die Nannei ist alleweil brav, ordentlich und fleißig gewesen die ganzen zehn Jahr' her, seit sie auf dem Kogelhof ist. Sie hat zu uns gehalten, wie wenn sie zu uns gehören thät', und ich hab' sie auch so gehalten, als wenn's nicht anders wär'. Das muß schon was Besonderes sein, daß sie so Knall und Fall auf und davon ist. Darum hat sie auch schon vorhin so verdraht ausgesehen. Also 'raus mit der Farb'! Was hat's 'geben?“

Der Sohn konnte nicht länger umgehen, die Frage des Vaters zu beantworten, und begann ziemlich stockend zu erzählen, was sich mit dem Blumenstrauß zugetragen. Ueber Gesicht und Stirn des Bauers stieg die Röthe des Zornes empor, zu dem er ohnehin sehr geneigt war.

„Das kommt mir aber spaßig vor,“ sagte er dann kopfschüttelnd. „Das Nannei hat sich nie etwas eingebildet, nie überhoben, und wenn sie den Buschen gebunden hat, sehe ich nicht ein, warum sie ihn nicht auch hätte überreichen sollen. Der König hat ihn ja kaum angeschaut. Da muß ich genau wissen, wie es zugegangen ist – da steckt noch was dahinter.“

Lenz zögerte noch immer. Es wurde ihm sichtbar schwer, die Einzelnheiten zu erzählen, wie Nannei vom Pechler Kaspar den Strauß bereits in die Hand bekommen hatte, und wie er selbst es gewesen, der ihn ihr wieder abgenommen und an Philomena gegeben hatte.

„Hättest auch was Gescheiteres thun können!“ brummte der Bauer ärgerlich. „Aber dabei weiß ich immer noch nicht mehr als zuvor. Die Nannei wird sich darüber wohl geärgert haben, das kann ich mir denken, aber deswegen läuft sie nicht davon, dazu ist sie zu vernünftig. Schieß einmal los: warum hast Du ihr den Buschen abgenommen? Gefällt Dir denn der Buckel gar so gut, daß Du ihr nicht hast wollen Weh geschehen lassen?“

„Ich bin nicht schuld daran gewesen,“ entgegnete Lenz, der allmählich den alten Trotz wieder fand, „aber der Vorsteher hat gesagt und alle Bauern haben gesagt –“

„Was haben s' denn gesagt, die pfiffigen Bauern alle mit einander?“

„Daß es eine Schand' wär' für den Kogelhof, wenn das Nannei dem König den Buschen giebt, weil – weil –“

„Weil?“ rief der Alte ungeduldig.

„Weil – na, weil sie halt ein lediges Kind ist.“

„Was?“ rief der Alte, plötzlich wie außer sich gerathend. „Und das hast ihr wohl gar gesagt? Hast es dem Madel vorgeworfen?“

Lenz' Schweigen war die beredteste Antwort. Der Alte stand so zornig und drohend vor dem Burschen, als sei er nicht übel gesonnen, ihn die Schwere seiner väterlichen Hand fühlen zu lassen.

„Da hast was Recht's angefangen,“ rief er dann, sich gewaltsam mäßigend und die Hand an die Stirn pressend, wo sich immer, wenn er in Zorn gerieth, ein eigenthümlicher Druck fühlbar machte. „Kannst Dir was einbilden darauf, das brave Dirndl vom Kogelhof vertrieben zu haben. Die bringt Niemand so leicht wieder zurück.“

„Das wird auch Niemand wollen; bis morgen haben wir zehn andere Dirnen.“

„Das glaub' ich wohl. Jetzt versteh' ich freilich, warum sie ausgestanden ist. Das Dirndl hat Ehr' im Leib, und Dir,“ setzte er leise hinzu, weil vor der Thür sich Schritte hören ließen, „Dir sag' ich nur: es giebt leicht Jemand, der sie wieder zurückbringen möcht', und es kostet mich ein einziges Wort, so machst Du selber Dich bei Nacht und Nebel auf den Weg und suchst sie und bittest sie mit aufgehobenen Händen, bis sie wieder kommt.

„Da darf sie sich das Warten nicht verdrießen lassen,“ sagte Lenz höhnisch auflachend.

„Ich will Dich ein anderes Mal daran mahnen, wenn Niemand in der Nähe ist,“ sagte der Alte in einem eigenthümlich gemilderten und rasch gedämpften Ton. „Jetzt mach', daß Da fortkommst! Ich will mich bald niederlegen, es ist mir den ganzen Tag schon ein paar Mal so letz (unwohl) gewesen. Sag's dem Oberknecht, wenn er morgen in der Fruh mit den zwei Füllen auf den Pferdemarkt geht, soll er im Vorbeigehen zum Bader hinspringen und soll ihn auf morgen zu mir bestellen. Jetzt aber schau, wo die Gäst' bleiben, und wenn die Nannei nimmer da ist, soll halt die Trautl die Hendel auftragen.“

Er wollte nach der Klinke greifen, als die Thür aufging und Philomena mit einem Leuchter in der Hand auf der Schwelle erschien. „O, da ist ja die Jungfer Bas!“ fuhr er zu ihr gewendet in einem Tone fort, in welchem der eben empfundene Aerger durch den Spott hörbar wurde. „Die Jungfer Bas muß halt mit meinem Buben allein vorlieb nehmen und der Vetter Kramer auch. Ich bin ein wenig übelauf – ich glaub', die Freud' über den Besuch hat mich so angegriffen. Hab's ja schon gehört, daß ich mich bei der Jungfer Bas zu bedanken hab, weil sie, wie ich nicht daheim gewesen bin, so für die Ehr' vom Kogelhof gesorgt und dem König der Nannei ihren Buschen übergeben hat. Nun, der Lenz wird's schon statt meiner thun; der kann besser mit dem Maul fort, als ich alter Krachezer. Gute Nacht bei einander!“

Er ging, indem er die Thür ziemlich entschieden hinter sich zuzog; stumm und verlegen standen die beiden Zurückbleibenden einander gegenüber. Das wie mit Blut übergossene Gesicht des Mädchens verrieth nur zu deutlich, daß sie den Stachel in den Worten des Bauers empfunden hatte; Lenz befand sich seit der Nachricht von Nannei's Entweichung und dem Gespräch mit dem Vater in so befangener Stimmung, daß er sich selber nicht klar war, was eigentlich in ihm vorging. Manchmal war ihm, als müßte er hell auflachen über die empfindliche Bauerndirn', die einen prachtvollen Dienst aufgab, weil man sie nicht wie eine wilde Prinzessin gehätschelt und auf den Händen getragen – er kam aber nicht dazu, denn im Augenblick durchzuckte ihn wieder plötzlich ein geheimer Schmerz, als wäre ihm ein Theil seiner selbst entrissen, von dem er bisher nichts gewußt oder doch nicht geglaubt hatte, wie schwer er ihn verschmerzen würde.

Die Base faßte sich zuerst und hielt Lenz zurück, als er sich entfernen wollte, um, wie er sagte, nach der Küche zu schauen. „Bleib da, Vetter!“ sagte sie mit zitternder Stimme, und über das unschöne Gesicht ging trotz der Verwirrung ein so herzlicher Ausdruck, daß er dasselbe fast gewinnend erscheinen ließ. „Der Vater führt so eigene Reden, daß ich mit Dir darüber sprechen muß. Komm,“ sagte sie und faßte seine Hand, die er ihr, obwohl er bei der Berührung zuckte, widerstrebend ließ, „komm, setzen wir uns an den Tisch, reden wir aufrichtig mit einander, so recht vom Herzen weg!“

Lenz lachte halblaut als Antwort; es war derselbe spöttische Ton, der aus der Rede des Vaters geklungen; wußte er doch, was nun kommen werde! Die Anspielungen des Krämers waren zu plump gewesen, als daß er sie nicht hätte verstehen sollen: es war offenbar darauf abgesehen, ihm die verwachsene Person als Frau aufzuhängen. Im Stillen legte er sich daher den Bescheid zurecht, den er geben wollte, wenn sie nun mit dem Antrag angerückt kommen würde.

„Ich weiß nicht,“ begann sie, „was der Vater mit dem Blumenstrauß gemeint hat. Ich hab' ihm in der Schnelligkeit gar nicht sagen können, daß ich mich nicht dazu gedrängt hab'. Ich habe über die ganze Blumengeschichte kein Sterbenswörtchen gesprochen, und wenn ich gewußt hätte, daß deswegen ein solcher Verdruß entstünde und dem Vater oder Dir an der Dirn' soviel gelegen wär', so hätt' ich ihr und Euch die Freude wohl lassen können.“

„Mir?“ stieß Lenz hastig heraus, als gälte es, irgend eine schwere Beschuldigung zu widerlegen. „Mir liegt nichts an der Dirn'.“ Er sprach die volle Wahrheit. Was war ihm, dem Bauernsohn, dem reichen einzigen Erben, an der Bauerndirne gelegen?

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