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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Bedeutung jedoch, die nur durch eine energische Regung des Volksgeistes erreicht werden kann, hat es bis jetzt noch keine einzige derselben gebracht.

Dessau ist weit jünger als seine Schwesterstädte Köthen, Bernburg und Zerbst. Es soll erst kurz vor 1212, in den letzten Regierungsjahren des Grafen Bernhard von Anhalt und auf Betrieb dieses Fürsten, im Anschluß an einen slavischen Ort entstanden sein. Bei seiner guten Lage an der Mulde und in der Nähe der schiffbaren Elbe gewann Dessau bald an Bevölkerung und Ausdehnung, und war bereits zu Anfang des vierzehnten Jahrhunderts eine wohleingerichtete Stadt. Mitten im besten Aufblühen aber hatte sie am 19. August 1467 das Schicksal, bis auf die Kirche zu St. Marien abzubrennen, ein Unglück, von dem es sich in den nächsten beiden Jahrhunderten nur langsam, wesentlich aber durch die Verdienste der Fürsten Joachim Ernst (1570 bis 1586) und Johann Georg des Zweiten (1660 bis 1693), erholte.

Fürst Leopold, des Letztgenannten einziger Sohn und Nachfolger – „der alte Dessauer“ – vergrößerte Dessau bedeutend. Der Anfang des achtzehnten Jahrhunderts sah eine völlige Umgestaltung der Stadt durch ihn. Mauern und Thore fielen; neue Straßen und ganze Stadttheile entstanden, und den regsamen Bürgern schenkte er Bauplätze und Baumaterialien. Aber – er schrieb ihnen auch streng vor, wie sie ihre Häuser bauen sollten: nach der Schablone, casernenartig, meist zwei Stockwerke mit einem Erker darauf, wie sich solche noch heute vielfach in Dessau finden. Seine Häuser erinnern in ihrer Gleichförmigkeit an seine Grenadiere auf den preußischen Drill- und Paradeplätzen. Eines aber verstand Fürst Leopold nicht, oder wollte es bei seiner Eigenart nicht verstehen: auf dem von seinem Vater gelegten Grunde fortzubauen, geschäftliches Leben und Treiben in seiner Residenz zu fördern, die Industrie zu heben, Handel und Ackerbau mehr und mehr von hemmenden Fesseln zu befreien, durch Humanität und Wohlwollen sich die Herzen seiner Unterthanen zu gewinnen. Während er selbst seinen eigenen Wohlstand bedeutend vermehrte, die Einkünfte des kleinen Landes – das heißt also seine Einkünfte – von etwa 26,000 auf 240,000 preußische Thaler brachte, kamen seine Unterthanen in fast allen Schichten immer mehr und mehr zurück, ja verarmten zum Theil. Durch sein Princip, allen großen Grundbesitz, besonders den der adeligen Familien im Lande, an Gütern, Mühlen und Gefällen an sich zu kaufen, Privilegien, Monopole und Lehen, nicht selten durch Gewalt, in seine Hand und an sein Haus zu bringen, schädigte und verstopfte er vielfach die Hauptnahrungsquellen seiner Unterthanen. Die traurigen Folgen dieses Verfahrens im ehemaligen Fürstenthum Anhalt-Dessau, ein gewisses Siechthum auf dem volkswirthschaftlichen Gebiete, ganz zu beseitigen, ist selbst der regen Jetztzeit noch nicht gelungen.

Bei des Fürsten Leopold Tode (1747) zählte Dessau etwa sechstausend Einwohner. Erst dessen Enkel, der obengenannte Fürst Leopold Friedrich Franz (1758, seit 1807 Herzog, bis 1817), verstand es, aus dem Felsen Wasser zu schlagen; er prägte dem kleinen Ort und seinen verwilderten, wüst und öde daliegenden Umgebungen den Stempel seiner Bildung und seines hohen künstlerisch gebildeten Schönheitssinns, seines Geistes und Geschmacks auf.

Fürst Franz, von tüchtigen Lehrern unterwiesen, „in der Schule der Humanität gebildet, die den Fürsten die Unsterblichkeit sichert“, hatte sich ernstlich die Aufgabe gestellt: Land und Leute zu beglücken Und – was noch viel mehr sagen will – er hat diese Aufgabe, soweit es möglich war, gelöst, und zwar in einer Zeit, wo es in den großen wie kleinen Ländern des gesammten europäischen Continents irgend einen Willen des Volkes noch nicht gab und der Wille des souverainen Monarchen allein entschied und gebot.

Kaum achtzehn Jahre alt, trat Franz in einer schweren Zeit, mitten im Toben des dritten schlesischen Krieges, die Regierung an. Wegen seiner geographischen Lage, von Sachsen und Preußen umschlossen, hatte Anhalt-Dessau viel unter jenen kriegerischen Vorgängen zu leiden. Die Kriegscontributionen während der sieben bösen Jahre bezifferten sich auf eine Million Thaler. Von den Unterthanen war nichts zu verlangen, eine traurige Folge der Besitzentziehung und der schwer vernachlässigten Landes- und Menschencultur – Fürst Franz zahlte die Contributionen aus seinen eigenen Mitteln. Acht Jahre später traf eine ähnliche Calamität das Ländchen. Die Wasser der Mulde und Elbe stiegen im Vorsommer des Jahres 1771 zu einer niegekannten Höhe, zerrissen die wenigen Schutzdämme und ergossen sich zerstörend über die Aecker der Bürger und Landleute. Hunger und bösartige Krankheiten wütheten. Da trat der junge Fürst zum zweiten Male als der Retter der Seinen auf. Er verschaffte ihnen aus Hamburg billiges Brodkorn und Saatfrucht und gab ihnen Arbeit und Verdienst. So ward die große Noth in dem kleinen Lande bald überwunden. Aber der menschenfreundliche Regent sah tiefer und weiter.

Zur Ausgleichung der Schäden sollte das Selbstvertrauen des Einzelnen geweckt, sollte Jeder auf seine ihm innewohnenden geistigen und intellectuellen Kräfte hingewiesen werden. Die bisher sehr im Argen liegenden Schulen waren einzig das Mittel hierzu. Hier eröffnete sich dem schöpferischen Drange und dem Organisationstalent des Fürsten Franz ein großes Thätigkeitsfeld. „Können meine Unterthanen auch nicht durch Handel und Fabriken reich werden,“ hat er selbst einmal ausgesprochen, „so will ich sie doch wenigstens durch Bildung gut und glücklich machen.“

Im Jahre 1774 gründete er unter Basedow’s Leitung das seiner Zeit berühmte „Philanthropin“ in Dessau, berief die bedeutendsten Pädagogen Deutschlands an dasselbe, richtete ein Seminar, eine Pflegestätte für junge Volkslehrer, wohl die erste in Deutschland, ein, und schuf unter vielen anderen Lehr- und Bildungsanstalten in Stadt und Land eine höhere Bürger- und Gelehrtenschule in Dessau, das jetzige Gymnasium. Inzwischen hatte Fürst Franz, als ein großer Verehrer Winckelmann’s, mit dem er in Rom innige Freundschaft geschlossen, im Herzensverein mit einem jungen sächsischen Edelmann, dem für alles Edle empfänglichen und begeisterten Herrn von Erdmannsdorff, dem Studium der schönen Künste sich zugewandt – sowohl aus eigener Neigung, wie um seiner früh gefaßten volkspädagogischen Pläne willen. In schönen Kunst- und Naturgebilden sah er ein Hauptmittel, auf die Gemüther zu wirken, Sinn, Verständniß und Geschmack für das Höhere und Erhabene in seinem Volke zu erwecken.

Gleichzeitig und aus denselben Gründen begann er mit vollster Hingabe der Gartenkunst und Landschaftsgärtnerei sich zu widmen, die er in England kennen und lieben gelernt. Als Frucht dieser Arbeiten entstand der etwa drei Stunden von Dessau entfernte berühmte Wörlitzer Garten mit seinem von majestätischen Linden umschatteten, in edlem Baustile aufgeführten Schlosse. Noch heute, mehr als hundert Jahre nach seiner Erbauung, gilt diese ebenso imposante, wie poesievolle Schöpfung, wenn man einige dem Zeitgeschmacke angehörige Anhängsel abrechnet, als ein Kleinod der Landschaftsgärtnerei.

Ueber der Sorge um dieses Werk vernachlässigte der Fürst jedoch die Hauptstadt selber nicht. Fast gleichzeitig schuf er in der Umgebung derselben den durch hohen, idyllischen Reiz sich auszeichnenden Park „Luisium“ und erbaute daselbst auch auf einem Hügel, an einem träumerisch daliegenden, schilfumwachsenen Weiher, ein freundliches Schloß. Ein Seitenstück zu dieser Schöpfung ist das von Franzens kunstsinnigem Bruder Johann Georg 1780 erbaute Schloß „Georgium“, nur daß der dasselbe umgebende Park, der sogenannte „Georgen-Garten“, einen viel imposanteren Umfang hat, sich durch die herrlichsten Baumgruppen, schattigsten Laubgänge und mancherlei Häuser, Hallen, Tempel, Bogen und Statuen auszeichnet und überhaupt einen durch die nächste Nähe der Stadt bedingten belebteren Charakter trägt.

Ferner legte Franz in den ersten achtziger Jahren, auf einer natürlichen Uferhöhe an der Elbe, ein und eine halbe Stunde östlich von Dessau, den „Sieglitzer Berg“ an. Ein Verehrer des Fürsten, der kunstgebildete Fürst Ligne, nannte ihn „die reizendste Einsiedelei der Welt“. Der Sieglitzer Berg, wohin der Weg über duftige, mit majestätischen Eichen gesäumte und geschmückte Wiesenflächen führt, die in der Morgen- oder Abenddämmerung von Rudeln Hoch- und Damwild belebt sind, bildet noch heute einen der beliebtesten Ausflüge der Dessauer. Von kleineren Anlagen dieser Art sei der Hügel erwähnt, den er beim Dorfe Pötnitz unweit Dessau am See aufführte und welcher den Tempel der Winde zu Athen vorstellt.

Sein Werk ist auch der schöne, große, bei Dessau liegende Begräbnißplatz, bei Franzens Toleranz und reformatorischen Bestrebungen für „alle christlichen Confessionen“ gestiftet. Die vielen Akazien lassen ihn zur Zeit ihrer Blüthe von fern eher

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_054.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)