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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


so sehr, daß er in seinem ersten Zorne mit moquanter Stimme zu Gutmann sagte. „Das reicht für meinen Schneider.“

Im Februar 1840 nahmen die Leiden Chopin's wieder zu. Es stellte sich andauernde Schlaflosigkeit ein, und die Symptome der Lungenaffection zeigten sich deutlich. Man konnte sich über den Ernst seines Zustandes nicht mehr täuschen. Und wenn er nun auch allsommerlich mit der George Sand zusammen nach Nohant ging und dort in reiner, milder Luft immer einige Linderung fand, zumal er daselbst frei und ganz nach seinem Gefallen leben konnte, so verschlimmerte der Pariser Winter mit seinen rauhen Winden doch stets wieder das Leiden, und mit jedem Jahre machte die Krankheit größere Fortschritte. Der Husten wurde hartnäckiger, und manchen Tag war der Kranke so matt und litt derartig an Luftmangel, daß derselbe, wenn er seine Freunde besuchen wollte, sich an beiden Armen die Treppen hinauf nach deren Wohnungen führen lassen mußte. Die Verschlimmerung seiner physischen Leiden führte endlich auch öftere Trübungen seines Geistes herbei.

Die Compositionen dieser Epoche von 1840 bis Ende 1846 bestehen in den Werken, welche die Zahlen 53 bis 65 tragen. Es sind durchweg schöne Musikstücke. Allein die Schwermuth und eigenartige Gefühlsaufregung, die besonders aus den letzten herausströmt, sowie der Mangel an jener wohlthuenden Klarheit, durch welche sich sonst seine musikalischen Poesien auszeichneten, sprechen laut von dem beklagenswerthen Zustand des kranken Tondichters.

Im Frühjahr 1847 ging George Sand, wie gewöhnlich, von Paris nach Nohant auf ihren Sommersitz. Diesmal konnte Chopin ihr nicht folgen, denn George Sand wollte daselbst ihre Tochter Solange verheirathen, und zu der Hochzeit war die Gegenwart des Barons Dudevant, des geschiedenen Gemahls der berühmten Schriftstellerin, in Nohant nothwendig.

Chopin mußte also in Paris bleiben, und hier verschlimmerte sich nun sein Zustand plötzlich so gewaltig, daß man längere Zeit ernstlich fürchtete, er würde sein Krankenbett bald mit dem Sarge vertauschen. Doch Adolf Gutmann, der aus seinem Lieblingsschüler sein Lieblingsfreund geworden, und mit dem er während der ganzen Jahre fast tagtäglich zusammen war, pflegte ihn mit der größten und aufopferndsten Sorgfalt, welche der Kranke mit rührender Dankbarkeit vergalt. „Ist Gutmann auch nicht müde? Wird es ihn nicht zu sehr anstrengen, daß er noch weiter bei mir wache? Ach, ich möchte ihn nicht so plagen, und doch möchte ich keinen Andern so viel um mich haben, wie ihn“ – in ähnlichen Aeußerungen bewegte sich fast ausschließlich die Rede des zur Schweigsamkeit verurtheilten Kranken. Und Dank dieser unermüdlichen Pflege des treuen Freundes, sowie den Bemühungen des Arztes Dr. Molin gelang es, Chopin endlich zu Anfang des Mai so ziemlich wieder herzustellen.

Gutmann hatte schon lange den Wunsch, ein Bild Chopin's zu besitzen, und der ihm befreundete berühmte Maler Franz Winterhalter wollte das Portrait fertigen, allein Chopin hatte einen instinctiven Widerwillen gegen das Portraitirt-Werden, und so war bisher noch immer nichts aus der Verwirklichung von Gutmann's Wunsch geworden. Jetzt endlich sollte derselbe in Erfüllung gehen. Als nämlich Chopin während der Besserung eines Nachts mit Gutmann traulich plauderte und ihm seine Erkenntlichkeit für die aufopfernde Pflege dankend aussprach, benutzte Gutmann die Gelegenheit, von Chopin das Versprechen zu erhalten, daß er zu einem Portrait sitzen wolle.

Schon am 2. Mai kam Winterhalter zu Chopin und zeichnete das einzige jetzt existirende, direct nach der Natur gefertigte Portrait des lebenden Chopin, welches neben dessen Unterschrift das Datum vom 2. Mai 1847 trägt und noch heute, ebenso wie das einzige nach der Natur gezeichnete Bild des todten Chopin, unter anderen Chopin-Reliquien in Gutmann's Besitz ist. Es ist in einem wohlgelungenen Holzschnitt diesem Artikel beigegeben. Das zweite, direct nach der Natur von Ary Scheffer gemalte, zuletzt in Besitz von Chopin's Schwester, der Frau Isabella Barcinska, befindlich gewesene Portrait des lebenden Chopin ward im September 1863 zu Krakau bei Anlaß der politischen Unruhen vernichtet.

George Sand dankte Gutmann für seine aufopfernde Pflege Chopin's während der eben geschilderten Leidenszeit in einem Briefe aus Nohant vom 12. Mai, welchen ich vor einigen Monaten in meinem Chopin-Artikel in Paul Lindau's „Gegenwart“ (Nr. 28 vom 12. Juli 1879) der Oeffentlichkeit übergab und aus dem klar hervorgeht, daß der vollständige Bruch George Sand's mit Chopin nicht im Anfang des Jahres 1847 vor der Abreise der berühmten Schriftstellerin nach Nohant erfolgt ist, wie bisher überall unrichtig angegeben. Der Bruch zwischen Beiden erfolgte vielmehr weit später, wie ich unten mit Anführung der speciellen Vorgänge erzählen werde.

Im Winter 1847 bis 1848 war Chopin's Gesundheitszustand ein sehr schwankender, aber er konnte doch wenigstens wieder, wenn auch mit Unterbrechungen, gehen und arbeiten.

Am 16. Februar 1848 gab er im Pleyel'schen Saale ein Concert, das erste öffentliche seit dem Februar 1842.

Ein gewählteres Publicum, als er an diesem Tage hatte, konnte sich der Maëstro nicht wünschen. Der Saal war überfüllt, obgleich die Billets zwanzig Franken kosteten, und Beweise der höchsten Verehrung und Bewunderung seiner Genialität wurden ihm zu Theil. George Sand war auch zugegen. Sie saß mit ihrem Sohne Maurice und mit Liszt in einer Fensternische. Chopin fühlte sich selbst tief ergriffen von seinem Concert. Dieser Triumph, der letzte, den er in Paris erlebte, war Balsam auf die Wunde, die ihm das Schicksal an seiner Gesundheit geschlagen. –

Durch die fürchterlichen physischen Leiden geschwächt, war der kranke Chopin im letzten Winter von Tag zu Tag launischer und unverträglicher geworden. Die Freunde, welche George Sand's Haus besuchten, wurden dem Kranken unbequem, und er zeigte sich ihnen so unliebenswürdig wie möglich, was der berühmten Schriftstellerin selbstverständlich nicht gerade angenehm war. Dazu kamen ferner Reibungen zwischen dem Maëstro und der Familie Dudevant aus Anlaß der Verheirathung Solange's, welche nicht in Chopin's Sinne gelegen und sich hernach auch als eine unglückliche herausstellte. Dann war der Sohn, der inzwischen zum Manne herangewachsen, nicht immer mit den Ansichten Chopin's, der noch weiter seinen Vormund, wie früher, spielen wollte, einverstanden. Es fielen pikirte, scharfe Bemerkungen auf beiden Seiten, wobei George Sand auf der einen Seite als Mutter, auf der anderen als Geliebte sich in die peinlichste Lage versetzt sah.

Nachdem sie auf die verschiedenste Art vergeblich versucht hatte, Ruhe und Frieden in ihrem Hause zwischen Chopin und ihren Kindern, ihrem Schwiegersohn sowie den sie besuchenden Freunden wieder herzustellen, wurde sie dieser fortwährend sich wiederholenden häuslichen Gespanntheiten überdrüssig, und eine leicht erklärliche Unzufriedenheit mit dem Urheber derselben stellte sich nach und nach bei ihr ein, zumal derselbe ihr auch schließlich persönlich mit seiner steten Verstimmtheit und seiner der ununterbrochensten Aufwartung bedürfenden Krankheit eine Last wurde. Die Pflege, welche sie früher gern versah, war ihr jetzt nach alle dem eine Arbeit geworden.

Da brach am 24. Februar 1848 die bekannte Revolution aus, welche ganz Paris in Unruhe und Aufruhr versetzte und Viele zur Flucht veranlaßte. Auch George Sand floh mit ihrer Familie aus dem aufständischen Paris nach ihrem stillen Landsitz, ließ aber Chopin in der alarmirten Hauptstadt zurück, da er zur Zeit gerade – in Folge der Anstrengungen bei seinem obenbeschriebenen Pleyel-Concerte – von großen Leiden geplagt, im Bette lag und nicht mitgenommen werden konnte.

Sie war sichtlich froh, auf diese Weise, scheinbar durch die Umstände gezwungen, von ihm loszukommen; denn sie wußte selber recht gut, daß er zu stolz war, um aus freien Stücken, wenn es ihm wieder besser ginge, nachzureisen oder ihr zuerst zu schreiben, ehe sie ihm ihre glückliche Ankunft in Nohant angezeigt und ihn zum Nachfolgen aufgefordert hatte.

George Sand behauptet zwar, sie hätte gleich nach ihrem Eintreffen auf dem Landsitz einen solchen Brief geschrieben. Allein Gutmann zweifelt sehr daran, zumal sie einen anderen gemeinschaftlichen Freund, der in der letzten Zeit zu Paris schon stark ihr Haus frequentirte, mit auf ihr Gut genommen; wenigstens steht das Factum fest, daß der Brief nicht in die Hände des Kranken gelangte. Und so war – da nun von keiner Seite sich Jemand rührte – die Trennung da und der Bruch fertig.

Gutmann glaubt übrigens nicht, daß bei Chopin die Flamme der Liebe für George Sand noch damals groß gewesen. Er meint, das Verhältniß zu der gefeierten Schriftstellerin sei dem Maëstro vielmehr nach und nach blos zur Gewohnheit geworden, wie auch deutlich aus einem Billet hervorgeht, welches Chopin

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_038.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)