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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Schein von außen her in mein Zimmer fallen. Zum Fenster hinausschauend, sah ich die sämmtlichen Fanale in den Vorhöhen des Rhöngebirgs brennen. Bald darauf hörte ich auch in den entfernteren Dörfern den Generalmarsch schlagen und blasen, der immer näher und lauter, und jetzt unmittelbar vor meinen Fenstern ertönte. Meine Toilette war schnell gemacht, und bald befand ich mich wieder mit dem Bataillon auf dem Marsche.

Das erwartete Ereigniß, der Einmarsch der Österreicher in Hessen, war erfolgt, und wir beeilten uns, soviel Terrain wie möglich zu besetzen, ehe Jene uns zuvorkamen. Am zweiten Tage erreichten wir Fulda, von wo die Österreicher nur noch wenige Stunden entfernt stehen sollten. Die vier mit Zündnadelgewehren bewaffneten Füsilierbataillone des bei Fulda jetzt versammelten preußischen Corps wurden hier zu einer Füsilierbrigade vereinigt, von welcher zwei Bataillone sogleich südlich von Fulda Vorposten gegen die Oesterreicher aussetzten, während die beiden anderen, zu denen das unserige gehörte, als Replis der Vorposten bei den Gärten der südlichen Vorstadt Bivouacs bezogen. Am folgenden Tage sollten wir die Truppen auf Vorposten ablösen und die beiden abgelösten Bataillone unsere Replis bilden; in dieser Weise sollte bis auf Weiteres im Vorpostendienste gewechselt werden, sodaß wir eine Nacht um die andere auf Vorposten kamen.


Ein „Tischlein deck' dich!“
Originalzeichnung von H. Lüders.


Auf einer Terrainerhebung inmitten unserer Bivouacs ragte ein Klostergebäude mit hohen Mauern welches meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Vor den Mauern des Klosterhofes, nahe dem Eingange, hatten unsere Burschen einige Schütten Stroh und ein paar Holzkloben, die Lieferung für die Officiere, abgeladen. Ermüdet, wie ich war, ließ ich mich sogleich auf eine Strohschütte nieder und sank trotz meiner unbequemen Stellung, den Rücken gegen die Mauer gelehnt, die Pickelhaube auf dem Kopfe, alsbald in jenen Zustand, in welchem die Bilder der umgebenden Wirklichkeit mit denen der Gauklerin Phantasie zusammenfließen. Da weckte mich eine weiche, wohlklingende Stimme, und als ich die Augen aufschlug, sah ich in ein jugendlich blühendes Mädchenantlitz, das freilich zum Theil von einer überhängenden dunklen Haube beschattet war.

„Will der Herr vielleicht eine Stärkung nehmen?“ fragte die Nonne, denn als eine solche war sie nach den verhüllenden dunklen Gewändern zu erkennen. Dabei wies sie auf einen mit Speisen besetzten kleinen Tisch, der während meines Schlafes hier aufgebaut worden. Ich erhob mich, um einige Worte des Dankes zu stammeln, aber ich glaubte, mit einer solchen Himmelsbraut eine ganz andere Sprache reden zu sollen, als ich es mit den Kindern dieser Welt gewohnt war, und ehe ich noch den rechten Ton gefunden, war sie schon durch die Klosterthür wieder verschwunden. Ich stand noch immer sprachlos, die Augen auf die sich schließende Pforte gerichtet, als mein Capitain auf mich zuschritt und, da er den gedeckten Tisch vor mir sah, ohne Weiteres Platz an demselben nahm, worauf er, ohne einen Zweifel darein zu setzen, daß auch ihm ein cameradschaftlicher Antheil an der Mahlzeit gebühre, sein Feldbesteck herausnahm und zulangte. Ich aber begriff, daß es für mich Zeit war, das Gleiche zu thun, wollte ich nicht die herrlichen Speisen ebenso schnell wieder verschwinden sehen, wie sie unerwartet gekommen waren.

„Da ist ja auch gar Wein,“ sagte der Capitain, indem er mit Wohlgefallen den Inhalt einer Flasche betrachtete, an die er soeben unter dem Tische zufällig mit dem Fuße gestoßen hatte. Er entkorkte dieselbe und füllte unsere Feldbecher: „Es lebe unsere unbekannte Frau Wirthin!“

„Oder Jungfer Wirthin,“ verbesserte ich. „Wie sie nur heißen mag?“

In diesem Augenblicke hörte ich hinter der Klosterthür eine Stimme rufen: „Charitas, Schwester Charitas!“ wie zur Antwort auf meine obige Frage.

„Also Schwester Charitas soll leben!“ rief ich, mit meinem Capitain anstoßend.

Wein und Speisen nahmen ein schnelles Ende. Unterdessen hatten die Burschen das Nachtlager für uns an der Klostermauer eingerichtet. Ich legte mich so, daß ich die Pforte im Auge behielt, denn ich hoffte noch immer, daß Schwester Charitas zurückkehren würde, und noch im Traum war es mir, als hörte ich das Pförtchen gehen. Als ich erwachte, war das Tischlein mit Allem, was darauf stand, verschwunden.

Trotz der Eile, mit der wir hierher gerufen worden waren, schienen doch alle unsere Instructionen weniger den Kriegsfall, als die Vermeidung desselben im Auge zu haben. Es war zwar gesagt, daß wir ein Vordringen der Oesterreicher und Baiern in das von unseren Vorposten besetzte Terrain nicht zu dulden hätten, aber es war uns daneben verboten, zu feuern. Nur wenn Oesterreicher und Baiern zuerst schießen sollten, durften wir das Feuer erwidern. So standen wir denn mit dem sogenannten „Feinde“ auf einem ganz leidlichen Fuße; ja, es bildete sich sogar eine Art von gemüthlichem Verkehr unter uns, welcher durch die täglich zweimal auf der Straße von Fulda nach Hanau unsere beiderseitigen Vorpostenlinien passirende Post vermittelt ward. Einmal schickten uns die Baiern einen mächtigen Pfefferkuchenmann zu, einen Preußen mit der Pickelhaube, wofür wir uns durch Sendung eines Fäßchens Bier revanchirten. Alle Morgen aber rückten die Baiern und Oesterreicher, welche unsere Instruction, nicht zu schießen, wohl kennen mochten, unter lustiger Musik bis dicht an unsere Vorpostenlinie heran. Wenn dann bei uns Alles alarmirt war und die Gefechtstellungen eingenommen hatte, kehrten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_032.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)