Seite:Die Gartenlaube (1880) 028.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Ophir, die älteste Mine am Comstockgang, gehört zu den sogenannten „Nordendern“, denjenigen Minen, die am nördlichen Ende desselben in Virginia City liegen. Die „Südenders“ liegen bei Gold Hill, der Schwesterstadt von Virginia City; zwischen beiden die „Wasserstocks“, das heißt diejenigen Minen, welche theilweise von Wasser erfüllt sind.

Wenn die Nordenders hoch stehen, fallen die Südenders in der Regel, und umgekehrt hat eine rege Nachfrage in Südenders meistens einen deprimirenden Einfluß auf die Nordenders, während die Wasserstocks quasi den Vermittler spielen. Die vorhin erwähnten Bodiestocks stehen mehr auf eigenen Füßen. Auf alle aber übt Ophir stets eine Art von sympathischem Einfluß aus. Ophir stand schon auf 300 und stand schon auf 8 – je nach Zeit und Umständen! – hält sich gegenwärtig aber auf der goldenen Mittelstraße, zwischen 25 und 50 Dollars per Share.

Kaum ist aus dem Munde des Präsidenten das Wort Ophir ertönt, so erhebt sich unter den ehrenwerthen Stockbrokers ein förmliches Gebrüll, ein Durcheinanderrasen, das jeder Beschreibung spottet. Die Tollheiten von vorhin, das Schreien, Grunzen, Schieben, Stoßen, Hin- und Herzerren etc. wiederholen sich in erhöhter Potenz. Einzelne Makler fahren auf einander los, als wollten sie sich zerreißen. Wenn Jemand ein Angebot macht, fallen die Andern über ihn her und zerren ihn hierhin und dorthin, schlagen ihn mit der flachen Hand vor die Brust und schreien ihm mit verzweifelter Miene wilde Worte zu, als ob es gelte, einem ewig Verdammten die arme Seele zu retten, während alle Augenblicke Dieser oder Jener mit hochgeschwungenem Notizbuch an das Pult springt und den Präsidenten anbrüllt, der, mit der Ruhe eines Bonaparte im Schlachtgetümmel, die Angebote weiter ausruft. Wie es möglich ist, daß eine Gesellschaft von sonst vernünftigen Menschen ein solches wahnwitziges Treiben jeden Tag viele Stunden lang mitmachen kann, ohne dabei wirklich verrückt zu werden, ist ein psychologisches Rätsel. Es erfordert aber auch Leute mit wahrhaft eisernen Nerven und einem intensiv schnell denkenden Verstande, um ein derartiges Amt auf die Dauer versehen zu können, ohne dabei körperlich und geistig zu Grunde zu gehen. Israeliten sind unter den Maklern stark vertreten und an ihren orientalischen Gesichtszügen leicht zu erkennen. Die Brokers der Bonanzaprinzen sind unter der wüsten Gesellschaft die Tonangeber. Der Nimbus ungezählter Millionen ist von den Herren auf die Diener übergegangen. Mit Kleinigkeiten geben sich diese nicht ab und kaufen und verkaufen stets en gros. Den Eingeweihten wird es bald klar, daß das Gerücht von einem großen Erzfunde in der Ophir-Mine diesmal aus der Luft gegriffen ist. Der Vertreter der Bonanzafirma offerirt sogar Ophir – in irgend welcher Quantität! – zu herabgesetztem Preis, was einen sehr deprimirenden Einfluß ausübt. Die anderen Brokers trauen dem Bonanzacollegen nicht und scheinen nicht recht zu wissen, ob er mit seinem Angebot den Markt hinauf- oder heruntertreiben will.

Mittlerweile fährt der Präsident fort, die Comstocks der Reihe nach mit einer fabelhaften Zungenfertigkeit zu rufen, und beim Namen jeder Mine wiederholt sich der vorhin geschilderte Bedlamlärm. Nach der Zahl der oft hereinstürzenden Maklerboten und Telegraphenjungen und dem infernalischen Lärm unter den Stockbrokers zu urtheilen, ist das Publicum außerhalb der Börse heute in bedeutender Aufregung. Dieses ist jedenfalls durch die Drucktelegraphen über den Stand der Börse besser unterrichtet, als wir, die absolut gar nicht daraus klug werden können, ob der Markt hinauf- oder heruntergeht. Doch ich will den Verlauf der „Sitzung“ nicht weiter verfolgen, die sich in ihren Grundzügen ziemlich gleich bleibt.

Die Zahl der Stockbrokers, welche in der San Francisco-Minenbörse einen Sitz haben und dadurch berechtigt sind, dort Geschäfte zu machen, ist auf Hundert beschränkt. Der Werth eines solchen Sitzes beträgt gegenwärtig 25,000 Dollars. Die großen Stockbroker-Firmen gebieten selbstverständlich über bedeutende Capitalien und verdienen bei lebhaftem Umsatz in Minenactien ein enormes Geld. Wenn eine Hochfluth im Markt ist (a booming market), so beläuft sich der Gesammtbetrag der Käufe und Verkäufe einer solchen Firma oft auf vier bis fünf Millionen Dollars in einem Monat. Außer diesem Hundert giebt es noch eine Menge von Maklern in San Francisco, welche in den kleineren Stockbörsen und „auf der Straße“ Geschäfte machen.

Für das Kaufen und Verkaufen von Stocks wird ein halb Procent vom realisirten Werthe berechnet. Viele Kunden lassen ihre Actien im Besitze der Makler, und da fast fortwährend und gleichzeitig Käufe und Verkäufe von denselben Stocks gemacht werden, so pflegen die größeren Maklerfirmen nach der Börsenzeit solche Actien diesem Kunden ab- und jenem zuzuschreiben – Jedem derselben aber die üblichen Procente zu berechnen. Nur solche Speculanten, welche für den ganzen Betrag der erworbenen Actien baar bezahlen, haben das Recht, dieselben in Besitz zu nehmen. Für Vorschuß berechnen die Brokers anderthalb Procent per Monat, und wird am Ersten jedes Monats das Conto neu vorgeschrieben und Zinseszins berechnet.

In neuerer Zeit hat sich auch in New-York eine Minenbörse etablirt und beginnen die Yankees dort bereits mit lobenswerthem Eifer in Stocks zu speculiren. Mehrere reiche und im Minenhandel wohl unterrichtete San Franciscoer sind in der menschenfreundlichen Absicht dorthin gegangen, um unsere biederen östlichen Freunde in die Geheimnisse der Stock-Manipulationen einzuweihen und ihnen mit gutem Rath an die Hand zu gehen. Wie es den Anschein hat, sind die New-Yorker recht gelehrige Schüler, obgleich ihr Institut noch in den Kinderschuhen steht. Schwerlich wird sich aber die Metropole des Ostens auf die Höhe der Situation stellen, und es hat vorläufig noch keine Noth damit, daß sie ihrem in Geldsachen unendlich nobleren jungen Rivalen am Stillen Meere den Namen des leichtsinnigsten Spielers in der Welt rauben könnte.




Aus der Schülerzeit.

Diese stammelnden Gedanken,
     Diese weichen Reimerei’n
Sind ein Widerschein von schwanken,
     Schönen Jugendträumerei’n.

Lächelnd ob des Herzens Pochen
     Und doch wieder schmerzbewegt,
Hab’ das Siegel ich gebrochen,
     Das ich einst um sie gelegt.

Ach! wohl ahnt’ ich, was sie bieten –
     Ein verlor’nes Maienglück!
Längst verwehte Herzensblüthen
     Ruft mir jedes Blatt zurück.

Aber sieh’! nun aus den Zeichen,
     Den vergilbten, neigt sich mild,
Liebvertraut, mit holden, weichen
     Zügen mir ein Mädchenbild.

Und wie’s einst den wilden Knaben
     Süß berauscht in Freud’ und Schmerz,
Also taucht’s nun auf, zu laben
     Das geprüfte Mannesherz.

Weil mich, ach! von dir vertrieben,
     Wilde Gluth und Reue traf,
Hielt ich todt dies reine Lieben,
     Doch es lag im Zauberschlaf.

Und nun schlägt es auf die Lider,
     Und sein holdverschämter Blick
Bringt mir Sehnsuchtsbangem wieder
     Jene Wunderzeit zurück …

Wie durch eines Gartens Wildniß
     Herrlich glänzt ein Marmorbild,
Also glänzt dein liebes Bildniß
     Durch die Reime kraus und wild.

Ei, wie lacht das rothe Mündchen!
     Ei, wie blitzt der Augen Strahl!
Sei gegrüßt, mein süßes Kindchen,
     Sei gegrüßt viel tausendmal!

Dein gedenk’ ich im Gewühle
     Dieser wirren Lebenshast,
Wie der Pilger in der Schwüle

     Denkt der kühlen Morgenrast.
Karl Emil Franzos.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_028.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)