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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


fuhr der unerbittliche Bauer fort. „Wißt Ihr noch? Es war selbiges Mal, wie meine Schwester, weil sie kränklich geworden, in die Stadt gezogen ist, um näher beim Doctor zu sein. Und wie sie bald darauf gestorben ist und der Vetter ihr das schöne Testament eingered't hat.“

„Eingered't?“ sagte der Krämer hastig. „Wie mag der Herr Vetter nur so was sagen! Es war ihr freier Wille. Ich war zu jener Zeit noch Oberschreiber am Landgericht und hab' ihr halt geholfen beim Testamentmachen, weil sie sich dabei nicht ausgekannt hat.“

„Eine saubere Helferei, bei der ich als leiblicher Bruder leer ausgegangen bin,“ sagte der Bauer, „während der Herr Oberschreiber als weitschichtiger Vetter das ganze Vermögen eingesteckt hat. Ist denn der Herr noch beim Gericht?“

„Schon lang nimmer!“

„Aha, ist er davon geschickt worden?“

„Warum nit gar! Ich bin selber gegangen; ich hab' die Schreiberei satt gehabt und hab' mir eine Krämerei gekauft und bin jetzt Handelsmann. Ich hab' den großen Laden auf dem Hauptplatz, und die Firma 'Rab und Geier' steht mit goldenen Buchstaben über der Hausthür.“

„Freut mich, freut mich,“ höhnte der Alte, „wenn die Erbschaft so gut angeschlagen und zum Vergolden ausgereicht hat.“

Er wollte sich erheben, aber der Krämer hielt ihn fest.

„Bleibt, Vetter,“ sagte er, „und laßt mit Euch reden! Ein Jeder ist sich halt selbst der Nächste. Das müßt Ihr bedenken und endlich einmal die alte Geschichte gut sein lassen, daß Gras darüber wachsen kann. Ich will's ja auch gut machen und will's nur gerad' heraus sagen: das ist die Ursach', wegen was ich her'kommen bin.“

„So? Da bin ich wirklich neugierig,“ sagte der Kogelhofer; der Krämer aber, etwas näher rückend, fuhr fort:

„Wir sind alle zwei schon in den Jahren, wo man daran denkt, Ordnung zu machen. Ich möchte je eher je lieber meinem Buben die Handlung übergeben; dann hab' ich nur noch meine Tochter. Ihr habt auch nur den einzigen Buben: wie wär's, wenn wir ein Paarl draus machten?“

„Ein Paarl? Aus meinem Sohn und Eurer –“

Er vollendete nicht und brach in ein prustendes Gelächter aus, wobei er mit der Faust auf den Tisch schlug, daß die Gläser und Flaschen tanzten.

„Nun, was ist dabei so zu lachen?“ fuhr ärgerlich der Krämer auf. „Ich rede in vollstem Ernst und sehe nicht ein, was da zum Lachen wäre.“

Noch immer lachend fuhr der Bauer fort:

„Recht habt Ihr, Vetter. Es wär' auch eigentlich mehr zum Weinen! Damit ist es aber nix.“

„So? und warum denn?“

„Warum? – Erstens, weil keine Stadtjungfer auf meinen Bauernhof taugt, und zweitens, weil, wenn ich doch um eine Schwiegertochter umschau, ich mir jedenfalls eine aussuch', die ihre g'raden Glieder und keinen Buckel hat.“

Der Krämer war hastig empor geschnellt und bäumte sich wie eine Natter, die sich, nach dem Volksglauben, zu Sprung und Biß bereit macht; der kärgliche Athem flog und das fest auf den Bauer gerichtete Auge funkelte giftig.

„So,“ stammelte er, „ist das eine Antwort auf einen solchen Vorschlag? Recht so! Das ist so eine rechte, übermüthige Bauernantwort. Aber das Gescheidteste wird sein, ich nehm' die Antwort noch nicht an. Ich bleib' doch heut' da, und morgen, und wenn wir darüber geschlafen haben, will ich Euch noch einmal fragen. Vielleicht überlegt Ihr's Euch, denn ich sag' Euch nur Eines im Voraus, Vetter: überlegt's Euch ja gut! Es könnte Euch leicht reuen.“

Er rannte fort; von dem boshaften Blicke mehr als von der Drohung betroffen, sah ihm der Kogelhofer nach.

„Wie wär' das?“ murmelte er in sich hinein. „Der schlechte Kerl droht mir? Mit was wohl? Was giebt's, womit man dem Kogelhofer drohen kann –?“

Er sprach nicht zu Ende; plötzlich schien ein Gedanke in ihm aufzublitzen, der ihn zucken machte, als wäre er wirklich vom Blitze getroffen. Er fuhr nachsinnend mit der Hand über den Kopf und dann trat er entschlossen zur Seitenthür der Scheune, von wo sich nahende Stimmen und Tritte hören ließen.

Der König hatte seine Ruhe bereits beendet und rüstete sich zur Abfahrt.

„Habt Ihr schon ausgeruht?“ fragte der Bauer, ihm entgegentretend. „Das habt Ihr aber kurz gemacht. Aber seid nicht harb, Majestät, wenn ich Euch noch aufhalt'! Ihr habt vorhin gesagt, daß ich mir eine Gnade ausbitten dürft'. Jetzt hab' ich mich besonnen; jetzt ist mir was eingefallen, um was ich Euch bitten soll. Aber ich kann's nur Euch allein sagen und kein anderer Mensch darf zuhören.“

Der gütige König war bereit; beide traten seitwärts in den Grund der Scheune.

Ernsten Angesichts vernahm der Fürst das Gesuch des Bauers. Es mußte kein geringes Anliegen sein, denn dem Mann schien es nicht leicht zu werden, die Sache vorzubringen: er mußte mehrmals absetzen, schwer aufathmen und hatte sichtliche Mühe, sich aufrecht zu erhalten. Endlich war das Gespräch, von Allen unter Staunen beobachtet, aber von Niemand verstanden, zu Ende. Der König zog seine Brieftasche hervor, in welcher er einige Worte verzeichnete, dann reichte er dem Bittsteller, zum Zeichen der Gewährung, die Hand, die dieser, ohne sich abhalten zu lassen, dankbar an die Lippen drückte.

„Ihr müßt mir das nicht wehren!“ rief er. „Das ist noch die größte Gnad', daß ich die Hand von einem so guten König busseln kann.“

Der Wagen fuhr vor.

Auf der Tenne hatten sich noch einmal alle Angehörigen des Hauses zusammen gefunden. Neben dem Vater stand Lenz; auch der Krämer mit Philomena fehlte nicht. Mit spöttisch-lachendem Gesicht schlich der rußige Pechler herein und führte Nannei an der Hand. ... Es war der Augenblick, in welchem der Blumenstrauß überreicht werden sollte.

Philomena und ihr Vater mühten sich ab, denselben zu entdecken. Es war vergebens. Der Krug war und blieb leer. Offenbar mußte Jemand den Strauß entwendet haben.

„Aber wo ist denn der Buschen?“ flüsterte es durch einander. Auch Nannei stand betroffen. Sie hatte von dem ganzen Vorfall und dem Streite wegen des Blumenstraußes weder erfahren, noch ahnte sie etwas davon – über und über in der Küche beschäftigt, hatte sie sich nicht eher loszumachen vermocht, als bis der Pechler ihr winkte, und sie also den Augenblick für gekommen hielt, in welchem ihr als Köchin wie als Kranzbinderin die gebührende Anerkennung zu Theil werden sollte. Ehe sie ihre Verwunderung über das Fehlen des Straußes auszusprechen vermochte, fühlte sie sich von dem Alten rückwärts gefaßt und durch eine Lücke vorwärts geschoben – dabei drückte er ihr zugleich von hinten den vermißten Buschen in die Hand.

Während der Kogelbauer und der Krämer am untern Ende der Tafel mit einander stritten, war er in die Tenne geschlichen und hatte den Gegenstand des Zwistes, der am obern Ende vor dem Gedecke des Königs gestanden, verschwinden lassen.

„Geh voran, Nannei!“ flüsterte er ihr zu, „wie der König die Brucken hinunter gehn will, ist's just die rechte Zeit.“

So schlau seine Berechnung gewesen, sie war doch ohne den Wirth gemacht. Im nämlichen Augenblicke, als Nannei vortrat, langte eine fremde Hand von der Seite herüber und entriß ihr den Busch.

Es war Lenz.

„Du wirst den Buschen nit übergeben, hochgeistige G'sellin,“ rief er mit spöttischem Lachen und einem Blick, in welchem der ganze Groll über die heutige Zurückweisung loderte. „Ein lediges Kind, das nit einmal einen Vater hat, gehört nit zu so was – das wär' eine Schand' für den ganzen Kogelhof!“

Der Vorfall kam so plötzlich und ging so rasch vorüber, daß kaum die ganz zunächst Stehenden etwas davon gewahr wurden. Philomena, der Lenz den Strauß gleichzeitig in die Hand gegeben, war besonnen genug, den Augenblick zu benützen: schon im nächsten Moment stand sie mit tiefem Knixen vor dem freundlich lächelnden König, der den Busch dankend, aber ohne weitere Frage annahm und die Scheunenbrücke hinunter schritt.

Der Pechler stand unbeweglich und starrte wie blitzgetroffen vor sich hin – Nannei war, wie von einem plötzlichen Schlage seitwärts geschleudert, an die Wand getaumelt.

Sie war außer Stande, einen klaren Gedanken zu fassen.

Nicht daß ihr Lenz den Strauß entrissen, nicht daß sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_024.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)