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verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

ein recht tüchtiges Leut geworden sein; hab's schon gehört. Aber was soll mit dem Busch'n geschehen? Ist er blos für die Tafel oder soll sonst noch was passiren damit?“

„Das versteht sich,“ entgegnete Lenz. „Das ist ja die Hauptsach'. Wenn die Tafel aus ist und der König in den Wagen steigt, wird ihm der Strauß überreicht. Den muß er als Andenken mitnehmen.“

„Das ist gescheidt; das gefällt mir,“ bemerkte der Vorstand vergnügt. „Und wer ist's nachher, der ihn dem König überreicht?“

„Nun, das versteht sich wohl von selbst,“ sagte der Pechler, der aufmerksam geworden und näher getreten war. „Wer soll ihn sonst überreichen, als wer ihn gebunden hat, die Nannei?“

Ein augenblickliches Schweigen folgte der Entscheidung des Pechler – ein doppelsinniges Schweigen, welches zum Theil die Berechtigung derselben anerkannte, zum Theil als der Vorbote kommenden Widerspruches gedeutet werden konnte. Es war die Stille vor dem Gewitter. Der Vorstand stellte das erste Donnerrollen vor.

„Die Nannei?“ sagte er. „O nein, das geht ja doch nicht an; das kann nit sein.“

„Warum?“ grollte der Pechler entgegen. „Es muß doch wer aus dem Haus' sein – und da keine Bäuerin da ist –“

„Aber eine Magd, eine ganz gemeine Dirn'!“ meinte die Vorsteherin.

„Gemein?“ rief der Pechler. „Das ist sie nicht; sie ist ein fleißiger Dienstbot – ein rechtschaffenes und braves Leut.“

„Ich nehm' ihr nichts von ihrer Bravheit,“ erwiderte die hartnäckige Bäuerin, „aber es geht halt doch nicht.“

„Warum?“ rief der Pechler wieder und lauter als zuvor und streifte die Aermel seines Kittels empor, wie er es an seinem Schweel-Ofen zu thun pflegte, wenn es ein heißes Stück Arbeit gab. „Wer dem König den[WS 1] Busch'n giebt, muß doch auch etwas Sauberes sein; sonst erschrickt der König, wenn er den Strauß in die Hand nehmen muß – und ist die Nannei nicht das schönste Dirn'l in der ganzen G'meind'?“

„Kann sein, daß sie Dir so vorkommt, Pechler Kaspar,“ sagte eine junge Bäuerin, die sich neben dem Vorstand aufgepflanzt hatte und offenbar gesonnen war, der Frau desselben beizustehen. „Du hast sie aufgezogen von Kind auf; drum bist in sie verschamerirt. Sie ist auch aus keinem besseren Tegel gedreht als die Andern.“

„Aus keinem besseren?“ rief die Frau des Vorstandes, die schon anfing, heftig zu werden. „Ich mein', sie kann sich gar nicht zu den Andern hinstellen.“

„So!“ sagte der Pechler und stand bereits unmittelbar vor ihr, sodaß der Vorstand für nöthig fand, sich für alle Fälle mit seinem Ansehen und seiner Münze dazwischen zu schieben. „Warum soll die Nannei nicht so gut sein wie die Andern? 'Raus mit der Farb'!“ fragte er kampfbereit.

„Nun, wenn ich's sagen muß, so sag' ich's halt!“ fuhr die Frau fort. „Was soll man denn sagen, wenn der König den Busch'n nimmt und sich bedankt und fragt, wer denn das Wunderkind ist und wie's heißt? Soll man sagen, daß sie keinen Vater und keine Mutter hat? Daß sie gar nicht 'reingehört in die G'meind'? Daß sie nichts ist als – ein lediges Kind?“

Diesen Vorwurf schien der Alte nicht erwartet zu haben. Er war sichtbar eingeschüchtert und mußte eines Athemzuges Dauer sich besinnen, ehe er antworten konnte.

„Ein lediges Kind –“ sagte er kleinlaut, „das ist sie wohl. Aber das ist ja nit ihre Schuld. Das ist doch keine Schand' für sie.“

Die Anwesenden geriethen in unverkennbare unwillkürliche Bewegung. Die Rede des Alten war so ganz und schnurgerade gegen die öffentliche Meinung und das allgemeine Gefühl, daß sie lebhafte Entrüstung hervorrief.

„So, das wär' etwas Neues,“ gingen die Stimmen durch einander. „Das giebt's nicht bei uns; das lassen wir nicht aufkommen in der G'meind', daß solche ledige Kinder den unseren gleich wären. Freilich kann sie nichts dafür, sondern nur ihre Mutter, aber wir können auch nichts dafür, und das soll sie halt mit ihrer Mutter abmachen, wenn sie einmal mit ihr zusamm'kommt in der Ewigkeit.“

„Still da, Alle mit einander!“ überschrie der Vorstand den Lärm. „Fahr ab, Pechler Kaspar! Die Leut' haben Recht. Wenn der Kogelbauer da wär', müßt' er entscheiden – weil er aber nicht da ist, red' ich als Vorstand statt seiner. Es geht nicht. Von einem ledigen Kind kann der König den Buschen nicht annehmen. Es wär' eine Schand' für den Kogelhof und die ganze Gemeind'. Was müßt' der König von uns denken? Der braucht's gar nicht zu erfahren, daß es solche Kinder bei uns giebt. Also muß schon wer anderer den Buschen überreichen.“

Der Krämer hatte schon einige Male den Mund geöffnet, auch seine Meinung auszusprechen, hatte aber nie vermocht, mit seiner Fettstimme die anderen rauhen Kehlen zu übertönen. Jetzt gelang es ihm, eine winzige Lücke zu erhaschen und sich vernehmlich zu machen.

„Da wär' leicht abzuhelfen,“ sagte er, „da braucht's keinen Disputat. Es ist nur ein wahres Glück, daß es mir eingefallen ist, mit meiner Philomena herzureisen. Die ist aus der nächsten Freundschaft; meine Tochter soll den Busch'n übergeben.“

Der Ausweg fand wie ein salomonisches Urtheil den allgemeinsten Beifall.

„Ja, ja, so ist's recht,“ hieß es hin und wieder. „Auf die Art giebt's keinen Streit und keinen Verdruß; die alten Bräuch' bleiben in Ehren, und wir haben nicht Noth, so neumodische Sachen aufkommen zu lassen.“

Der Pechler sah wohl, daß dieser Einmüthigkeit gegenüber mit Worten nichts auszurichten war. Auch wäre nicht mehr Zeit dazu gewesen; denn von draußen ertönte Jauchzen und Jodeln durch einander, und einzelne Schüsse verkündeten, daß der erwartete und vermißte Fürst gefunden war und wohlbehalten sich dem Hause näherte.

Alles stürmte hinaus, ihn zu sehen, zu empfangen und seiner sich zu freuen. Der Pechler mit Lenz waren die letzten, die zurückgeblieben; er trat zu dem Burschen, sah ihn mit eigenthümlichen Blicken von unten bis oben an und fragte:

„Nun, was sagst denn Du zu der Geschichte?“

Lenz gab keine Antwort und verließ achselzuckend die Tenne.

„No,“ rief ihm der Andere halblaut nach, „hätt'st auch Deinen Zorn vergessen und ein Wörtel für's Nannei reden können – aber Dir und Allen ist's auch nicht geschenkt; das ledige Kind will ich Euch in ein Wachsel drucken. Ihr glaubt wohl, die Geschicht' wär' schon aus? Nichts da – der Pechler Kasparl schiebt Euch doch noch einen Riegel vor. – Ha, ha, ha!“ rief er, indem er laut lachend sich auf die Kniee schlug, „der König würd' eine Freud' haben, wenn ihm der Buckolorum den Buschen überreichen thät'.“

Die Ankunft des Königs war Ursache, daß Niemand auf seine Rede achtete und er unbemerkt sich ebenfalls unter die rufende und den Hut schwenkende Menge mischen konnte, durch welche der König in gewohnter Leutseligkeit und mit wohlwollendem Lächeln heran kam, nach allen Seiten seinen Dank durch freundliches Kopfnicken aussprechend. Der hohe Herr hatte Mühe, durch das Gedränge zu kommen, und die Diener waren vollauf beschäftigt, ihm Bahn zu machen und die Leute durch die Erzählung zum Zurückweichen zu veranlassen, daß die Majestät durch die Jagd und ein ihr auf derselben zugestoßenes Abenteuer etwas angegriffen und ermüdet sei. Die meisten folgten dem Zureden; dafür wurde der Kogelbauer desto eifriger in die Mitte genommen und mußte erzählen, was dem Könige zugestoßen, was denn eigentlich geschehen sei.

Nur die dicke Firma Rab und Geier ließ sich ebenso wenig bescheiden, wie der Freiherr von Steinerling zu beschwichtigen war. Der Krämer ruhte nicht, bis der König seine unzähligen Bücklinge mit einem besondern Gruße erwidert, ihn nach Namen und Wohnort gefragt und sich daran erinnert hatte, bei der Durchfahrt durch den letztern das Firmenschild über der Hausthür bemerkt zu haben, was den Eigenthümer über alle Maßen glücklich machte.

Der Freiherr war damit nicht zufrieden und schickte sich auf die Frage des Fürsten an, seinen ganzen Stammbaum zu entwickeln. Er habe es für seine Unterthanenpflicht gehalten, sagte er, als adeliger Besitzer aus der Umgegend seinem allergnädigsten Landesherrn auf der Durchreise aufzuwarten, und bedaure nur, ihm nicht auch seine Gemahlin aufführen zu können, die durch ein geschwollenes Bein am Ausgehen verhindert sei. Mit vergnügtem Lächeln hörte der König den Bericht und bedauerte lebhaft, die Gemahlin nicht kennen zu lernen. Er hoffe aber, setzte er hinzu,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: dem
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verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1880, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_022.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)