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verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


und er bewies dies mit einer seiner gelungensten Schöpfungen „Die ereilten Flüchtlinge“, ein Bild, welches in der Gallerie des k. k. Belvedere Aufnahme fand und durch Sonnenleitner’s Stich in weitesten Kreisen bekannt geworden ist. Der Name E. Kurzbauer’s hatte guten Klang gewonnen, und die Freude am Erfolge machte den Künstler fruchtbar. Eine Reihe Bilder („Der abgewiesene Freier“, „Grundlose Eifersucht“, „Der stürmische Verlobungstag“, „Die Wahlbesprechung“, „Die Weinprobe“, „Die Kartenschlägerin“ etc.) fanden auf den Ausstellungen Beifall und Absatz. Auch sein häusliches Glück wuchs; ein Kinderpärchen schmückte sein bescheidenes Heim. Da kam, 1877, die Krankheit; die schwere Operation in Aussicht, malte er das Bild, das wir heute unseren Lesern vorführen. Ob er damals schon im Geiste seine Gattin als Wittwe vor sich sah? Es gehörte das ganze Gefühl des tiefsten Trennungsschmerzes dazu, um ihn so ergreifend dem Antlitz der Trauernden eingraben zu können. Als Kurzbauer’s letztes großes Werk ist es deshalb vor Allem geeignet, uns die volle Schwere unseres Verlustes würdigen zu lassen. Die unsäglichen Schmerzen vor und nach der Operation hätten jedem Anderen den Pinsel aus der Hand gerissen: Kurzbauer hielt ihn fest; die Sorge um seine Lieben half ihm den körperlichen Schmerz überwinden, um noch das Mögliche für ihre Zukunft schaffen und vollenden zu können. Die Zeichnungen zu Gottfried Keller’s „Romeo und Julie“ entstanden in dieser Zeit, und im Sommer 1878, den er am Starnberger See zubrachte, vollendete er noch mit dem Oelgemälde „Eine Bauerndeputation“ seine letzte Arbeit. Ein klarer Blick für das Charakteristische an Menschen und Situationen, tiefes Verständniß des künstlerisch Verwerthbaren, gesättigte und klare Farbengebung – das sind die Vorzüge, welche der Künstler Kurzbauer für die Offenbarungen seines feinen und bedeutenden Geistes wie seines warmen, liebenswürdig empfindenden Gemüthes zur Verfügung hatte.




Amerikanischer Arbeiterverein für deutsche Einwanderer. Den deutschen auswandernden Arbeiter, der im Gefühl seiner Kraft und Willensstärke das alte Vaterland verläßt, beschleicht ein eigenthümliches Gefühl, wenn er als Einwanderer in Castle Garden, New-York, den amerikanischen Boden betritt, und unwillkürlich drängt sich ihm die Frage auf: wie wird es Dir hier ergehen? Wie und wo wirst Du hier Arbeit erhalten – und welche?

Nach den ersten üblichen drei Tagen, die jedem Einwanderer erlaubt sind, in Castle Garden zu bleiben, fällt er, wenn nicht irgend Jemand aus Zufall sich seiner angenommen, einem Agenten der vielen Gasthäuser der Greenwichstraße, in denen nur Einwanderer verkehren, in die Hände, und er verläßt diese Straße selten früher, als bis sein letzter Pfennig ausgegeben und sein vorletzter Rock verkauft worden ist; denn jedem Versuche, sich selbst Arbeit zu verschaffen, werden bis zu diesem Zeitpunkte in der raffinirtesten Weise allerlei Hindernisse in den Weg gelegt. Häufig ist er inzwischen an einem jener Kellerbureaux vorbeigegangen, deren Schild dem Arbeitsuchenden Arbeit verspricht, hat aber den Entschluß zu einem Besuche jedesmal instinctmäßig aufgegeben. Flößte schon die Physiognomie der Besitzer ihm wenig Vertrauen ein, so that es noch viel weniger das Aeußere jener Personen, die sich hier, dem Anscheine nach in gleicher Lage wie er, häuslich niedergelassen hatten. Täglich steigt nun die Noth unseres Landsmannes; die deutsche Gesellschaft hat sich seiner durch ein kleines Geschenk entledigt, der Gastwirth ihm sein Logis gekündigt; da drückt ihm der Besitzer einer jener Bureaux seine Karte mit der Versicherung seiner Hülfe in die Hand; er liest dieselbe und schwankt, doch der Abend findet ihn obdachlos – rasch entschlossen greift er nach dem sprüchwörtlichen Strohhalm des Ertrinkenden und will einen Versuch wagen.

Die ihm gegebene Karte lautet im Original:

American
Industrial Association,
Established for the purpose of
Obtaining Employment for Emigrants, Strangers and others.
Greenwich Street,
New-York.
Amerikanischer Arbeiterverein für deutsche Einwanderer.
John Barabas, Präsident.

Diese Gesellschaft besteht gewöhnlich aus drei Personen, dem Präsidenten, der unserm Freunde Müller, wenn wir ihn so nennen wollen, die Karte gab, und seinen beiden Helfershelfern, deren Einer das äußere Geschäft zu besorgen, während der Andere hauptsächlich die unter seiner Obhut sich befindenden Arbeitsaspiranten zu beaufsichtigen hat.

Da diese Arbeitsbureaux, wenn auch nicht in denselben Händen, doch an demselben Platze seit sehr langer Zeit bestehen, so haben sie sich unter einer gewissen Classe von Arbeitersuchenden – dazu gehören hauptsächlich die Aufseher der Eisenbahnarbeiter, der öffentlichen Bauten, Agenten von Schiffen und alle solche Leute, die sich schämen, ihren Arbeitern öffentlich einen kleinen Lohn zu geben, sich aber nicht schämen, heimlich sie um einige Dollars dieses Lohnes zu betrügen – eine ausgebreitete Kundschaft erworben. Hat unser Freund Müller seither von seinem aus Deutschland mitgebrachten Gelde oder dem Verkauf von Kleidern gelebt, so lebt er jetzt, wenn auch sehr ärmlich, von dem Verdienste, der ihm von John Barabas, Präsident, vorläufig nur in Aussicht gestellt ist. Hier wird er von Stunde zu Stunde auf den Mann vertröstet, der ihm als Retter in der Noth erscheinen soll; endlich kommt derselbe wirklich, mit ihm aber auch die Rechnung des Herrn Barabas. Und diese Rechnung ist wahrhaftig nicht billig: da sind, von den stattlichen Kosten der Verpflegung abgesehen, zwei Dollars Einschreibegebühren zu bezahlen, da hat Herr Barabas Auslagen neben der vielen Mühe gehabt, um ihm den Platz zu besorgen; da ist ein unbekannter Freund zu bezahlen, durch dessen Einfluß es gelang, die Arbeit zu erhalten, und dann soll der arme Teufel auch noch für Alles Gute, was er erhalten, generös sein und etwas zum Besten geben, alles Dies macht beinahe den Lohn des ersten Monats aus. Was ist zu machen? Unser Müller giebt schriftlich die Erlaubniß, diese Schuld von seinem Monatslohne abziehen zu lassen, sich tröstend, daß es ja nur für einen Monat ist, und daß er mit dem zweiten Monat zu sparen anfangen könne. Doch wie bitter wird er enttäuscht – sein neuer Herr giebt ihm noch vor der Zeit den Laufpaß! Und warum? Nun: um statt seiner zu Nutz und Frommen von Barabas und Compagnie einen neuen Gimpel für einen Monat anstellen zu können. Denn mit allen diesen Ehrenmännern, die sich ihre Arbeiter von Herrn Barabas holen, hat derselbe einen Contract geschlossen, wonach der Raub christlich getheilt wird.

Da die Empfehlung, durch ein solches Bureau Arbeit erhalten zu haben, ebenso wie die seiner Arbeitgeber, eine mindestens zweifelhafte ist, so wird es unserm Freunde Müller jetzt noch schwerer, Arbeit zu erhalten. Er wendet sich in seiner Noth zum zweiten Male an das Bureau. Jetzt ist er hier kein Fremdling mehr; als Camerad wird er von der dort versammelten Gesellschaft begrüßt; Herr Barabas ist schon weniger difficil im Geben eines kleinen Credits und verschafft ihm auch schneller Arbeit, da er ihn als einen seiner regelmäßigen Kunden zu betrachten anfängt, an dem er, je öfter er seine Plätze wechselt, desto mehr verdient, und bald arbeitet Müller nur noch für Barabas und dessen Freunde. Sein Ende ist vorauszusagen; es ist das Ende eines „Trunkenboldes, der in seinen Stiefeln starb“.

Herr Barabas weiß auch die Reclame trefflich zu benutzen; wie er zuweilen Hunderte von Arbeitern sucht, so empfiehlt er stets die „geschicktesten“ und „zuverlässigsten“ Arbeiter aller Branchen. Neben diesen Anzeigen findet sich zuweilen auch noch folgende: „Personen, die nach Europa oder anderen Welttheilen reisen wollen, finden freie Ueberfahrt durch J. Barabas.“

Der Andrang dazu ist natürlich ein großer. Nachdem die Aspiranten in Gasthäusern untergebracht worden, mit denen Barabas in Verbindung steht, das heißt den Gewinn theilt, werden auch diese Leute von Tag zu Tag hingehalten, indem das betreffende Schiff mit seiner Ladung noch nicht ganz fertig sei, jedoch täglich in See stechen könne. Endlich ist der ersehnte Augenblick gekommen, das Schiff bereit; er selbst bringt jetzt seine Pflegebefohlenen an Bord, theilt ihnen mit, daß für die ihnen versprochene freie Ueberfahrt sie natürlich irgend eine leichte Arbeit zu besorgen hätten: auf den Viehtransportschiffen zum Beispiel das Füttern des Viehes, und in seiner Gutherzigkeit schenkt er Jedem noch einige Dollars, damit der Unwille über die Täuschung nicht zu groß sei. Was Herr Barabas dabei verdient, läßt sich leicht berechnen. Die Rhederei hat als Lohn für diese Arbeit vielleicht fünfzehn Dollars ausgesetzt; Herr Barabas offerirt nun den Agenten, ihm die Leute für zehn Dollars zu stellen, wenn ihm dieselben pränumerando bezahlt würden. Der Agent verdient dabei fünf Dollars pro Mann, und unser Präsident nach Abzug des oben erwähnten Geschenkes etwa sieben Dollars pro Mann, und da er nachweislich in einer Woche zuweilen mehr als dreißig Personen auf diese Weise nach Europa expedirte, so sicherte ihm dies die hübsche Einnahme von einigen hundert Dollars. Herr Barabas und seine Collegen hüten sich streng, etwas zu thun, was sie mit den Gesetzen in Conflict bringen könnte, und wohl wissend, daß Einigkeit stark macht, halten sie wie die Kletten zusammen. Mögen alle in Castle Garden landenden Arbeiter gemahnt sein, die Greenwichstraße mit ihren Gasthäusern und Arbeitsbureaux so weit wie möglich links liegen zu lassen!




In Deutschland verloren. 1) Der sechszehnjährige einzige Sohn eines Berliner Fabrikarbeiters, Oskar Adolf Heermann, 1. November 1860 zu Koblyn (Posen) geboren, machte 1876 als Schiffskellner eine Fahrt von Hamburg nach Philadelphia, von welcher er im November nach Hamburg zurückkehrte. Seitdem ist er für seine armen trostlosen Eltern verschollen. Den Vermißten macht eine tiefe Narbe über den Augen und ein nervöses Zucken des Gesichts besonders kenntlich.

2) Am 9. October 1875 reiste der 28 Jahre alte Sohn des Schmiedemeisters Koch in Wittenberg, Hülfsprediger Fritz Koch von Parchim, mit 600 Mark in der Tasche ab, soll am 10. in Berlin gesehen worden sein und ist seitdem spurlos verschwunden. Ihn kennzeichnet eine Narbe am Munde.

Da in beiden Fällen trotz aller Bemühungen nicht die geringste Kunde erlangt werden konnte, so bitten wir um so dringender, jede Notiz darüber uns wissen zu lassen, als hier die Möglichkeit begangener Verbrechen nahe liegt.



Kleiner Briefkasten.


C. K–ft in Constantinopel. Das Tragen von Brillen ist, wenn es unter der Controlle eines tüchtigen Arztes geschieht, durchaus ohne Gefahr für die Augen. Die Frage, ob „gewöhnliche“ oder Krystallgläser? wird Ihnen ein dortiger Optiker besser als wir beantworten können.

H. A. in W. Allerdings ist Ihre Anonymität der Grund unseres Schweigens. Wir verlangen von unseren Correspondenten offenes Visir und ziehen briefliche Beantwortung stets derjenigen an dieser Stelle vor.

Abonnent in Dorpat. Ein Specialwerk über die Leipziger studentischen Verhältnisse kennen wir nicht.

H. D. in Friedrichsfelde und viele Andere. Wir möchten nicht wieder eingehender auf die Frage zurückkommen und nehmen nur summarisch von der Thatsache Act, daß verschiedentlich auch in der jüngsten Zugzeit der Wandervögel wieder aus Storch- und Kranichzügen heraus das Gezwitscher von bekannten Singvögeln gehört worden ist. Besten Dank für die Benachrichtigungen!

Kablr. in Wien. Die Novelle „Die weiße (nicht „schwarze“) Perle[WS 1] von Levin Schücking finden Sie in Jahrgang 1864, Nr. 29 bis 32.

H. P. B. Lesen Sie die betreffenden Mittheilungen im Bremer „Handelsblatt“ oder in großen Hamburger Zeitungen nach!



  1. Der korrekte Titel lautet: Die schwarz-weiße Perle

Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1880, Seite 020. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_020.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)