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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Burschen näher gekommen; beide standen sich gegenüber, fest einander anblickend: es war, als wollte jedes im Bewußtsein eigener Kraft die des anderen messen.

„Eigentlich ist das ein dummes Gerede,“ begann Nannei wieder, „aber ich mein', was vom König und von der Königin gilt, das gilt auch von Bauer und Bäuerin, und wenn ich auch nichts bin, als eine Bauerdirn, so mein' ich, es müßt' doch alles nach meinem Kopf gehen, wenn ich's haben wollt'.“

„Da möcht' ich schon zuschauen,“ rief Lenz und lachte wieder, noch spöttischer und ungläubiger als zuvor. „Ich bin nit Dein Bauer und Du nit meine Bäuerin, aber das möcht' ich erleben, ob ich thun müßt', was Du haben wollt'st. Im Gegentheil: Du mußt thun, was ich will, wenn ich's verlang'.“

„Freilich wohl,“ entgegnete sie stark und nicht ohne Hohn, „Du bist ja der Sohn vom Haus', der künftige Kogelbauer, und ich bin nur eine Magd.“

„So ist es nicht gemeint,“ rief Lenz; „es ist von einer ganz anderen Sach' die Red'.“

„So, von was denn sonst?“ erwiderte Nannei, indem sie ihn fast wie überrascht und unsicher ansah.

„Von dem, daß Du ein junges, schneidiges Dirn'l bist und ich ein junger, lebensfrischer Bub' ...“

„Wart' nur, wenn Du jetzt Soldat wirst, weil Du Dich hineingespielt hast, werden sie Dir die Frische schon ein bissel austreiben.“

„Wenn ich ein Narr wär'! Der Kogelhofer wird sich nit spotten lassen und für seinen einzigen Buben schon einen Mann stellen. Aber bei Dir, Nannei, da möcht' ich selber meinen Mann stellen und sehen, ob Du wirklich soviel Schneid' hast, als Du Dich anstellst. Komm einmal her und gieb mir ein Buss'l!“

Das Mädchen richtete sich auf, so hoch sie sich strecken konnte, und aus dem Auge traf ihn ein Blick, den man seiner sanften Bläue so wenig zugetraut hätte, wie dem heiteren Himmel einen plötzlichen Blitz.

„Sonst hast keine Schmerzen?“ fragte sie, indem das leise Beben ihrer Stimme ihre Erregung verrieth. „Die Buss'ln sind heuer nit geraten; mußt schon warten auf einen bessern Jahrgang.“

„Willst mir also keins geben?“ erwiderte Lenz. „Wenn ich mir's aber nehm'?“ fuhr er fort, indem er die Arme ausbreitete und Miene machte, auf sie loszugehen.

Sie aber stellte rasch den einen Fuß hinter den anderen, wie um feste Stellung zu haben.

„Das kannst ja probiren,“ sagte sie, „wenn Du wissen willst, wie tief von der Tennbrucken 'nunter ist auf den ebenen Boden.“

Sie war mit diesen Worten kaum zu Ende gekommen, als der Bursche schon vor ihr stand, ihr den Arm um den Leib schlang und mit der anderen Hand den zurückgedrängten Kopf an sich zu drängen suchte; dennoch war er ihr nicht zuvorgekommen, denn im nämlichen Augenblicke hatte sie seinen Arm von sich geschleudert und ihn zurückgestoßen, daß er schwankte und fast Mühe hatte, ihre Drohung nicht an sich verwirklicht zu sehen.

Was zuvor ein augenblicklicher Scherz gewesen, fing an, bedenklich zu werden.

Nannei war bis in den Mund kreideweiß geworden, aber sie stand fest aufgerichtet wie ein kundiger Fechter, der einem erneuten Angriff entgegensieht. Dem Lenz dagegen war die Gluth des Zornes in's Gesicht gestiegen, und er schickte sich an, sein Vorhaben mit Aufgebot seiner ganzen Stärke auszuführen. Noch ein Augenblick, so wäre der sonderbare Kampf in Wirklichkeit entbrannt – der laute Zuruf einer Männerstimme und die Stimmen vieler Leute verhinderten den Ausbruch. In der Erregung hatten Beide nicht bemerkt, daß bereits eine ziemliche Anzahl von Landleuten aus der Umgegend herangekommen war.

Allen voran, schon auf der Tennenbrück, stand ein alter Mann, der in lachender Verwunderung die Hände über dem Kopfe zusammenschlug.

„No, seid's so gut,“ rief er, „seid's so gut und rauft's gleich mit einander in aller Fruh! Wollt's vielleicht ein G'spiel aufführen, wenn der König kommt, und habt's Prob' gehalten?“

Der Mann war eine eigenthümliche Erscheinung. Während die anderen Ankömmlinge in der festtäglichen Landestracht gekommen und offenbar von der Neugier herbeigeführt worden waren, den König zu sehen, der, wie es hieß, heute im Kogelhofe frühstücken werde, schien er nicht daran gedacht zu haben, sein Aeußeres mit den Rücksichten auf einen so hohen Gast in Uebereinstimmung zu bringen. Er war unverkennbar in vollem Arbeiteranzuge gerade von der Arbeit weggelaufen. Ein Hemd von grobem Zwillich und Beinkleider von gleichem Stoffe bedeckten seinen Körper, beide aber waren wie das Gesicht berußt und mit schwarzen Schmierflecken bedeckt. Ein abgetragenes, rundes Lederkäppchen saß auf dem weißen, spärlichen Haar, und die Füße steckten in großen Holzschuhen, auf denen grobes Leder aufgenagelt war. Trotzdem war der Anblick des Alten kein widriger. Durch den Ruß hindurch waren die Züge eines freundlichen Angesichtes zu erkennen, und unter den weißen, starken Büschelbrauen blitzte ein dunkles Auge so lachend und munter, als wäre sein Leben das glücklichste und seine Arbeit die angenehmste und einträglichste der Welt.

Das Gesicht des Mädchens hellte sich bei seinem Anblick augenblicklich auf; sie rückte mit der einen Hand das Hütchen, das sie sich wieder aufgesetzt, in die rechte Lage und streckte ihm, näher tretend, die andere Hand entgegen.

„Grüß Gott, Vater!“ sagte sie, nicht ohne einige Verlegenheit über die eigenthümliche Stellung, in der er sie gefunden. „Ich hab' mich wehren müssen; der Lenzl hat woll'n –“

„Ja, ja,“ lachte der lustige Alte, „was der Lenzl woll'n hat, das hab' ich selber wohl gemerkt.“

Der Bursche unterbrach ihn. Mit der Zuversicht des Mädchens war auch sein Trotz gestiegen, und er schien nicht übel Lust zu haben, die unterbrochene Fehde jetzt mit dem Manne wieder aufzunehmen.

„Wenn's Dir etwa nicht recht ist, Pechler Kaspar, darfst es nur sagen, dann mach' ich Dir's recht.“

„Wär' schon ein rechtes Kraftstück'l,“ entgegnete dieser, „wenn Du über ein altes Mann'l wie mich herfallen thät'st.“

Der Bursche mochte die Berechtigung dieses Vorwurfs fühlen; sichtlich betroffen und wie zur Entschuldigung murmelte er halblaut vor sich hin:

„Sie ist ja selber schuld! An dem Buss'l wär' sie nicht g'storben, die hochgeistige Dingin!“

„Recht hat sie gehabt,“ sagte der Pechler, „und ich hätt' nicht geglaubt, daß ein junger, sauberer Bursch, wie der Kogelhofer Lenz, ein Buss'l nit anders zu kriegen weiß, als mit Gewalt. Du meinst wohl, weil Du einmal den Kogelhof bekommst, darfst Du übermüthig sein? Gieb Acht, gieb Acht, daß Du's nicht einmal klein beigeben mußt!“

Das Mädchen hatte ihn am Arme ergriffen und suchte ihn hinwegzuzerren. Sie hielt es zur Beendigung des Wortwechsels für das Beste, wenn sie die Beiden aus einander brachte.

„Komm mit in die Kuch'l, Vater!“ sagte sie, „es ist Zeit, daß ich nach den Nudeln schau'. Bringt der König auch den Wein mit, muß man ihm doch was Richtig's zum Essen aufsetzen.“

Der Rußige widerstrebte noch schwach, fügte sich aber doch. Die Leute waren allmählich immer näher gekommen, sodaß es gerathen schien, die Angelegenheit, von welcher die Wenigsten bisjetzt etwas begriffen haben mochten, nicht selbst offenkundig zu machen. Brummend folgte er Nannei in die Seitenthür, welche durch den Stall und von dort in den Vordertheil des Hauses und nach der Küche führte.

Hinter ihm füllte sich die Scheune mit einer großen Anzahl Menschen, die alle den Platz sehen wollten, wo der König ihnen die Ehre anthat, bei ihnen zu essen, und zugleich die Anstalten und Verzierungen bewunderten, die zu diesem Ende gemacht wurden. Es waren meistens Bauersleute in der Landestracht, Alte und Junge, Weiber, Mädchen und Kinder; es traf sich eben gut, daß sie ihre Neugierde mit einem anderen Zweck verbinden konnten. Es war ein abgewürdigter Feiertag, an welchem der Gebrauch forderte, eine Wallfahrt zum Sanct Laurenzi-Kirchlein zu machen, das unweit von einem Felszacken heruntersah. Doch fehlte es auch nicht an vornehmeren Leuten: mit den Fußgängern waren ein paar leichte Wägelchen angekommen, deren Insassen dem Bürgerstande – ja dem Adel angehörten.

Aus dem einen der Fuhrwerke kletterte nicht ohne Mühe ein wohlbeleibter, kurz gewachsener Mann, dem die Last seines Bauches und der kurze Athem jede solche Bewegung beschwerlich machte. Es gelang ihm nur mit Hülfe eines kleinen, aber behenden Mädchens, dessen Schönheit durch die unverkennbare

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_003.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)