Seite:Die Gartenlaube (1879) 874.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

„Theresa, Du sitzest neben einem Unwürdigen; ziehe Deine Hand aus der meinen – laß mich fliehen!“

„Fliehen?“

„Ja, Theresa. Hätte ich gewußt, daß ich Dich hier finden würde, nimmermehr wäre ich hergekommen, denn ich muß vor Deinem inneren Auge wie ein häßlicher Flecken stehen.“

„Maurus, thu’ mir nicht so weh!“ sagte sie bittend.

„Kann ich Dir noch wehe thun, Theresa? Was für ein Wesen bist Du denn, daß Du mich nicht verachtest?“

„Ich habe keinen Grund Dich zu verachten, ich habe Dich beklagt und habe mit Dir gelitten, denn ich wußte, daß Du nicht glücklich würdest.“

„O Theresa, nie möge Dir im Gemüth eine Ahnung aufgehen von den Martern, die ich gelitten habe! Aber Eins lasse mich Dir gestehen: mein Herz war nicht in der Verirrung, nur meine Einbildungskraft und meine Sinne waren es. Und wie hinter Nebel und Wolken die Sterne in ihrem reinen, fernen Lichte stehen, so standest Du stets in meinem Herzen hinter der Wirrniß, dem Rausche und dem Wahnsinne. Und wenn es für Augenblicke still und klar in mir wurde, dann sah ich Dich und verging in Gewissensbissen und in Sehnsucht. Aber heiße mich schweigen, Theresa, sonst sage ich Dir Dinge, die ich Dir nicht sagen darf. Ich gehe – ich bin ein Kranker und ein Schiffbrüchiger – verzeihe mir und – lebe wohl!“

Ich sank auf die Kniee vor ihr.

„Verzeihe mir, Theresa, um der schönen Erinnerungen willen! Verzeihe mir um der Leiden willen! O, sei nicht so stumm! Habe Erbarmen mit mir! Du weißt nicht, was die Qualen des Schuldigen sind, aber glaube mir, sie sind entsetzlich!“

Theresa zitterte und es fielen Thränen auf ihre Hand.

„Aber,“ sagte sie schluchzend, „wohin willst Du gehen?“

„Ueber’s Meer – ich will auswandern.“

Sie sank zurück und schloß die Augen.

„Theresa, was ist Dir?“

Sie suchte meine Hände, und als ich sie ihr gereicht hatte, drückte sie dieselben mit der Kraft des Schmerzes; dann blickte sie mich an mit fast gebrochenen Augen und sprach:

„Auswandern? Das thun die armen Leute. – Bist Du denn arm?“

„Beinahe ein Bettler.“

„O Du armer Maurus!“

Die Thränen liefen über ihre blassen Wangen herab – ich hatte das Verlangen, aber nicht den Muth, sie zu trinken.

„Maurus – höre mich jetzt ruhig an: Ich habe dieses Haus gekauft, weil – weil es Dein Haus ist. Nimm es zurück!“

„Theresa!“

„Entsetze Dich nicht! Denke – denke, Du seist mein Bruder und ich hätte es Dir gehütet. O nimm es zurück!“

Und sie hob flehend die Hände zu mir auf.

„Theresa – Du bist ein himmlisches Wesen, Du bist meine Schwester nicht! Und Du wirst sie nie sein! Ich habe vergeudet, laß mich büßen – laß mich gehen!“

„Maurus – daran werde ich sterben.“

„So weit geht Dein Mitleid für mich?“

„Nein,“ rief sie, die Hände ringend, „nicht mein Mitleid, aber meine Liebe!“

„O! – Süße, süße Erlöserin!“

Jetzt küßte ich ihr die Thränen von den Augen und den Wangen. Und nun, Vorhang, falle! Falle gleich einer ehernen Pforte zwischen der Welt und meinem unverdienten Glücke!




Zusammengesetzte Portraits.
Das Compagnie-Portrait im Stereoskop. – Der Wettstreit der Sehfelder und seine Wirkungen. – Das Compagnie-Portrait als Prophet. – Die Mischung in größerem Maßstabe. – Fixirung auf photographischem Wege. – Gewinnung von Typen; Verbrechertypus; Rasse- und Familientypen. – Durchschnittsportaits: von Lebenden; von verstorbenen Berühmtheiten. – Idealportraits. – Versuche zur Gewinnung körperlich wirkender Portraits und die Lehmann’schen Raumbilder.

In jedem Familien-Album wird man Brustbilder finden, die in nahezu derselben Größe und Wendung des Antlitzes photographirt worden sind. Mit solchen Portraits lassen sich Experimente anstellen, die ebenso anziehend wie lehrreich sind und sehr werthvolle Perspectiven eröffnen. Wohl die meisten meiner Leser werden sich eines Jugendspielzeugs erinnern, welches aus Köpfen, Bruststücken und Unterkörpern menschlicher Figuren bestand, die auf verschiedene Kärtchen gemalt waren und durch deren beliebige Zusammensetzung man sehr drollige Wirkungen erzielte. Eine bei Weitem merkwürdigere Mischung kann man sich vollziehen sehen, wenn man zwei in den oben angedeuteten Richtungen übereinstimmende Visitenkarten-Portraits in ein Stereoskop bringt: sie verschmelzen, mögen sie einander noch so unähnlich sein, zu einem Mischbilde, welches zwar mit jedem der beiden Theilhaber der Firma Aehnlichkeit zeigt, aber doch keinem allein gleicht, vielmehr eine völlig eigenartige, lebendige Individualität darstellt. Die freundlichen Augen des Einen blicken uns aus den ernsten Zügen des Andern entgegen, aus der gebogenen spitzen und der aufgerichteten stumpfen Nase ist eine ganz annehmbare Mittelnase hervorgegangen; die vorhandenen Härten und Unschönheiten haben sich, so weit sie nicht von der nämlichen Art waren, gegenseitig ausgeglichen; das Compagnie-Portrait hat einen eigenthümlichen Reiz, ja eine Art von Mienenspiel erhalten. Es giebt keine zwei Gesichter in der Welt, die sich nicht in dieser Weise mit einander kreuzen ließen: Männer und Frauen, Kinder und Greise, Kaukasier und Neger – sobald nur die Aufnahmebedingungen dieselben waren.

So ergötzlich dieses Spiel ist, namentlich wenn wir unser eigenes Conterfei betheiligen und uns mit unseren Bekannten in Wechselwirkung setzen: es hat seine ernste Seite, es ist mehr als ein Spiel. Zunächst lehrt es uns noch viel eindringlicher, als das Stereoskop an sich, daß das Sehen ein geistiger Vorgang ist und nicht im Auge selbst stattfindet, denn nicht ein rohes Uebereinanderlegen, sondern nur ein geistiges Verschmelzen kann so vollkommene Mischungen hervorbringen wie wir sie bei geeigneten Vorlagen erhalten. Zwar gelingt auch, wie wir bald sehen werden, ein rein mechanisches Verschmelzen der einzelnen Züge, aber den damit gewonnenen Portraits fehlt das Leben, welches die direct aufgenommenen Mischbilder auszeichnet. Wenn wir nämlich ein solches Mischbild länger betrachten, so bemerken wir, daß die Aehnlichkeit bald mehr nach der einen, bald mehr nach der anderen Seite hinüberneigt, das Gesammtportrait bald froher und kühner, bald ernster oder niedergeschlagener dreinschaut, bald etwas jünger, bald etwas älter erscheint. Es ist das eine Folge des sogenannten „Wettstreits der Sehfelder“, indem bald das eine, bald das andere Auge vorübergehend ermüdet und die Empfindung des andern dann ebenso lange das Uebergewicht erhält. Sehr anziehend wird dieser Vorgang, wenn eine Person ihr eigenes photographisches Abbild in gleicher Größe und Stellung aus zwei weit auseinander gehenden Lebensaltern besitzt. Sie wird sich dann nicht nur damit vergegenwärtigen können, wie sie in der Zwischenzeit ausgesehen hat, sondern sie wird sich vor ihren Augen altern und verjüngen sehen und so, vermöge des mitwirkenden geistigen Processes, allmählich alle Stufen ihrer körperlichen Entwickelung zu Gesicht bekommen.

Wenn man sorgfältig colorirte Portraits der verschiedenen Menschenrassen in geeigneten Aufnahmen besäße, so würde man auf optischem Wege leicht aus Neger und Europäer den Mulatten, aus Indianer und Europäer den Mestizen hervorbringen können, ja auf einem nachher zu erörternden, etwas complicirteren Wege würde man sogar die zusammengesetzteren Mischrassen Creolen, Quarteronen, Quinteronen etc., direct hervorbringen können. Hier bietet sich ferner ein Mittel dar, um der natürlichen Neugierde eines Ehepaares zu genügen, welches gern wissen möchte, wie seine Sprößlinge aussehen könnten, wenn sie in das augenblickliche Alter der Eltern gekommen sein werden. Durch den Wettstreit der Züge von Vater und Mutter unter einander werden sich abwechselnd die Züge der männlichen und der weiblichen Linie in den Vordergrund drängen, und so vermag man gewissermaßen vermöge dieses einfachen optischen Kunstgriffs in den Zukunftsspiegel zu schauen, denn in gewissem Grade werden sich meistens die Züge der Eltern in den Kindern vermischt finden, namentlich

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 874. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_874.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)