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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

sanft von jenseits der Gebüsche herüber, sie klangen wie heimliches Schluchzen.

Es kam eine Sehnsucht über mich, o, eine Sehnsucht! Die Orangenblüthen flüsterten von Liebe, und die Wasser drüben schluchzten. Suhra – Theresa – O, meine arme Seele, wer hilft mir bei dieser Noth?! – Ich sank mit der Stirn auf die Fensterbrüstung und weinte bitterlich. –

Als ich am nächsten Vormittage mit einem festen Entschlusse nach Suhra’s Hause ging, fand ich sie nicht daheim; man sagte mir, sie sei ausgefahren und am Nachmittage war sie noch nicht zurück. Ich wartete auf ihre Rückkehr mit brennender Ungeduld, denn der Traum der vergangenen Nacht hatte mich aufgerüttelt aus meiner Sclaverei.

Es war spät am Abend, als Suhra, strahlend von Schönheit und Frohsinn, in den Saal trat, wo ich auf sie gewartet hatte. Ich ging ihr einen Schritt entgegen:

„Wo warst Du heute, Suhra?“ fragte ich.

„Rom drückte mich; ich bin in die Campagna hinausgefahren.“

„Warum ließest Du mich nicht holen, damit ich Dich begleitete?“

„Maurus, ich liebe diesen tadelnden Ton nicht; frage mich in einem anderen!“

„Setze Dich zu mir, Suhra,“ bat ich, nahm das Tuch, mit dem sie ihre Schultern bedeckt hatte, und legte es auf einen Stuhl.

„Wie feierlich Du heute bist!“ erwiderte sie mit spöttischem Lächeln.

„Ja, ich bin feierlich, Suhra, und ich will Ernstes mit Dir sprechen.“

„Laß mich, ich bin müde!“

„Dann ruhe Dich in meinen Armen aus –“ und mit diesen Worten wollte ich sie an mich ziehen.

„Maurus – ich will nicht in Deinen Armen ausruhen,“ rief sie und bannte mich mit ihrem kalten Blicke.

„Suhra, seit ich Dich kenne, hast Du nur eine Güte für mich gehabt, die: mich immer fester an Dich zu ketten! Du hast Dir nicht nur eine unumschränkte Gewalt über mich bewahrt, sondern auch eine Selbstbeherrschung und eine Stärke meiner Leidenschaft gegenüber, die mir beinahe übermenschlich dünkt. Du hast nichts darauf zu erwidern?“

Als sie schwieg, fuhr ich fort: „Du weißt, daß ich die Schönheit verachtete bis zu dem Tage, wo ich Dich sah ‚Ich will Dich versöhnen,’ sagtest Du zu mir an jenem Abend, wo ich zum ersten Male zu Deinen Füßen lag; aber Du hast mir nicht die Versöhnung gebracht, sondern ein verheerendes Feuer in mir entflammt und gießest täglich, stündlich Oel darauf und niemals einen Tropfen Wasser!“

„Du bist ungenügsam!“

„Ah, ungenügsam!“ Ich lachte bitter. „Suhra, ich habe in der vergangenen Nacht einen merkwürdigen Traum gehabt –“

„Einen Deiner Wüstenträume?“

„Er gab mir viel zu denken.“

„Wirklich? Was zum Beispiel?“

„Dies: Ob Du ein Weib seiest oder ein Dämon –“

Mit einer Bewegung der Ungeduld legte sie ihren Kopf auf den Polster des Divans und sagte:

„Es gährt in Deiner Wüste – laß mich – ich versichere Dich, Du langweilst mich.“

„Suhra, für dieses Wort tödte ich Dich,“ schrie ich und riß sie an mich. Sie aber drückte mir ihre beiden Hände auf’s Gesicht und es strömte von ihnen in meine Sinne ein betäubender Wohlgeruch, eine entnervende Gluth; die Muskeln meiner Arme erschlafften und ich sank machtlos zu Boden.

Wie lange ich dort gelegen in dumpfem Halbbewußtsein, das weiß ich nicht. Als es klar in mir wurde, erhob ich mich und tastete mich durch die Finsterniß bis zu Suhra’s Schlafgemach; ich lauschte an der Thür, und als ich das Rauschen ihres Kleides hörte, da rief ich langsam und feierlich:

„Weib, Göttin oder Dämon – wer Du auch seiest, vernimm mein letztes Wort: Du hast meine Seele gemordet – sei verflucht auf der Erde, in der Hölle und im Himmel!“

Dann tastete ich mich durch die Säle zurück bis in die Vorhalle, wo ein Licht brannte. Es brannte düster, wie meine Gedanken. Ich floh aus dem Hause, elend, vergiftet, zerstört. –

Ja, zerstört! Ich hatte an der Quelle der Schönheit getrunken und von dem Trunke das Fieber bekommen, und wie ich auch rang und kämpfte und Kühlung und Genesung suchte, ich genas doch nicht.

Alphonsens Liebe zur Schönheit war eine Andacht, und er hatte ihr sein Vermögen geopfert; die meinige war ein Wahnsinn; ich opferte ihr mein Vermögen, meine Würde und – Theresa! Ich verkaufte, da meine Einkünfte mir jetzt nicht mehr reichten, stückweise meine Güter und dann auch das väterliche Haus. Die Hand voll Gold, schlich ich mich demüthig wie ein Bettler vor die Thüren der Schönheit, und wenn der Abscheu oder das Lachen mir als Antwort ward, dann warf ich das Geld handvollweise auf den unreinen Opferherd.

O unerbittliche Göttin, ziehe Deinen Zorn von mir zurück!

De profundis clamavi!




Drei Jahre hatte ich so mit kranker Seele gelebt, war ich so mit ruhelosem Herzen gewandert.

Eines Tages – es war in Marseille – ging ich am Meeresstrande auf und nieder und blickte den Strand entlang mit schwermüthigem Herzen; da ward mein Auge durch einen Mann gefesselt, der sich mit beiden Armen auf die Hafenbrüstung stützte und in’s Meer hinunter blickte. Er war wie zu einer Reise gekleidet, und der breite Rand seines Hutes verdeckte sein Gesicht; als ich mich näherte, blickte er auf – es war Alphons.

Erbleichend streckte er mir die Hand entgegen:

„Leb’ wohl, Maurus!“ sagte er mit schmerzlichem Lächeln.

„Leb’ wohl!? Ist dies ein Gruß, Alphons?“ rief ich, ihn in meinen Armen fast erdrückend.

„In einer Stunde besteige ich jenes Schiff dort; ich verlasse Frankreich und Europa – ich wandere aus – nach Südamerika.“

„Warum?“

„Ich habe nichts mehr.“

„Nichts mehr?“

„Höre: Da Niemand mehr mir borgen wollte und die Gläubiger auf die unverschämteste Weise mich bedrängten, verkaufte ich meine Bibliothek, die Bilder und meine Göttinnen und Halbgöttinnen, meine Götter und Halbgötter. Das war der schwerste Tag meines Lebens! Als alle Gläubiger befriedigt waren, blieb mir noch genug, um meine Ueberfahrt zu bezahlen und nicht als Bettler in Amerika zu landen.“

Ich bebte. So konnte auch mein Loos sich gestalten.

„Alphons, ich habe auch viel, sehr viel gebraucht, aber ich besitze doch noch mehr als Du – bleibe, bleibe bei mir!“

Er schüttelte den Kopf.

„Aber wohin willst Du, und was willst Du thun?“

„Ich werde in’s Innere der La Plata-Staaten gehen und dort laufen, laufen, als ein echter Conihoult, laufen mit den Indianern und den wilden Pferden auf den weiten Grasebenen. Die freie Luft, der weite Blick und die ungehemmte Bewegung werden mir gut thun; ich denke, dieses Nachspiel meines Lebens soll mir gefallen.“ Und der arme Alphons lachte.

Aber als ich ihn fragte: „Und Suleika?“ da seufzte er tief. „Wer hat sie gekauft, Alphons?“

„Gekauft?!“ rief er. „Glaubst Du, ich hätte Suleika verkauft?“

„Dann hast Du sie verschenkt; wem?“

„Maurus! Glaubst Du, ich ertrüge den Gedanken, daß Jemand ein Kunstwerk besitze, das mein war, wie meine Seele mein ist? Ein Kunstwerk, das meine geistige Frau war?“

„Aber was hast Du mit ihr gemacht?“

„Das einzig Mögliche; ich habe sie zerbrochen.“

„Zerbrochen? Und die Trümmer?“

„Habe ich in die Seine geworfen.“

Er blickte auf’s Meer hinaus, das im Morgendufte mit dem Horizont verschmolz, und sagte nach einer Weile:

„Ich war vor einigen Tagen in Rouen und habe die letzten Blumen aus dem Conihoult’schen Garten auf meiner Mutter Grab gelegt; ich hatte dort eine schwere Stunde. Aber“ – er fuhr sich mit der Hand durch’s Haar – „sie ging vorüber. Es geht ja Alles vorüber. Alles!“

Dann fragte er mich nach meinen Erlebnissen, und ich beichtete ihm.

„Geh’ mit mir,“ sagte er. „Du bist krank an der Seele,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 870. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_870.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)