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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

„Einfach das Unbehagen, das sie mir einflößte!“

Er nickte.

„Wie doch eine reine Seele Nichts braucht, als ihr Gefühl, um Menschen richtig zu beurtheilen! Können Sie mir verzeihen?“

„Was?“

„Die Verirrung meiner Leidenschaft!“

„Nach meiner kurzen Unterhaltung mit der Gräfin hoffte ich, Sie würden das Feuer nicht lange nähren.“

„Ich genas, ohne ein Wort mit ihr gewechselt zu haben.“

„Das thut mir leid,“ sagte Erminia, „ich mußte glauben, Sie hatten sich ihr genähert und aus eigner Anschauung –“

„Jawohl,“ fiel er mit ironischem Accent ein: „aus eigener Anschauung im wahrsten Sinne bin ich zur Vernunft gekommen.“

Er athmete tief auf. Sie sah ihn fragend an, aber er erklärte sich nicht deutlicher, sondern faßte ihre Hand, die sie ihm nicht entzog, als er sie an die Lippen drückte und leiser sprach:

„Leben Sie wohl! Ich bin nicht werth –“

Ein Geräusch ließ sich hinter ihm vernehmen. Er wandte schnell den Kopf; Angela stand im Eingang. Als hätte er sie nie gesehen, ging er nach schweigender Verbeugung gegen ihre junge Herrin an ihr vorüber und hinaus. Angela war betroffen. Warum ignorirte er sie völlig? Grollte er ihr, oder wußte er noch nicht, daß sie in den Palast gehörte? Und was hatte er zur Stunde hier zu schaffen gehabt? Ihr rathloses Mienenspiel ergötzte Erminia, die den Finger hob:

„Du, Du!“

„Was denn, Hoheit?“

„Der Cavaliere di Fabbris verleugnet seine Bekanntschaft mit Dir.“

„Sagt er’s?“

„Sein Benehmen sagt es.“

Angela ward wieder guten Muths:

„Das hat seine Gründe. Wüßte ich nur, ob er mir böse ist!“

„Weswegen?“

„Weil ich ihm seine Gräfin verleidet. Lieben kann er sie nicht mehr – es ist rein unmöglich.“

„So?“

„Darf ich jetzt reden, Hoheit? Ich komme vom Lido. Alles ist geglückt, meine kühnste Erwartung erfüllt. Den König wird die Dame wohl in Ruhe lassen. Wenn sie klug ist, macht sie sich bei Nacht und Nebel davon. Ihr Geheimniß kennt jetzt nicht mehr blos ihre gräuliche alte Magd und mein Portier bei Danieli, der sie vorgestern früh bei der Toilette überraschte, sondern ebenso gut und noch besser kennt’s seit ein paar Stunden meine Tante, ich und, was die Hauptsache ist, der Herr Lieutenant. Sie kann sich nicht mehr auf den Marcus-Platz wagen, angenommen selbst, sie hätte Ersatz in ihrem Koffer versteckt.“

Hier schnitt Erminia den Faden ab:

„Was mengst Du wieder durch einander? Wer soll daraus klug werden? Ersatz in ihrem Koffer – wofür?“

„Erlauben Hoheit einen Augenblick!“ bat Angela und umging ihre Gebieterin. Diese folgte mit dem Kopfe der Bewegung.

„Nein, nein,“ fuhr das Mädchen fort, „fest stehen bleiben, Hoheit! Bitte, bitte, nicht den Hals drehen! Ich bin gleich fertig.“

„Was sollen die Possen, Angela? Wirst Du mir eine vernünftige Erklärung geben?“

„Mit unendlichem Vergnügen und gehorsamstem Respect,“ rief der Kobold, „denn ich habe gesehen, was ich sehen wollte: Eure Hoheit trägt nur eigenes Haar.“

„Ah!“ stieß Erminia hervor. „Das Haar der Gräfin –“

„Ist in Folge eines einzigen Seebades ausgegangen.“

„Angela!“

„Wär’ ich ein Bube, ich schlüge Rad wie die Gassenjungen auf der Riva!“ lachte die Fioraja und rapportirte nun, wie sie den Hôtelportier angestiftet, der Gräfin das Seebad plausibel zu machen, wie sie den Lieutenant verlockt, dem Wasserschauspiel beizuwohnen, und wie sie das tragische Ende herbeigeführt.

„Leider,“ klagte die verschlagene kleine Person in ihrem rollenden Redefluß, „entging mir der unmittelbare Eindruck des Schlußeffects auf den Cavaliere di Fabbris, aber mein Stück muß auf die Bühne, auf’s Marionettentheater in San Moisé[1]; da thut eine Neuigkeit noth; über die alten Sachen mit den schalen Witzen auf die Nationalbank und die Kürbisverkäufer kann kein Mensch mehr lachen. Meinen Hoheit nicht, daß die Geschichte sich vorzüglich zum Lustspiel für Gliederpuppen eignet? Und die noch nicht dagewesene Scenerie, die Meerdecoration, die Bade-Anstalt sammt meiner Tante und mir – der Lieutenant auf der Terrasse wird in ein anderes Regiment versetzt –“

„Schweig!“ gebot Erminia mehr heiter, als streng. „Du begreifst doch, daß von der Sache keine Silbe in die Oeffentlichkeit dringen darf? Du wirst auch Deinem Portier ein Siegel auf den Mund drücken, wenn Dir meine Gunst lieb! Hörst Du? Ich werde selbst meinem Vater nichts erzählen.“

Sprach es, kehrte sich um und ging in die anstoßenden Zimmer. Angela, allein gelassen, blickte zur Decke.

„Ich werde selbst meinem Vater nichts erzählen?“ Sie legte den Finger unter’s Kinn. „Das ist viel. Wenn ein Mädchen – und das ist Hoheit doch trotz der Hoheit – so schweigen kann, dann hat es immer – eine – besondere Bewandtniß!“




4.

Antonio ließ sich vor der Ankunft des Königs nicht mehr am großen Canal sehen. Ebenso mied er den Marcus-Platz. Nahmen ihn die Regimentsexercitien nicht in Anspruch, so beschäftigte er sich mit seiner Arbeit. Er wollte das neue Gefühl, das in ihm aufkeimte, die Neigung zu Erminia, ersticken; denn obgleich ihm eine innere Stimme zuraunte, daß die Sympathie der Herzogstochter für ihn früher rege geworden, als die seinige für sie, so konnte er sich doch nicht vorstellen, Bevilacqua werde in eine Verbindung seiner einzigen Erbin mit einem schlichten Lieutenant willigen. Sollte der junge Mann die Schmach einer Abweisung auf sich laden?

Und selbst wenn der Herzog den Wünschen seines Kindes nachgäbe, würde er’s doch nur mit Widerstreben thun; die Hand einer Gattin aber wie ein Gnadengeschenk vom Vater anzunehmen, dagegen sträubte sich Antonio’s Stolz. Wenn er arbeitete, vergaß er die Außenwelt. Daß Erminia um seine schriftstellerische Thätigkeit wußte, ließ er sich nicht träumen. Die Kunde davon war durch den Capitain Bordone zu ihr gedrungen. Der Brave zählte zu den Leuten, die Alles, was sie sehen und hören, weitertragen, überall jedoch, wo sie geplaudert haben, ihre Enthüllungen mit der Bitte schließen, keinen Gebrauch davon zu machen. Bordone hatte, noch ehe er Antonio’s Cameraden eingeweiht, Erminia in einer Familie getroffen, wo Beide der Mutter des Hauses, die von langer Krankheit genesen, ihre Glückwünsche darbrachten; bei der Gelegenheit kam die Rede auf Fabbris, und der Capitain verrieth der jungen Altezza den häuslichen Fleiß ihres Lieblings. Mit stiller Freude vernahm sie die Neuigkeit; bei ihr war der Zusatz, sie möge dieselbe für sich behalten, überflüssig.

Noch viermal wechselte Abend- und Morgenröthe, da hielt der König mit ansehnlichem Gefolge seine Einfahrt in Venedig. Die Gondeln der Nobili, sonst, dem Gesetze gemäß, schwarz und schmucklos wie die Fahrzeuge der niederen Gesellschaftsclassen, erschienen zur Einholung mit dem köstlichsten Sammet drapirt, der in langen, gestickten Schleppen das trübe Wasser des großen Canals streifte. Gekrönte Häupter können bei Rundreisen durch ihr Reich unmöglich viel empfinden, wenn in jeder Stadt von Thürmen und Häusern die Landesfarben flattern, wenn die Kanonen zur Begrüßung dröhnen und Musikbanden die übliche Nationalhymne spielen. Die Lust am Empfang ist ungleich größer auf Seiten des Volks, das an solchen Tagen müßig gehen, gaffen und seine Lungen in Vivatrufen erweitern kann. Die Großen thun genug, wenn sie sich nicht ermüdet und gelangweilt zeigen bei der Annahme längstgewohnter Huldigungen.

Am ersten Abend seines Aufenthalts musterte der König Galantuomo (Ehrenmann), wie das Volk ihn nannte, im Schloß die Honoratioren. Unter den Anwesenden befand sich in vorderster Reihe der Herzog Bevilacqua mit seiner Tochter, die der Herrscher auf’s Huldvollste begrüßte und nach der eigentlichen Cour in ein längeres vertrauliches Gespräch zog, welches den Neid und die Eifersucht mancher minder berücksichtigten Dame wachrief. Den zweiten Abend füllte eine Regatta und Serenade in illuminirten Barken auf der Lagune aus; am dritten Tage inspicirte Victor Emanuel die Garnison. Antonio di Fabbris stand in Reihe und Glied, als der Oberst des Regiments, den der König in seine Suite commandirt, plötzlich während des Ganges längs der Front

  1. San Moisé ist ein Stadttheil in Venedig mit sehr engen Gassen; in einer der engsten liegt das Marionettentheater.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 862. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_862.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)